Brandenburg und die Benutzungspflicht

14 Jahre ist es her, da wurde die Straßenverkehrsordnung geändert. Mussten Radfahrer bis dahin jeden Radweg nutzen, der als solcher zu erkennen war, so sollte nun eine Wahlfreiheit gelten. Eine Benutzungspflicht (durch blaues Radwegzeichen) sollte nur noch angeordnet werden, wo eine besondere Gefahrenlage vorlag. Doch fast nirgendwo in Deutschland fand die notwendige Überprüfung der vorhandenen Radverkehrsanlagen statt. Benutzungspflichten blieben unabhängig von den Kriterien, die für ihre Anordnung nötig sind, bestehen. Und immer neue wurden angeordnet.

Ein vielbeachtetes Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes im Jahre 2010 weckte einige wenige Kommunen in Deutschland auf. Denn das besagte, dass nur die besondere Gefahrenlage, die über normale Straßenverkehrsgefahren hinausgeht, eine Benutzungspflicht rechtfertige. Tatsächlich wurden in wenigen Orten Benutzungspflichten überprüft und auch aufgehoben, so vereinzelt zu lesen in der Fahrradnewsgroup de.rec.fahrrad.

In Brandenburg hat nun das Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft die Straßenverkehrsbehörden angewiesen, Benutzungspflichten zu überprüfen und ggf. aufzuheben. Ob das jemanden aus dem Tiefschlaf reisst?

Märkische Allgemeine: Radfahrer auf Abwegen

Tagesspiegel: Brandenburg kippt Benutzungspflicht

5 Minuten Mitleid mit den Autofahrern

Christine Richter ist Mitglied der Chefredaktion der Berliner Morgenpost und schreibt für das Ressort Berlin/Brandenburg der Springer-Tageszeitung. Gestern schüttete sie ihr Herz aus für die Autofahrer. „Ich bin sie leid, diese Politik gegen Autofahrer“, klagt Frau Richter. „Wir haben uns seit langem an Bus- und Fahrradspuren auf dem Kurfürstendamm gewöhnt… Auch über die vielen Radspuren auf den Hauptverkehrsstraßen und Vorrangampelschaltungen für Radfahrer wundern sich höchstens noch die Besucher aus anderen Hauptstädten. Wir Autofahrer akzeptieren inzwischen klaglos, dass etliche Radfahrer auf die Straße ausweichen, weil sie die Fahrradwege nicht nutzen. Und ich kann, besser: mag, gar nicht mehr zählen, wie viele Parkplätze in Prenzlauer Berg weggefallen sind für die metallenen Bögen, an den die Räder angeschlossen werden sollen. Von der „Fahrradstraße“ Choriner Straße ganz zu schweigen.“

Es ist wirklich schlimm, wie böse den Autofahrern mitgespielt wird. Richters Kommentar endet in einem flammenden Appell an die Politiker: „Es gibt für Politiker also genug zu tun. Es müssen nicht noch mehr Fahrradwege und Radstellplätze sein.“

Der Verweis auf die Choriner Straße ist deshalb putzig, weil durch die Umwandlung der Choriner in eine Fahrradstraße mehr Parkplätze entstanden sind. Statt der längsgeparkten Autos können Kfz nun zwischen Fehrbelliner und Schwedter auf der einen Seite schräg parken. Dadurch ist die Fahrbahn insgesamt schmäler geworden, was ja auch okay ist. Autos können jetzt nicht mehr durch die Straße brettern, das scheint das eigentliche Problem von Frau Richter zu sein.

Berliner Morgenpost: Das Leid der Autofahrer]
[via Urbanophil]

Fahrrad-Skater-Demonstration: Vernunft statt Beton! A100 stoppen!

Unter dem Motto „Kluge Mobilität für Berlin oder 500 Millionen Euro für Stau, Lärm und Dreck? Vernunft statt Beton! A100 stoppen!“ ruft ein breites Bündnis aus 26 Initiativen und Organisationen zu einer Fahrrad- und Skater-Demonstration gegen die geplante Verlängerung der Stadtautobahn A100 von Berlin-Neukölln nach Treptow und Friedrichshain auf. Mit dieser Protestaktion soll ein deutliches Zeichen der Ablehnung gegen diese verkehrspolitisch und ökologisch unsinnige, unsoziale und teure Betonpiste gesetzt werden.

