Die Unfallstatistik für Radfahrer im Tagesspiegel

In mehr als der Hälfte der Fälle der Verkehrsunfälle sind die Radfahrer selbst schuld. Diese Fehlauswertung der Berliner Unfallzahlen beglückt uns nicht nur jährlich in der Unfallstatistik Radfahrer der Berliner Polizei (PDF). Auch der Tagesspiegel übernimmt die Zahl unhinterfragt. Die Zahl entsteht, wenn man alle Verkehrsunfälle (des Jahres 2009) mit Radfahrerbeteiligung zusammenzählt (7056) und sie der Anzahl der radelnden Unfallverursacher (Haupt- und Mitverursacher: 4089) gegenüberstellt. Heraus kommt ein Schuldanteil von 57,95%, der aber unterschlägt, dass auch Unfälle unter Radfahrern einbezogen sind. Unfälle unter gleichartigen Verkehrsteilnehmergruppen sind von dieser Gruppe naturgemäß zu 100% selbst verursacht.

Der so ausgerechnete Verursacheranteil ist nur sehr begrenzt brauchbar – und für Pkw fast gar nicht auszurechnen, da auf Pkw aufgeschlüsselte Angaben in der Gesamtunfallstatistik der Berliner Polizei (PDF) schlichtweg fehlen. Bliebe nur ein mühseliges Zusammenrechnen anderer Zahlen.

Brauchbar ist ein direkter Vergleich der Unfallbeteiligten.

So wurden von 4647 Verkehrsunfällen zwischen Kfz und Radfahrern 2999 vom Kraftfahrer hauptsächlich verursacht, wie folgende Grafik verdeutlicht.

Unfallverursacher bei Unfällen zwischen Pkw und Fahrrädern, Berlin 2009

Bei Unfällen zwischen Fußgängern und Radfahrern (483, davon 203 hauptsächlich von Fußgängern verursacht) sieht das Bild für Radfahrer hingegen wenig rühmlich aus:

Unfallverursacher bei Unfällen zwischen Radfahrern und Fußgängern, Berlin 2009

Unfälle zwischen Radfahrern kann man indirekt aus der Unfallstatistik ablesen, indem man die Gesamtanzahl der Unfälle (7056) von der Gesamtzahl an Unfällen beteiligten Radfahrer (7452, vgl. S. 20 der Statistik) abzieht. Heraus kommt 396. Da bei einem Unfall zwischen Radfahrern immer ein Radfahrer schuld ist, wurden 396 dieser Unfälle von Radfahrern verursacht. Diese Zahl ist zwar nicht brauchbar, wird von Polizei und Tagesspiegel aber indirekt verwendet, indem sie in die Gesamtzahl aller Unfälle einfach mit einfließt. Grafisch veranschaulicht:

Unfallverursacher bei Unfällen zwischen Radfahrern, Berlin 2009

So genau hat man die Zahlen beim Tagesspiegel leider nicht analysiert, dafür gibt es als Ersatz zahlreiche Einzelfall-Beispiele, bei denen Radfahrer erwartungsgemäß nicht gut wegkommen.

Tagesspiegel: Radfahrer sind oft selbst schuld an Unfällen

16 thoughts on “Die Unfallstatistik für Radfahrer im Tagesspiegel

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  1. Hab gerade bei SZ.de folgenden Artikel gesehen. Der Kommentar am Ende bedient alle Klischees! Gibt es nicht bei Tagesspiegel immer Macthepirate als berüchtigten Kommentator? Der Kommentar dort ist von Mac…… .

    http://www.sueddeutsche.de/bayern/urteil-in-augsburg-mehrjaehrige-haftstrafe-fuer-rache-fahrt-1.967421

  2. @GreenHU, eine sehr interessante Frage in diesem Zusammenhang wäre in meinen Augen, wie viele Straftaten dieser Art letztendlich als „Verkehrsunfälle“ geahndet werden.

  3. So funktionieren die Massenmedien, es geht nicht um das Abbilden der Realität, sondern darum etwas was man als solche gerne sähe als Realität zu verkaufen, dazu „interpretiert“ man dann Statistiken gerne etwas großzügiger. Wie jedes Jahr im Sommer sind dann wieder Radfahrer beliebtes Ziel solcherart „Berichte“ und „Analysen“ die zu Absolutionszwecken der Auto- und Autofahrerlobby in den Medien auftauchen, im Winter ist dann wieder der ÖPNV dran. Soweit also alles ein alter Hut, das Papier nicht wert auf des es gedruckt wurde, nur leider glauben zu viele Leute was in der Zeitung steht.

  4. Dazu muss man aber sagen – der Tagesspiegel hat durchaus auch fahrradkundige Autoren, selbst Themen wie die Gefahren der Radwege wurden schon angesprochen. Liest man Artikel von Jörn Hasselmann, so sieht man auch eher aussagekräftige Zahlen.

    Ich weiss gar nicht, ob man bei diesem Artikel sauer auf die Journalisten sein kann. Sie werden eine Polizeistatistik als sachliche Quelle annehmen und vielleicht nicht auf die Idee kommen, dass hier die Zahlen absichtlich (oder aus Unwissenheit) falsch ausgewertet wurden.

