Bußgeld-Ärger um Critical Mass: Radfahrer setzen sich für gemeinsame Gerichtsverhandlung ein

Im letzten Jahr im Mai gab es auf der Critical Mass in Leipzig massive Probleme mit der Polizei, die CM wurde durch einen Polizeieinsatz beendet. Seitdem ist eine Menge Papierkram zwischen Bußgeldbehörde, RadfahrerInnen, Amtsgericht, Anwalt undsoweiter hin- und hergegangen. Momentan ist noch alles offen, es gibt eingestellte Verfahren, es gibt Vorladungen … Eine Gruppe aus gerichtlich Vorgeladenen und Zeugen des Vorfalls im Mai haben heute eine Pressemitteilung herausgegeben, um auf die krassen Verfahrensunterschiede in der Sache aufmerksam zu machen:

Bußgeld-Ärger um Critical Mass in Leipzig

Mehr als 25 Bußgeldbescheide hatte das Leipziger Ordnungsamt einer „Critical Mass“ genannten Radtour im Mai vergangenen Jahres verschickt. Der Vorwurf: Die Radfahrer sollen eine Ampelkreuzung bei Rot überquert haben. Einen Punkt in Flensburg und 68,50 Euro sollte das jeweils kosten. Mindestens 14 Betroffene wollten das nicht hinnehmen und widersprachen ihrem Bußgeldbescheid. Jetzt kommt es des­wegen zu den ersten Verhandlungen am Amtsgericht.

Radfahrer setzen sich für gemeinsame Gerichtsverhandlung ein

Bisher ist für jeden Betroffenen ein eigener Gerichtstermin angesetzt. Die einzeln Vorgeladenen setzen sich aber dafür ein, dass alle Verfahren zusammen verhandelt werden. „Das wäre für alle Seiten sinnvoll, weil zum Beispiel die Zeugen nur einmal gehört werden müssten“, sagt der Betroffene Falko Lange. Das würde Zeit und Geld sparen. Eine Verhandlung sei nun mal preiswerter als die bisher geplanten neun. Dazu kommt, dass beantragt wurde, alle Teilnehmer und Polizeibeamte als Zeugen zu vernehmen. Das würde bedeuten, dass die Zeugen zu jeden Termin aufs Neue geladen werden müssten, mit den entsprechenden Kosten für die Staatskasse.

„Wir wollen mit der Verfahrenszusammenlegung auch erreichen, dass alle Betroffenen gleich behandelt werden, denn schließlich trifft alle derselbe Tatvorwurf“, ergänzt Rechtsanwalt Jürgen Kasek.

Gravierende Verfahrensunterschiede bei identischem Vorwurf

Doch schon jetzt gibt es große Unterschiede, wie die einzelnen Richter mit den Verfahren umgehen. So wurden drei Verfahren gänzlich eingestellt. Andere Betroffene wurden aufgefordert, sich gezielter zum Sachverhalt der gemeinsamen Radfahrt zu äußern. Andere Richter haben ‚ihren‘ Betroffenen aber auch empfohlen, die Wider­sprüche zurückzuziehen. „Das verstehe ich nicht“, sagt Claudia Müller, die auch so eine Empfehlung bekommen hat. „Unsere Widersprüche sind begründet. Zahlreiche Mitfahrer werden vor Gericht bezeugen, dass unsere Gruppe an der Kreuzung Grün hatte.“

Damit widersprechen sie den Aussagen der Polizisten, die den vermeintlichen massenhaften Rotlichtverstoß angezeigt hatten. Die Bereitschaftspolizisten behaupten, dass die gut 70 Teilnehmer Critical Mass Ende Mai vergangenen Jahres bei Rot über die Kreuzung Uferstraße / Pfaffendorfer Straße in Richtung Emil-Fuchs-Straße ge­fahren sind. Die Einsatzkräfte hatten die Radfahrer kurz nach der Kreuzung gestoppt und die Personalien der Teilnehmer aufgenommen.

Somit steht Aussage gegen Aussage. Abhilfe könnten Videomitschnitte der Polizei bringen. „Viele Teilnehmer haben beobachtet, wie die Polizisten unterwegs mit einer Video­kamera gefilmt haben“, so Rechtsanwalt Jürgen Kasek. „Ich habe für meinen Man­danten beantragt, dieses Video als Beweismittel heranzuziehen. Darauf sollte gut zu erkennen sein, dass die Radfahrer bei Grün gefahren sind.“ Bisher werde ein solches Video aber nirgends in den Akten erwähnt. „Sollte das Video nicht mehr vorhanden sein, werden wir beantragen, das Verfahren wegen Vernichtung von Beweismitteln einzustellen“ so Kasek weiter.

Hintergrund: „Critical Mass“

Im vergangenen Jahr wurde die Leipziger Critical Mass von Seiten der Polizei sehr unterschiedlich behandelt. Neben den zahlreichen Anzeigen im Mai und einem reibungslosen Ablauf im Juni, wurde den Teilnehmenden im Juli die Möglichkeit genommen, überhaupt zu starten; unter Androhung von Bußgeldern und unter umfangreicher Polizeiaufsicht schoben diese ihre Räder durch die Stadt. Im August gestaltete sich die Critical Mass als Wechselspiel unterschiedlicher Anweisungen seitens der Polizei, zu einem Zeitpunkt, an dem sich Leipziger Medien der Angelegenheit stärker an­nahmen. Nach einem Gesprächsangebot des Leipziger Polizeipräsidenten Horst Wawrzynski und einem entsprechenden Treffen mit einigen Radfahrern im Sep­tember hat sich die Lage deutlich entspannt. Die Radfahrten finden nach wie vor mit Polizeibegleitung statt, dabei werden aber deutlich weniger Beamte eingesetzt, zudem setzt man auf Gesprächsbereitschaft und spontane Absprachen.