Die Strecke, ein Rundkurs über 22km, führt vom Roten Rathaus über Brandenburger Tor, Potsdamer Platz, Kreuzberg, Alt-Treptow, Treptower Park, Elsenbrücke und Friedrichshain zurück zum Roten Rathaus.

Start: Sonntag, 26. August 2012 um 15:00 Uhr am Roten Rathaus.

Folgende Initiativen rufen zu dieser Demo auf:
autofrei leben! e.V., B – Bergpartei, Bäume am Landwehrkanal, Berlin 21 e.V., BUND Berlin e.V., BUNDjugend Berlin, Bündnis90/ Die Grünen, Bündnis Megaspree, BI Stadtring Süd (BISS), BI Westtangente e.V. , CARambolagen, Die Linke Berlin, Grüne Jugend Berlin, Grüne Liga Berlin e.V., Mediaspree versenken, Kiezwandler Transition Town, Naturfreunde Berlin e.V., Piratenpartei, Schwarzer Kanal e.V., RAW-tempel e.V. , UBI KLiZ e. V. – Mieterladen, VCD Nordost

Alle aufrufenden Organisationen und aktuelle Informationen zur Demo finden sich auf www.a100stoppen.de

Veranstaltung: Shared Space oder durchgehend Tempo 30? – Alternative Verkehrskonzepte für die Stadt

Shared Space versteht sich als „Raum für alle“, in dem ein gleichberechtigtes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer/innen ermöglicht wird. Es ist ein Verkehrskonzept, das die Ansprüche von Fußgänger/innen, Rad- und Autofahrer/innen miteinander vereint und verschiedene Nutzungen des öffentlichen Raumes wie Mobilität, Aufenthalt, Kinderspiel berücksichtigt.

Von verschiedenen Seiten wird empfohlen, in der Stadt durchgehend Tempo 30 einzuführen. Damit kann das Unfallrisiko wesentlich verringert und nicht zuletzt die Lebensqualität in der Stadt gesteigert werden.

Marion Laube, Vorsitzende des VCD (Verkehrsclub Deutschland) Nordost, stellt die alternativen Verkehrskonzepte vor. Wir wollen diskutieren, welches Verkehrskonzept für welchen Stadtteil das Beste – und auch, wie eine Realisierung möglich ist.

Ökowerkstatt im Nachbarschaftshaus am Teutoburger Platz
Fehrbelliner Str. 92
10119 Berlin
Tel: 443 71 78

Donnerstag 9. August 2012
19:30 Uhr

Wikipedia über Shared Space
VCD-Kampagne: Tempo 30 für mehr Leben!

Fahrrad-Infotour zu Stätten der NS-Zwangsarbeit

Die Geschichtswerkstatt Lichtenrade bietet am kommenden Sonntag eine Informationstour auf dem Fahrrad durch Lichtenrade an. Sie dauert zwei Stunden, ist kostenlos und beschäftigt sich mit der NS-Zwangsarbeit in Lichtenrade, wo in Lagern mehrere 1000 Zwangsarbeiter untergebracht waren. Auch die Häftlinge des KZ-Außenlagers Sachsenhausen in Lichtenrade mussten Zwangsarbeit leisten.

Sonntag, 5. August 2012
Treffpunkt: 11:00 Uhr am S-Bahnhof Lichtenrade

The Bike Brigade

Von heute 20:00 Uhr bis zum kommenden Mittwoch, dem 8. August, ist die frisch eröffnete Platoon Kunsthalle an der Schönhauser Allee Schauplatz einer Ausstellung und eines Workshops unter dem Titel The Bike Brigade. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von selbst konstruierten und selbstgebauten Lastenfahrrädern, die die Bandbreite der Bike Hack Bewegung demonstrieren soll.

Am Montag (6. August) und Dienstag (7. August) findet jeweils ab 17:00 Uhr ein Workshop zum Lastenradbau statt. Am ersten Tag liegt der Focus darauf, zusammen mit Experten ein Lastenfahrrad zu bauen. In der zweiten Session soll das Rad mit Technologie aufgepimpt werden. Der Workshop richtet sich ausdrücklich nicht an gestandene Fahrradbauer sondern an jederfrau und jedermann: „no experience required, only passion!“ Die Kunsthalle ist jeden Tag von 10:00 bis 22:00 Uhr geöffnet.

