Eines vorab: Ich (berlinradler) bin zwar ADFC-Mitglied, unter anderem wegen dem Versicherungsschutz und der regelmäßig zugesandten „Radzeit“, bin aber nicht aktiv. Daher kann ich nicht offiziell für die Fahrradsternfahrt schreiben. Dennoch fahre ich jedes Jahr mit und in den Jahren, in denen es aus beruflichen Gründen nicht ging, war ich immer wenigstens gedanklich dabei.
Ereignisse wie die Fahrradsternfahrt polarisieren. Sollen die Radfahrer sich doch erstmal an die Regeln halten, bevor sie Verbesserungen für sich einfordern. Man kann doch nicht die ganze Stadt lahmlegen und exklusiv den Radfahrern vorbehalten. Demonstrationen sollen bitteschön irgendwo jwd erfolgen und nicht immer den Verkehr so stören.
Die entsprechenden Onlinediskussionen, zum einen in Tageszeitungen, aber durchaus auch in vereinzelten Kommentaren hier im Blog, zeigen ein kurioses Bild: Wird die Meinungsfreiheit einerseits sehr hoch bewertet – immerhin gingen dafür Ende der 80er Jahre Hundertausende DDR-Bürger auf die Straße und riskierten Gewalt und Gefängnis – so gibt es heute viele Stimmen, deren Forderung man gar nicht anders zusammenfassen kann: Demonstrationsfreiheit aufheben oder einschränken, um den (Auto-) Verkehr weniger zu stören. Absurd, aber durchaus ein häufig zu vernehmender Tenor. Doch was bringt eine Demonstration, die keiner sieht?
Ich habe mich schon oft gefragt, warum ich dem Thema der Verkehrspolitik so viel Relevanz beimesse. Schließlich gibt es auch andere Politikfelder, die ebenfalls Einfluss auf mein Leben haben. Aber letztendlich ist die Antwort einfach: Tagtäglich bin ich mit Situationen konfrontiert, die unnatürlich, störend und angsteinflößend sind. Zum einen ist das die ständige Antipathie unter den Verkehrsteilnehmern, die groteske Züge annimmt. Man stelle sich einen Supermarkt vor, in dem die Leute sich ständig überall mit ihrem Einkaufswagen vordrängeln und von vornherein als Feinde betrachten. In dem verbale Kommunikation durch eine Hupe und primitive Gesten ersetzt würde. Das wäre skurril. Der Straßenverkehr holt aus uns – unabhängig vom Bildungsgrad – geradezu animalische Verhaltensweisen heraus.
Fast noch mehr als die bis Ende der 90er Jahre reichende Verkehrspolitik, die Radfahrer weitgehend aus dem Sichtfeld ausklammerte, ärgert mich die heutige, schlecht gemachte, angeblich fahrradfreundliche Verkehrspolitik. Da werden Radstreifen in superbreite Straßen gepinselt, um dann genau in den Engstellen zu enden. Da werden vom Senat Radverkehrsrouten eingeführt und beschildert, um dann jahrelang umleitungsfrei unter Baustellen zu verschwinden. Da wird die Frage in der öffentlichen Diskussion ignoriert, ob Radstreifen das Problem mit tödlichen Rechtsabbiegerunfällen überhaupt beheben können. Und ein Staatssekretär Christian Gaebler stellt sich hin und verkündet, nun „Fahrradbeauftragter“ zu sein. Kurzum: Man meint es zwar durchaus ernst mit den Radverkehrsinteressen, zumindest in der Berliner Landespolitik. Doch man kennt die Bedürfnisse nicht und will sie dann nicht befriedigen, wenn dafür Kompromisse zu Lasten des Autoverkehrs gemacht werden müssten. Und in manchen Punkten (Fahrradbeauftragter) nimmt man den Bürger nicht ernst.
Das System „auf Teilstrecken 50 km/h, dafür an Kreuzungen stehen und warten“, das in Durchschnittsgeschwindigkeiten von 20-30 km/h für den Autoverkehr resultiert, verlangsamt nicht nur alle anderen Verkehrsteilnehmer. Es gefährdet sie auch. Nach wie vor ist der Hauptunfallgegner des Radfahrers das Auto. Und es ist auch Hauptunfallverursacher. Das Risiko des eigenen Fehlverhaltens überträgt der Autofahrer in der Stadt auf Fußgänger und Radfahrer. Praktisch und bequem. Und völlig ungerecht! Dem wird noch die Krone aufgesetzt, indem Radfahrer, die in Berlin ca. 5.000 Unfälle im Jahr verursachen, als Rowdies hingestellt werden und Kraftfahrer, die über 100.000 Unfälle im Jahr verursachen, aus ihrer guten Ampelbeachtung schlussfolgern, immer korrekt zu fahren. Bußgelder sind gesellschaftstauglich und stehen nicht etwa für eigenes Fehlverhalten, sondern für behördliche Gängelung.
Ich halte mich an die Verkehrsregeln und stehe dennoch als Prügelknabe da. Keine Chance auf eine andere Wahrnehmung, egal was ich mache. Dafür kann ich jeden Tag aufs neue überlegen, ob ich hinter einem Falschparker auf der Busspur anhalte oder ihn überhole – dabei aber immer (ja, IMMER!) wieder so knapp überholt werde, dass jedes unvorhersehbare Ereignis mein Ende bedeuten kann. Ich kann mich über neue Radstreifen „freuen“, die in bisher gemütlichen Nebenstraßen dafür sorgen, dass ich nun rechts von den Rechtsabbiegern stehe. Und die den Autofahrer gegen mich aufbringen, sobald ich den Streifen verlasse, um mich als Linksabbieger einzuordnen. Dankbar soll ich sein, wenn da etwas mehr als ein Meter Breite für mich und all die anderen Radfahrer reserviert ist, obwohl wir schon die Mehrheit in vielen Straßen sind.
Ich denke, es wird noch viele Fahrradsternfahrten geben. Und solange ich so unzufrieden bin wie zur Zeit, werde ich immer mitfahren. Mein Mitleid für Menschen, die nicht einen einzigen Tag ohne Auto auskommen können, hält sich in Grenzen. Denn das können ja nur die sein, die die Probleme verursachen, indem sie eben ausschließlich das Auto nutzen und nicht mal an solchen Tagen auf S- und U-Bahn oder das Fahrrad umsteigen können.