Ein häufig zu hörender Kritikpunkt an der aktuellen Verkehrsgestaltung ist der Vorwurf des zu komplizierten Schilderwaldes. Werden Fernsehsendungen oder Zeitungsartikel dazu dann konkret, offenbart sich oft ein erschreckendes Ausmaß an Unwissen der Verkehrsteilnehmer. So musste der damalige Verkehrsminister Peter Ramsauer in einer „Hart aber fair“-Sendung zugeben, einfache Schilderkombinationen nicht nachvollziehen zu können, er nannte das Lesen der beispielhaft gezeigten Verkehrszeichen gar „Sterndeuterei“.
Interessant ist auch eine Mex-Sendung vom 29.10.2014. Die zeigt als Beispiele für komplizierte Schilder Einbahnstraßen mit Radfahrerfreigabe oder das Aufheben einer Tempo-30-Zone mit anschließender Tempo-30-Anordnung.
Neben einigen nachvollziehbaren Fällen widersprüchlicher oder schwer nachvollziehbarer Beschilderung kommt in Minute 1:58 das Beispiel einer Ausschilderung zum Parken. Ein „Absolutes Halteverbot“ (Z283) ist kombiniert mit einem Schild „Parken längs ganz auf rechtem Gehweg“ (Z 315-65). Eine redundante Ausschilderung, denn das eine Schild verbietet das Parken auf der Fahrbahn, das andere erlaubt es auf dem Gehweg. Befragte Autofahrer zeigen sich vollkommen hilflos: „Das geht eigentlich überhaupt gar nicht“, aber „ich weiss, dass ich hier parken darf, also mehr gefühlsmäßig“.
Der Verkehrsanwalt des ACE, Peter Sermond, zieht denn auch eine erschreckende Bilanz: „Der Anteil der Autofahrer, die überhaupt nicht mehr auf Schilder achten, ist unglaublich hoch, viele Autofahrer […] blenden Schilder komplett aus.“ Das wiederum will so gar nicht zu der medial immer wieder behaupteten besonderen Regeltreue von Autofahrern passen, die sich angeblich so viel besser als alle anderen Verkehrsteilnehmer benehmen. Vielmehr klingt es nach weit verbreitete Regeluntreue, für das man den Verkehrsbehörden die Schuld in die Schuhe schieben will.
Es gibt manchmal fehlerhafte oder widersprüchliche Ausschilderung, aber die STVO und ihre Verkehrszeichen sind prinzipiell so gestaltet, dass sie erfassbar und verständlich sind. Vollkommen ohne Zusatzschilder (z.B. Radfahrer frei, 3,5 Tonnen o.ä.) geht es aber nunmal nicht und die Vergabe des Führerscheins sollte wohl stärker an der Verständnisfähigkeit der Verkehrsteilnehmer orientiert werden. Wer gerade mal Symbole aus einem Baby-Bilderbuch versteht, gefährdet sich und andere!
ARD Mediathek, Mex-Sendung vom 29.10.2014: „Verirrt im Schilderwald“
Mit der Begründung „Schilderwald abbauen“ habe ich schon einen Verhinderungsversuch der Lichtenberger Verkehrsbehörde erlebt, eine Einbahnstraße in Gegenrichtung freizugeben. Gleichzeitig hat man einen Umweg über einen schmalen Gehweg mit „Radfahrer frei“ in beiden Richtungen freigegeben. Da durften scheinbar neue Schilder angebracht werden. Viele Schilder dürften sich erübrigen, wenn mehr generelle Regelungen angewendet würden. Tempo 30 wäre so ein Beispiel, generell alle Einbahnstraßen für Radfahrer freigeben ein weiteres und auch Parkregelungen ließen sich sicher vereinfachen.
Die Begründung “Schilderwald abbauen” hat auch ein Polizeibeamter gebracht, der meinte, dass auf der Otto-Suhr-Alle durchgängig Benutzungspflicht für den Radweg herrsche. Dort gibt es ungefähr an jeder zweiten abzweigenden Straße ein Z237. Dummerweise aber eben nicht nach den großen Kreuzungen. Die Regelung, dass es nun nicht mehr nach jeder Abzweigung stehen muss, gibt es aber tatsächlich.
@Karsten Strupp:
Wenn der Radweg bei der Einmünung endet und nach der Kreuzung ein neuer Radweg beginnt, dann ist der Radweg nach der Kreuzung natürlich nur dann benutzungspflichtig, wenn auch ein Schild da steht.
Die Kombi “Absolutes Halteverbot” (Z283) mit einem Schild “Parken längs ganz auf rechtem Gehweg” (Z 315-65) dürfte aus Sicht der anordnenden Behörde einfach zu erklären sein:
Erst gab es nur das Z 315-65. Aber Autofahrer haben trotzdem auf der Fahrbahn geparkt und „den Verkehr“ dadurch behindert. Für diese Autofahrer wurde dann Z283 zusätzlich installiert.
@Markus, was mir im Nachhinein noch einfiel: Natürlich verbietet Z283 auch das Halten, Z315-65 tut das nicht. Im Blogeintrag schrieb ich, dass die Schilder teilweise redundant sind, das stimmt so aber nicht. Tatsächlich ist das die einzig mögliche Beschilderung, wenn man neben dem Parken auf der Fahrbahn auch das Halten unterbinden möchte. Den Schilderwalt abbauen könnte man an der Stelle also nur dadurch, dass man Einschränkungen (Halteverbot) oder Möglichkeiten (Parken auf dem Gehweg) wegnimmt.