    Vielleicht sollte man sich mit diesen Kritikpunkten auch mal an die Polizei wenden, das wollte ich schon lange mal tun, aber ist halt viel Arbeit, die Kritik stichhaltig zu begründen.

    Klar ist – die nackten Zahlen müssten entweder völlig neutral ausgewertet werden oder überhaupt nicht. Bei den Unfallursachen der Kraftfahrer wird beispielsweise im Fließtext jede einzelne relativiert und immer eine Mitschuld der Radfahrer dazukonstruiert. Neutral sieht anders aus.

  5. Ich frage mich so langsam ob man gegen diese Praxis, tendenziöse Statistiken zu veröffentlichen nicht mal vorgehen kann. Eine Organisation wie z.B. der ADFC hätte ja hoffentlich genug Gewicht, das zu fordern. Selbst wenn die Praxis nicht geändert würde, wüsste man hinterher wenigstens, ob das mit Absicht geschieht, um das Bild der Rambo-Radlers zu zementieren oder aus Dillettantismus.

    Die Kommentare im SZ-Artikel, den GreenHU anführt, sind übrigens mittlerweile deaktiviert und gelöscht. Wenn die ähnlich waren wie in der AZ, dann ist es besser so. Manchmal frag ich mich echt, mit was für Gestalten wir uns die Strasse teilen müssen.

  6. In der Leipziger Volkszeitung war gestern ein ähnlicher Artikel mit dem Leiter des Verkehrsunfalldienstes zu finden, auch ein ziemlicher Quatsch. Wenigstens sind ein paar unverfälschte Zahlen enthalten.

    Insgesamt kam es zu 1019 Unfällen mit einem Hauptschuldanteil von 44% bei den Radfahrern. Die anderen 56% teilen sich zwischen Autofahrern, LKW und Fußgängern auf. Die Hauptunfallursachen bei Radfahrerschuld sind Geisterradeln (14% vom Gesamtunfallgeschehen), Vorfahrtmissachtungen und Alkoholfahrten der Radler (je 4%). Rotlichtverstöße der Radfahrer tragen lediglich mit 1,3% zum Unfallgeschehen bei – von wegen böser rotfahrerender Radnazi. 4,3% der Unfälle mit Personenschaden sind übrigens durch unachtsam geöffnete Autotüren verursacht worden. Laut Aussage des Polizisten wurden dadurch zwei Radler schwer verletzt und einer getötet.

    Der werte Herr Berger zeigt in dem Interview aber auch seine Inkompetenz. Auf die Frage „Was raten Sie zur Unfallprävention?“ antwortet er mit der Aufforderung nach heller Kleidung und Beleuchtung, Weiterbildung in der StVO und Grünphasennutzung der Radler. Kein Wort über zu veränderndes Verhalten des Hauptunfallverursachers. Aber was will man von jemandem erwarten, der Kollisionen mit baulich getrennten Radwegen vermeiden will?

  7. Wahrscheinlich stehe ich auch in der Statistik. Immerhin läuft gegen mich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verursachung eines Unfalls mit Personenschaden und Missachtung eines Bevorrechtigten in einer RvL-Situation. Soweit hat die Statistik also recht.

    Der Unfall sah allerdings so aus, dass ich mich erschrak, weil hinter einer Hausecke plötzlich einer angeschossen kam (der ist mehr als 30 gefahren), ich meine Vorderradbremse zu doll zog und auf Helm und Ellenbogen landete. Direkt vor seinem Kühler, da er rechtzeitig gebremst hat. Ich will hier nicht diskutieren, ob ich die ganze Schuld, oder nur zu 80% Schuld war. Worum es geht: Ich bin der Personenschaden, sein Auto hat nichtmal nen Kratzer.

    Die nicht gelöschten Kommentare bei SZ.de haben den Tenor: Die arme Frau, ihr Verhalten sei verständlich, daher ist die Strafe viel zu hart. Die gelöschten Kommentare meinten sinngemäß, komisch dass solche Aktionen nicht häufiger passieren. Und vielleicht sollte ab und zu mal ein Autofahrer überreagieren, damit die Radfahrer endlich lernen, dass Rückspiegellackierungen zu respektieren sind.

  8. „Wenigstens sind ein paar unverfälschte Zahlen enthalten.

    Insgesamt kam es zu 1019 Unfällen mit einem Hauptschuldanteil von 44% bei den Radfahrern. Die anderen 56% teilen sich zwischen Autofahrern, LKW und Fußgängern auf. “

    @MartinLE:

    Fall nicht auch noch drauf rein. Das sind KEINE unverfälschten Zahlen. Denn in den 100% der 1019 Radunfälle sind auch Unfälle auschließlich zwischen Radfahrern sowie Alleinunfälle von Radfahrern enthalten. Und dass bei diesen beiden Typen von Radunfällen immer ein Radfahrer die Hauptschuld trägt ist… logisch.