Platoon Kunsthalle
Schönhauser Allee 9
10119 Berlin

Platoon
Facebook: The Bike Brigade: Exhibition & Workshop

European Cycle Logistics Federation

Im Juli trafen sich mehr als 30 Anbieter von Lastenfahrrädern und Kurierdiensten aus ganz Europa in Cambridge in Großbritannien und gründeten die Interessenvereinigung European Cycle Logistics Federation. „Gemeinsam können wir die Interessenvertreter davon überzeugen, dass Lastenfahrräder eine praktische Lösung für die Zustellung von Waren in verstopften Innenstädten sind. Mehr Lieferungen durch Cargo-Bikes bedeutet gleichzeitig weniger Lkw’s in den Innenstädten und damit sicherere und lebenswertere Straßen für Menschen „, sagte der Initiator der Lobbyvereinigung Rob King, Gründer eines Fahrradkurierdienstes in Cambridge. Die Vereinigung will sich regelmäßig zum Interessentausch treffen.

ADFC: Cargo-Bikes bekommen eigene Lobby
ECF: Cargo Cycle Crazy: 30+ Companies Form Freight Bike Federation

Auch in Berlin gewinnt die Lastenradidee immer mehr Freunde. Nach der letzten Sternfahrt Anfang Juni kamen Berliner Lastenradfahrer zum Klönschnack in der Kneipe zusammen. Dort entstand der Gedanke, gemeinsam zum Cargo-Bike-Rennen am 18. August in Kopenhagen zu fahren. Und damit die Berliner in Kopenhagen nicht völlig chancenlos sind, wird regelmäßig auf dem Tempelhofer Flugfeld traniert.

Facebook-Gruppe: Team Bullitt Hangover Berlin
Foto: Bakfiets Lastenfahrrad

Staatssekretär Gaebler in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: „Der Fahrradbeauftragte bin ich“

Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler gab der Morgenpost ein Interview, das gestern veröffentlicht wurde. Darin ging es um die Kennzeichnungspflicht für Fahrräder (Gaebler ist dagegen), eine Helmpflicht (Gaebler ist dagegen, empfiehlt das Tragen, vergisst aber manchmal, ihn aufzusetzen), um eher alltägliche Verkehrsvergehen von Radfahrern (Gaebler juckt es gelegentlich, auf den Bürgersteig auszuweichen oder bei Rot rechts abzubiegen, aber er beherrscht sich) sowie um den Streit um das Geld zwischen Verkehrs- und Finanzbehörde (Gaebler ist zuversichtlich, dass in den nächsten Jahren schrittweise mehr Mittel für den Radverkehr zur Verfügung stehen).

Dann kommt die Morgenpost auf den seit Monaten vakanten Posten des Radverkehrsbeauftragten zu sprechen und fragt, ob der Senat keinen unabhängigen Rat benötigt. Daraufhin Christian Gaebler: „In unserer Verwaltung haben wir heute eine andere Situation als vor zehn Jahren, als wir den Fahrradbeauftragten eingeführt haben. Heute haben wir drei oder vier Experten, die sich fast ausschließlich mit Radverkehr befassen. Der Radverkehr ist in dieser Verwaltung integraler Bestandteil der Planung. Der bisherige Beauftragte hat gesagt, was er sich an Tätigkeit vorstellt, könne er ehrenamtlich nicht leisten. Sollen wir deshalb einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen? Das lehne ich ab, weil wir in den nächsten fünf Jahren in unserer Senatsverwaltung 255 Stellen abbauen müssen. Der bisherige Beauftragte war der Meinung, er müsse alle Vorgänge im Haus bewerten. Aber das ist meine Aufgabe, insofern bin ich hier der Fahrradbeauftragte.“

Berliner Morgenpost: „Ich bin hier der Fahrradbeauftragte“
(Dank an T. für den Hinweis)