Und @Jakob, normalerweise gebietet der gesunde Menschenverstand, was Du schreibst und sagt auch, dass das, was ein Polizist gegenüber Karsten geäußert hat, Quatsch ist. Wie soll sonst jemand, der gerade aus einer Straße einbiegt, wo das Benutzungspflichtschild fehlt, wissen, dass er dennoch den Radweg benutzen soll?
Dennoch, vor Gericht kann das durchaus anders gesehen werden: http://www.radfahren-in-koeln.de/2014/05/29/zwischenfaelle-03-spektakel-vor-gericht/ Da meinte eine Richterin, dass eine Benutzungspflicht für die gesamte Länge eines Radweges gilt, egal ob Straßen einmünden, nach denen kein Blauschild mehr steht. Die Benutzungspflicht müsse explizit aufgehoben werden. Der in dem Beispiel vor Gericht gezogene Radfahrer musste zwar das Bußgeld wegen Nichtbenutzung eines „benutzungspflichtigen“ Radwegs nicht bezahlen, hätte nun nach der Gerichtsverhandlung aber Kenntnis von der Benutzungspflicht und müsse diese trotz fehlenden Blauschildes beachten.
Danke, berlinradler, nach dem Link war ich gerade auf der Suche. Der war hier im Forum ja schonmal erwähnt.
Köln ist halt Vorreiter oder Schlusslicht. Je nach Standpunkt, aber immer für eine Extremsicht gut.
Da gibt es aber auch noch aus anderen Städten nette Geschichten. In Trier kollidierte vor ein paar Jahren (SWR3 hat berichtet) eine Radfahrerin mit einem rechtsabbiegenden PKW.
Sie war der Meinung, einen Hochbordradweg benutzt zu haben. Im Urteil bekam sie jedoch eine Mitschuld zugesprochen, da keinerlei Beschilderung (Z237) oder Fahrradpiktogramme vorhanden waren, dieser daher kein Radweg sei und sie damit regelwidrig auf dem Gehweg gefahren ist.
Ich bin seit längerem auf der Suche nach diesem Urteil. Wer’s findet, kann ja mal Bescheid geben.
@Michael, vielleicht ist Köln ja Vorreiter in Sachen Schlusslicht. 🙂
@Karsten, in de.rec.fahrrad findet sich noch eine Diskussion darüber, der SWR3-Link funktioniert nicht mehr:
https://groups.google.com/forum/#!searchin/de.rec.fahrrad/trier/de.rec.fahrrad/NONwsvRsbQI/wu5N53j-ryQJ
So wirds sein 😀
Marco von http://www.radfahren-in-koeln.de schadet letztlich dem Ruf der Stadt, wenn er versucht, die Kölner Bemühungen in dieser Richtung zu torpedieren. Schande über ihn, in Handschellen abführen, solche Leute (http://www.radfahren-in-koeln.de/2014/03/06/zwischenfaelle-02-radweg-nicht-benutzt-in-handschellen-abgefuehrt/).
@ Karsten: Ja, einzelne Absurditäten finden sich wohl immer wieder, aber wenn ich mich nicht täusche, gibt es aus Köln Rechtstexte aus römischer Zeit, die den Vorrang von vierrädrigen PS-starken Wagen gegen die mit Menschenkraft betriebenen zweirädrigen Karren festzurren. 😉 Gehört sozusagen zum Gründungsmythos dieser Stadt.
Ich verstehe auch nicht immer die Schilderkombinationen:
http://www.hamburgize.blogspot.de/2014/11/der-reale-irrsinn.html
Muss vielleicht mal Herrn Ramsauer bzw. jetzt Herrn Dobrint fragen…
Hier frage ich mich auch jedes Mal, ob ich nun in Schrittgeschwindigkeit fahren muss oder es ein sonstiger Radweg ist:
http://verkehr-absurd.startbilder.de/bild/Verkehr+mit+dem+Fahrrad~Beschilderung~unsinnige+Schilder/185939/radweg-ohne-benutzungspflicht-oder-gehweg-mit.html
@berlinradler:
laut ausschilderung darfst du nur mit Schrittgeschwindigkeit, dafür aber überall fahren 😉
Bleibt ja noch die Straße, wenn du dich traust…
PS: meinte „Fahrbahn“
@Bob Willis, die Wahlfreiheit ist mir klar. Die Ausschilderung hingegen finde ich sehr ungewöhnlich. Ob der Gehweg in gesamter Breite auch mit dem Rad befahren werden darf oder nur dort, wo früher der Radweg war, kann ich daraus zumindest nicht ablesen.
Dabei hätte man:
– Jede Beschilderung weglassen können. Dann wäre klar, dass das ein ganz normaler, aber nicht benutzungspflichtiger Radweg ist-
– Den Radweg erkennbar so umgestalten können, dass er Teil des Gehwegs wird, und diesen dann mit Radfahrerfreigabe auf ganzer Breite ausstatten können.
Ich will kein Korinthenkacker sein, aber solche Individuallösungen wie in dem Bild halte ich für unnötig und ich habe Zweifel daran, dass sie tatsächlich zulässig sind. Zumindest widerspricht es dem normalen Menschenverstand und auch der üblichen Straßengestaltung, bei der ein Radweg entweder benutzungspflichtig ist oder nicht. Vergessen darf man auch nicht, dass unklare Straßengestaltungen im Falle eines Unfalls zu unbedachten Haftungsfolgen für Radfahrer führen können (Vorwurf, zu schnell gefahren zu sein).