Die Idee der Critical Mass entstand 1992 in San Francisco. Dort verabredeten sich Rad­fahrer, um gemeinsam Präsenz auf den Straßen zu zeigen. Seitdem gibt es weltweit ähn­liche Aktionen. Bei einer Critical Mass gibt es keinen Organisator, nur einen Termin, meist der letzte Freitag im Monat. Die nächste Critical Mass in Leipzig ist demnach am 29. Januar. Treffpunkt ist um 17:30 Uhr auf dem Augustusplatz.

RadLE: Bußgeld-Ärger um Critical Mass: Radfahrer setzen sich für gemeinsame Gerichtsverhandlung ein

13 thoughts on “Bußgeld-Ärger um Critical Mass: Radfahrer setzen sich für gemeinsame Gerichtsverhandlung ein

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  1. in deutschland muss halt alles nach festen regeln ablaufen. alles andere überfordert den staat und führt dann zu schwerbewaffneten beamten. hurra, deutschland.

  2. naja die aktuelle entwicklung zeigt ja, dass es so nicht sein muss. leider muss man die law and order fraktion viel zu oft mit schlechter presse an den verhandlungstisch zwingen und siehe da, es geht auch ohne einsatzhundertschaft, geknüppel und evtl. unberechtigeten Anzeigen*.

    *Das es da nur ganz vieleicht und mit Sicherheit nur unter völlig falsch verstandenen Bedigungen zu Falschaussagen mehrer hochintegrer Beamter gekommen ist, wage ich ja nur in Ansätzen zu denken. Von Vorsatz kann in dem Zusammen hang ja sowieso nicht die Rede sein. undenkbar sowas!

  3. würden fahrradpolizisten bei der polizei der normalfall sein, käme es vermutlich gar nicht so weit

  4. […] /dev/random http://www.rad-spannerei.de/blog/2010/01/18/bussgeld-aerger-um-critical-mass-radfahrer-setzen-sich-fuer-gemeinsame-gerichtsverhandlung-ein – view page – cached Im letzten Jahr im Mai gab es auf der Critical Mass in Leipzig massive Probleme mit der Polizei, die CM wurde durch einen Polizeieinsatz beendet. […]

  5. @ philip … sagen wirs mal so, die ganze sache riecht einfach zu sehr nach schmu um Teilnehmer nachhaltig von CMs abzuschrecken, als nach einem ploeden kleinen verkehrsinterkulturellen Missverständnis. da helfen dann auch keine freunde und helfer mit radfahrbegeisterung mehr.

  6. interessant ist auch, ob bei gemäßigtem tempo 70 teilnehmer innerhalb einer rotphase über den kreuzungsbereich kommen – ich denke da liegt ein guter ansatzpunkt für den rechtsbeistand. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, das die ersten des verbandes bei grün gefahren sein müssen ist lediglich der passus bzgl des verbandes vor gericht zu verteidigen.

    however. ick wünsch dem anwalt gute besserung und den leipzigern gerechtigkeit. und den cops nen trainingsraum. wissen ja nich wohnin mit der energie.

  7. Trainingsraum? … Ich wüsste, was die Polizei mit ihrer überschüssigen Energie anfangen könnte! – Gestern hat man mir meinen Brooks Flyer Special (gerade eingefahren) gestohlen!

  8. Warum gibt es eigentlich keine Critical Mass in Berlin? Leipzig kriegt das anscheinend auch im Januar gebacken, warum nicht wir?

  9. Es gibt doch eine. Bestand leider in der Vergangenheit mehrheitlich aus Teilnehmern, die auf maximalen Stress aus waren und keinerlei Böcke hatten, sich an irgendwelche Verkehrsregeln zu halten. Das hat viele „Normalos“ abgeschreckt. Und 20-30 Hanseln fallen im Berliner Stadtverkehr eben nicht besonders auf. Solche Gruppen gibts zumindest im Sommer im Berufsverkehr auch ganz ohne Aufruf.

  10. @ abwrackprämie:
    AMEN

    ab dem frühling ist im berufsverkehr auf einigen strassen eh critical mass 😉
    in der bergmannstrasse auch den ganzen tag lang 😀

  11. Wieso „eingestellt wegen Beweisvernichtung“?

    Wenn da ein Video existierte und das nun weg ist, sollte wohl eher ein Verfahren wegen Beweisvernichtung aufgemacht werden.

    Was lernen wir daraus? Immer selbst mitfilmen. War ja auch in Berlin im September gut zu sehen.

  12. Nachdem ein Verfahren von letzter Woche auf bisher unbestimmt verschoben wurde und zwei weitere Fälle eingestellt wurden, findet heute die erste Verhandlung in der Angelegenheit statt.

    Es bleibt spannend, scheinbar sind gerade einige Briefe mit Einstellungsbescheiden unterwegs… mal sehen ob der für heute Vorgeladene noch rechtzeitig so eine Post bekommt oder aber tatsächlich verhandelt wird…

  13. Die heutige Verhandlung fand nicht statt. Das Verfahren wurde ebenfalls eingestellt, der Vorgeladene erfuhr davon bisher nicht per Post, sondern vor Ort in den Gängen des Gerichts.

    Eingestellte (uns bekannte) Verfahren: 7
    Noch offene (uns bekannte) Verfahren: 6 (davon 3 vermutlich auch bald eingestellt)

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