Berliner Fahrradkarte des BMWGuggenheimLab

Das BMWGuggenheimLab hat eine interaktive Fahrradkarte für Berlin erstellt. Unter dem Titel Dynamische Verbindungen (Dynamic Connections) können Radfahrer Fahrradstrecken in der Stadt bewerten. Wer die Startseite des Projektes betritt, wird gefragt, wie man sich radfahrmäßig einschätzt. Anschließend wird man durch weitere fünf Fragen geprügelt, bevor man sich eine Karte mit den von Radfahrern bewerteten Straßen ansehen darf. Wer die Abkürzung direkt zur Karte sucht, klickt hier. Zunächst bekommt man allerdings erst die Weltkarte zu Gesicht, muss sich also zehn Stufen in die Karte nach Berlin hineinzoomen.

Bisher wurden fast ausschließlich Hauptstraßen in den Innenstadtbezirken bewertet, in der Peripherie fehlt jegliche Beurteilung. Es fällt auf, dass Straßen in den südlichen Bezirken Neukölln, Kreuzberg, Tempelhof und Wilmersdorf negativer eingeschätzt werden als Straßen in Mitte und Pankow.

Dynamic Connections

Es gibt eine Reihe von Gründen, die gegen das Projekt sprechen: So teilen die Macher nicht mit, wieviel Website-Besucher sich an der Bewertung beteiligt haben. Das Bewertungsraster ist unscharf und schlecht aus dem Englischen übersetzt. Dennoch ist der Grundgedanke der Erstellung crowd-basierter Fahrradkarten erfolgversprechend und vermutlich präziser als es herkömmliche Karten je sein können. Papiergebundene Fahrradkarten drücken ja lediglich aus, was Kartenmacher vermuten, welche Wege Radfahrer wählen. Eine Datenerhebung wäre noch einfacher, wenn eine Smartphone-App ähnlich wie My Tracks Wege von Radfahrern aufzeichnet. Wenn der Benutzer danach einzelne Unterstrecken und Punkte bewertet, ergäbe das eine Karte, die die wirklichen Wege von Radfahren akkurat beschreibt.

Dynamic Connections

Land Hamburg will höhere Strafen für Radfahrer

Die Innenbehörde von Hamburg leitet nach eigenen Angaben eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern, die höhere Verwarngelder für Radfahrer erarbeitet. Es geht dabei um Strafen bis zu einer Höhe von 35 Euro. Höhere Bußgelder über 35 Euro sollen konstant bleiben, sie wurden bereits vor drei Jahren erhöht. Begründet wird der Vorstoß damit, dass Bußgelder von zehn Euro ihre Wirkung verfehlen.  Radfahren auf dem Fußweg, Fahren ohne Licht oder mit Handy am Ohr soll daher teurer werden. Der verschärfte Strafkatalog für Radfahrer wird im Herbst dem Bundesinnenministerium vorgelegt.

NDR: Radfahrer sollen bei Verstößen mehr zahlen

Bagger überrollt 66-jährige Radfahrerin und verletzt sie tödlich

Der Tagesspiegel meldet, dass die sechste Person auf einem Fahrrad in diesem Jahr tödlich verunglückt ist. Heute kurz nach halb elf wurde eine 66-jährige Radfahrin in der Fritz-Erler-Allee in Neukölln von einem Bagger überrollt, als sie auf ihrem dreirädrigen Fahrrad in die Wutzkkyallee einbiegen wollte. Die Radfahrerin starb noch am Unfallort.

Tagesspiegel: Bagger überrollt Radfahrerin: 66-Jährige tot

Eine Pressemeldung der Polizei zu diesem Unfall ist noch nicht erschienen.

Fahrrad aus Pappe

Izhar, Tüftler aus Israel, ist besessen von der Idee, ein Fahrrad aus Pappe zu bauen. Seine Frau rät ihm: „Mach es, oder Du machst erst Dich und dann mich verrückt.“ Also experimentiert Izhar, baut einen Prototypen, der zuerst überhaupt nicht nach Fahrrad ausschaut. Aber er bleibt dran und sein neuestes Pappfahrrad wird sehr schön. Aus billigsten Materialien, wasserfest, wenn auch nicht unbedingt ökologisch.

Izhar cardboard bike project from Giora Kariv on Vimeo.