    Stell dieselbe Statistik für Kfz auf und Du landest bei 99,8 Hauptschuldanteil beim Kfz-Fahrer…logischerweise. Irgendwelche Schlüsse aufs Fahrerverhalten lassen sich aber weder aus der Radfahrer- noch aus einer solchen Autofahrerstatistik ziehen.
    Es handelt sich bei so einer „Statistik“ schlicht um manipulativen Komplett-Nonsense

  9. @chris, ich schreibe gerade an einem nächsten Blogartikel, der diese Zahl tatsächlich für Pkw ausrechnet. Wär nett wenn Du da rüberschauen könntest. Ich komm dabei auf 77,3%.

  10. […] Artikel “Die Unfallstatistik für Radfahrer im Tagesspiegel” habe ich auf eine häufig zu findende Fehlauswertung von polizeilichen Unfallstatistiken […]

  11. Stimmt Chris, die hatte ich völlig vergessen. Also Kommando zurück, doch keine unverfälschten Zahlen. Was sich aber, denke ich, trotzdem sehr gut mit den Zahlen zeigen lässt, ist, dass Geisterradeln relativ gefährlich ist, während das so häufig angeprangerte Rotlichtvergehen kaum Gefahrenpotential bietet.

  12. […] bemängelt. Die Zahlen werden u.a. für den Radverkehr gesondert aufbereitet und dabei mit fragwürdigen Interpretationen und tendenziell fahrradfeindlichen Nebensätzen, die Radfahrern eine Mitschuld an allen Unfällen […]

  13. Dies ist auch bundesweit der Fall, besonders bei Unfällen mit Pkw oder Lkw sind Radfahrer weit überwiegend die Unfallopfer:

    „Von den insgesamt 79 658 „Fahrradunfällen“ mit Personenschaden waren 16% Alleinunfälle. Bei 3,3% der Unfälle
    waren mindestens drei Verkehrsteilnehmer beteiligt und bei 81% gab es nur einen weiteren Unfallbeteiligten
    (64 577). Auch hier war ein Pkw der häufigste Unfallgegner (74%). Bei 8,5% war ein weiterer Radfahrer und bei
    6,4% war ein Fußgänger der Unfallgegner. Insgesamt galten 42% aller unfallbeteiligten Radfahrer als Hauptverursacher
    eines Unfalls. Bei Unfällen mit Pkw war der Radfahrer nur zu 26% und bei Unfällen mit Güterkraftfahrzeugen
    nur zu 22% der Hauptverursacher des Unfalls. Besonders häufig trug der Radfahrer die Hauptschuld bei Unfällen
    mit Fußgängern, nämlich zu 63% [allerdings bei einer geringen Zahl von Unfällen]. Auch bei Unfällen mit Motorrädern war der Radfahrer überdurchschnittlich
    häufig der Hauptverursacher (zu 56%) [bei sehr geringer Zahl von Unfällen].“ S. 6 in „Zweiradunfälle“ des Stat. Bundesamtes für 2008, für 2007 oder 2009 ähnlich, für 2010 noch nicht vorliegend, vgl.
    http://www.google.de/url?sa=t&source=web&cd=2&ved=0CB4QhgIwAQ&url=http%3A%2F%2Fwww.destatis.de%2Fjetspeed%2Fportal%2Fcms%2FSites%2Fdestatis%2FInternet%2FDE%2FContent%2FPublikationen%2FFachveroeffentlichungen%2FVerkehr%2FVerkehrsunfaelle%2FUnfaelleZweirad5462408087004%2Cproperty%3Dfile.pdf&rct=j&q=destais%20zweirtadunf%C3%A4lle&ei=9qOsTcCoFc_LsgaV9_WYCg&usg=AFQjCNGNgWvWxQ_ROOS1QoVEu6HyVxCgzw&sig2=lfkgcKnaJE0lfEIH3B1BCw&cad=rja

    M.E. wäre es sehr angemessen, mit dieser in Zeitungen selten zu findenden Erkenntnis die Verursacherfrage mal vom Kopf auf die Beine zu stellen.

  14. […] Begründet wird das alles mit der Verrohung der Sitten und den vielen Unfaällen, in die Radfahrer verwickelt sind. Unterschlagen wird natürlich, dass Unfälle zwischen Autofahrern und Radfahrern immer noch meistens von Autofahrern verursacht werden, während die Radfahrer eher die passivere Rolle des Krankenhausreifen spielen. Bei Unfällen zwischen Radfahrern und Fußgängern sieht das, zugegeben, schon anders aus (ein Problem, das sich leicht lösen ließe, wenn es weniger Gründe für Radfahrer gäbe, auf die Fußwege auszuweichen), und die Unfälle zwischen Radfahrern und anderen Radfahrern werden tatsächlich zu 100% von Radfahrern verursacht – was sich natürlich dann wieder auf die Gesamtstatistik auswirkt. […]

  15. […] Unfallstatistik berechnet die Polizei Zahlen ohne Aussagekraft (z.B. die Verursacherquote*) und relativiert in der verbalen Aufzählung der Hauptunfallursachen all jene […]

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