[via]

Keine Radverkehrsstrategie in Berlin

Der Berliner Senat gibt in diesem Jahr etwa 1,60 € pro Einwohner für den Radverkehr aus. Die Gesamtsumme in Höhe von 5,5 Millionen Euro fließt in das Abmarkieren von Radstreifen (3,5 Millionen) und in die Sanierung von Radwegen (2 Millionen).

Nach dem Vorstellungen des Senators für Stadtentwicklung sollen die Investitionen in den Radverkehr bis zum Jahr 2017 auf 17 Millionen steigern: 5 Millionen für neue Fahrstreifen, 5 Millionen für Sanierungen, 3 Millionen für Abstellplätze an Bahnhöfen und Fahrradstationen sowie 4 Millionen für Modellprojekte. Pro Berliner und Jahr würden dann 5 Euro für den Fahrradverkehr ausgegeben.

So sieht es der Entwurf der neuen Radverkehrsstrategie vor, doch der Stadtentwicklungssenator hat die Rechnung ohne Nußbaum und Henkel gemacht. Der Finanzsenator Ulrich Nußbaum will grundsätzlich nicht, dass die Ausgaben für den Radverkehr steigen. Auch Innensenator Henkel befürchtet höhere Personalkosten, da die Ordnungsämter Radfahrstreifen und Radwege in ihre Kontrollen einbeziehen sollen. Die Senatsverwaltungen für Finanzen und Inneres verweigern die Mitzeichnung der Beschlussvorlage. Deshalb kann die Radverkehrsstrategie nicht verabschiedet werden.

Berliner Zeitung: Senatoren blockieren neues Konzept für den Radverkehr

Radwege in Google Maps

Google Maps markiert im Onlinestadtplan nun auch Wege und Straßen, die für Radfahrer geeignet zu sein scheinen. Dabei werden Straßen mit Radwegen oder Fahrradspuren grün markiert, Wege durch Parks dunkelgrün und sonstige Straßen mit geeigneter Oberfläche und wenig Verkehr grün gestrichelt. Einstellbar ist die Option über die Schaltfläche „Verkehr“ oben rechts.

ZDnet: Google Maps nimmt europäische Radrouten auf

Google Latlon Blog: Biking directions expands into Europe and Australia

Kennzeichen für Radfahrer?

Das Radfahren wird immer beliebter – doch damit wächst auch die Sorge um die Gesundheit der Radfahrer. Immer wieder wird darüber diskutiert, wie man die Sicherheit der Radfahrer erhöhen kann. Doch in der öffentlichen Diskussion finden sich eher monotone Vorschläge, die gerne ausblenden, dass Radfahrer häufig Opfer von Verkehrsunfällen sind, die sie nicht selbst verursacht haben. Der Radfahrer, der sich an die Regeln hält und regelmäßig gefährdet wird, sieht sich in den entsprechenden Debatten nicht vertreten.

Einer der häufigsten Vorschläge zur Erhöhung der Sicherheit von Radfahrern ist die Einführung der Kennzeichenpflicht. Radfahrer würden ein Kennzeichen erhalten, über das sie – etwa nach Verkehrsverstößen oder Unfällen mit Fahrerflucht – identifiziert werden können. Zudem wäre – so die Befürworter – davon auszugehen, dass Radfahrer weniger Verkehrsverstöße begehen, so dass am Ende weniger Unfälle geschehen.

Auf die Auswirkung einer Kennzeichenpflicht auf die Unfallsituation möchte ich mich mit den nachfolgenden Gedanken konzentrieren. Immerhin haben wir in Deutschland langjährige Erfahrungen mit einer Kennzeichenpflicht (für Kraftfahrzeuge) gemacht, die in die Überlegungen einer solchen Maßnahme für Radfahrer einbezogen werden sollten. In einem ersten Schritt muss dafür die Anzahl der Verkehrsverstöße quantifizierbar gemacht werden – derer, die bereits ein Kennzeichen haben und derer, die eins verordnet bekommen sollen.

Anzahl der Verkehrsverstöße – Datenquelle Polizeikontrollen?

Doch wie misst man diese Anzahl? Die Polizei führt stichpunktartige Kontrollen durch, bei denen sie sich auf einzelne Verkehrsverstöße konzentriert. So wird jemand, der regelmäßig zu schnell fährt, recht bald in die „Falle“ tappen, während jemand, der keinen Sicherheitsabstand wahrt, in der Stadt wahrscheinlich keine Sanktionen zu erwarten hat. Mit der Anzahl ihrer Kontrollen kann die Polizei die gemessene Anzahl der Verstöße erhöhen. Mit dem Auslassen bestimmter Verstöße aus den Kontrollen kann sie die gemessene Anzahl verringern und gleichzeitig eine höhere Akzeptanz für das entsprechende Fehlverhalten erzeugen. Polizeikontrollen sind also ungeeignet, um Schlüsse auf die Verkehrsmoral zu ziehen.

Anzahl der Verkehrsverstöße – Datenquelle „Strichliste“?

Will man die Anzahl der Verkehrsverstöße objektiv messen, so könnte man sich beispielsweise an eine Kreuzung stellen, alle Fahrzeuge und Fußgänger beobachten und jedes Fehlverhalten notieren. Aber auch hier wird es schwierig, überhaupt jedes Fehlverhalten mitzubekommen. So wird man eine ignorierte rote Ampel eher notieren als einen nicht eingehaltenen Sicherheitsabstand oder eine Geschwindigkeitsübertretung. Noch schwieriger wird es bei den Verkehrsverstößen, bei denen der Gesetzgeber reichlich unkonkret von „gemäßigter Geschwindigkeit“ oder „ausreichendem Abstand“ spricht. Es wäre möglich, Verkehrsverstöße auf diese Weise zu messen – technisch aber aufwendig und wegen der Gummiparagraphen teilweise ungenau.

Anzahl der Verkehrsverstöße – nach Verkehrsart

Auch im direkten Vergleich der Verstöße von Rad- und Autofahrern wird man seine Probleme haben. Rotlichtverstöße von Radfahrern wird man als „schlimmer“ wahrnehmen als Abbiegeverstöße von Kraftfahrern, die aber in ebensolcher Regelmäßigkeit auftreten. Wer mit 70 km/h bei Grün auf die Kreuzung zufährt, wird im Falle eines Unfalls weniger moralische Mitschuld zugesprochen bekommen als jemand, der bei Rot über die Ampel fährt. Dabei hätte der „Raser“ seinen Bremsweg verringern können – eventuell so stark, dass es am Ende zu keinem Unfall kommt. Ebenso hätte der Rotlichtfahrer auf Grün warten können, und damit ebenso einen Unfall verhindert. Beide haben zum Unfall beigetragen, die moralische Schuld wird aber nur einem zugewiesen. Spätestens hier merkt man, dass Fehlverhalten in der öffentlichen Wahrnehmung gewichtet wird.

Gewichtung von Verkehrsverstößen

Eine Gewichtung von Verkehrsverstößen ist für die Gefahrenbetrachtung logisch. So wird es in einer ruhigen Nebenstraße wenig erheblich sein, ob ein Fußgänger die Fahrbahn „zügig auf dem kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung“ überschreitet – siehe §25 (3) STVO – oder regelwidrig langsam und im schrägen Winkel über die Fahrbahn geht. Hingegen wird es sehr wichtig sein, ob ein Fahrzeugführer die Geschwindigkeitsbeschränkungen einhält und die Vorfahrt beachtet. Einige Vergehen erzeugen sehr viele Unfälle, andere Vergehen sehr wenige.

Über Radfahrer liest man häufig, dass sie entweder „gar keine“ Regeln einhalten oder zumindest wesentlich seltener (als Autofahrer) dazu bereit seien. Häufigster Vorwurf: Nicht anhalten vor roten Ampeln. Das ist eine gewichtete Betrachtungsweise: Rote Ampeln schützen den Verkehrsteilnehmer davor, vom Querverkehr erfasst zu werden. Somit ist das Ignorieren roter Ampeln ein schwerer Verkehrsverstoß. Ein Gegenbeispiel wäre das Ignorieren eines „Anlieger frei“-Schildes. In solchen Straßen wird mit Straßenverkehr gerechnet, das verbotene Befahren schafft keine höheren Gefahren als das erlaubte Befahren.

Nicht vergessen darf man in der Betrachtung, dass es kontraproduktive Verkehrsregeln gibt, deren Einhaltung gefährlich ist. Wer auf der Fahrbahn – bestenfalls noch auf der Linksabbiegerspur – nach Radwegampel fährt, geht Risiken ein. Wer das Rechtsfahrgebot überinterpretiert, knallt früher oder später in eine sich öffnende Autotür. Und Radwege, oft benutzungspflichtig, wirken wie Unfallmagneten – die Berliner Hauptunfallkreuzungen für Radfahrer sind allesamt solche mit Radwegen. Wie bezieht man Verstöße gegen solche Selbstgefährdungsgebote in die Gefahrenbetrachtung ein?

Die Antwort ist sehr einfach: Es ist ausgeschlossen, alle Verkehrsverstöße zu ahnden oder auszumerzen. Daher muss man die Unfallstatistik mit einbeziehen und die wichtigsten Unfälle betrachten:

Verkehrsverstöße, die häufig zu Unfällen führen, sind schlimmer als solche, die selten zu Unfällen führen.

Und hier wird es interessant. Berlin leistet sich ca. 130.000 Verkehrsunfälle pro Jahr, davon ca. 7.300 (also 5%) mit Radfahrern. Bei einem Modal Split von ca. 33% (Kfz) zu 12% (Radfahrer) ist das durchaus bemerkenswert. Das Kfz wird 2,75 mal so häufig genutzt wie das Fahrrad. Dabei ist es in 17 mal so viele Unfälle verwickelt, großteils mit anderen Kraftfahrzeugen. Schon diese Zahlen lassen erwarten, dass eine Kennzeichenpflicht keinen großen Einfluss auf das Unfallgeschehen haben wird.

Wenn man die durchschnittlichen Streckenlängen mit einbezieht – siehe „Kenndaten zur Mobilität“ (Berliner Stadtentwicklung) – gleichen sich die Werte etwas an. Die durchschnittliche Fahrradfahrt in Berlin wird mit 3,6 km angegeben, die durchschnittliche Autofahrt mit 9,5 km (Daten von 2008). Dementsprechend werden mit dem Kfz in der Summe gut sieben Mal so weite Strecken zurückgelegt wie mit dem Fahrrad. Doch es bleibt bei 17 Mal so vielen Unfällen – trotz Kennzeichen.

Bezieht man die Verursacherquote ein – die die Polizei exklusiv für Radfahrer und Fußgänger, nicht aber für Kfz-Fahrer berechnet – wird die Auswirkung noch dramatischer. So waren im Jahre 2011 in 3.352 Fällen Radfahrer die Hauptverursacher, in 707 Fällen immerhin Mitverursacher. Jedes Wirken in eine Richtung, die Fahrfehler von Radfahrern auf „Null“ reduziert, würde die Berliner Statistik also um etwa 3.300 Unfälle erleichtern. Den regelkonform fahrenden Radfahrern wäre damit kaum geholfen, weiterhin würden 4.000 pro Jahr in Berlin verunglücken.

Wenngleich die Strafverfolgung in einzelnen Fällen erleichtert sein könnte – immerhin 632 Radfahrer flüchteten 2011 nach Unfällen – wird man bei der Unfallvermeidung auf andere Maßnahmen zurückgreifen müssen. Die drastisch höheren Unfallquoten von (kennzeichenpflichtigen) Kraftfahrzeugen lassen erahnen, dass Nummernschilder keinen Einfluss auf das Unfallgeschehen haben.

Die Tatsache, dass Radfahrer unterdurchschnittlich an Unfällen beteiligt sind und keine überdurchschnittliche Unfallverursacherquote (ca. 50%) aufweisen, unterscheidet sie deutlich von Kraftfahrern, die stark überdurchschnittlich am Unfallgeschehen beteiligt sind und zu den Hauptverursachern zählen. Unfallverursachende Unterschiede sind also weniger in der Kennzeichenpflicht zu sehen, sondern wohl vielmehr in den erreichbaren Geschwindigkeiten und im hohen Sicherheitsstandard für Kfz-Insassen bei innerstädtischen Geschwindigkeiten.