Prozess gegen eine Autofahrerin, die eine Polizeibeamtin genötigt haben soll

Am 1. November 2016 fährt die Polizistin H. mit dem Fahrrad in zivil auf dem Weg zu ihrer Dienststelle durch die Blankenfelder Chaussee stadteinwärts. Sie fährt auf der Fahrbahn, weil der daneben liegende Radweg nicht benutzungspflichtig ist. Nachdem die Polizistin die Beuthener Chaussee passiert hat, wird sie von einer Kraftfahrerin L. knapp überholt und durch das offene Seitenfenster wird gebrüllt: „Fahr auf dem Radweg!“ Danach schneidet der Pkw den Weg der Polizistin, die hart bremsen muss, um nicht zu stürzen. An der nächsten Ampel erreicht die Polizistin die Autofahrerin und stellt sie zur Rede. Sie zeigt ihren Dienstausweis und fordert die Kraftfahrerin auf, die Papiere auszuhändigen. Die Autofahrerin stellt sich stur und weigert sich, ihre Personalien aufnehmen zu lassen. Daraufhin legt die Polizistin ihr Rad vor das Auto. Während die Polizistin mit der Einsatzzentrale telefoniert, um Verstärkung herbeizurufen, steigt die Autofahrerin aus dem Auto, wirft das Fahrrad auf den Seitenstreifen und setzt sich wieder ins Auto. Damit L. nicht flüchten kann, stellt sich die Polizistin direkt vor das Kraftfahrzeug. L. lässt den Motor aufheulen und die Kupplung kommen, sodass die Stoßstange des Fahrzeugs das Schienbein der Polizistin berührt. Aus Angst, überfahren zu werden, springt die Polizistin zur Seite. Frau L. verlässt daraufhin mit dem Auto den Tatort. Die Beamten eines Polizeieinsatzwagens erkennen später das Fahrzeug von L., verfolgen es und nehmen die Personalien von L. auf, nachdem sie das Fahrzeug gestoppt haben. Die Polizistin H. schreibt eine Anzeige.

Monate später wird das Verfahren gegen die Autofahrerin von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Begründung: „Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht nicht“. Erst, nachdem der Tagesspiegel den Fall öffentlich gemacht hat (Tagesspiegel vom 19.2.2018: „Kein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“), meldet sich Justizsenator Behrendt zu Wort. „Auch der Justizsenator kann dieses Vorgehen nicht nachvollziehen und hat bei der Staatsanwaltschaft einen Bericht über das Verfahren und die Einstellung angefordert“, teilte eine Justizsprecherin mit.

Danach geht alles ganz schnell. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen L. und heute kam es vor dem Amtsgericht zum Prozess gegen die Kraftfahrerin. In ihm wird Frau L. wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Strafe von 60 Tagessätzen a 30,- € sowie zu zwei Monaten Entzug der Fahrerlaubnis verurteilt. Letztlich ist es dem Tagesspiegel und namentlich Stefan Jacobs zu verdanken, dass dieser Fall von Autorowdytum zu einer Verurteilung gefunden hat.

Der Prozess hat zu einer relativ großen öffentlichen Aufmerksamkeit geführt (Links zu Artikeln werden nachgereicht). Auch mehrere Polizisten haben das Gerichtsverfahren verfolgt. Nach dem Urteil ging einer der Polizisten auf @Poliauwei zu und sagte: „Sie sind also Herr Schmiede Schwiede. Ich verfolge Ihren Twitterstream und schleppe auch gern ab.“ Es scheint also auch unter den Polizisten Leute zu geben, die Verständnis haben für die Nöte der Radfahrer.

Nachtrag: Presseecho
Tagesspiegel: Autofahrerin nach Angriff auf Polizistin verurteilt
Berliner Zeitung: Auto-Attacke gegen radfahrende Polizistin 72-jährige Rentnerin muss 1800 Euro zahlen
Berliner Morgenpost: Rentnerin attackiert radfahrende Polizistin mit Auto
B.Z.: Rentnerin attackiert Polizistin mit Opel Corsa – 1800 Euro Strafe!
Berliner Kurier: Rambo-Rentnerin 72-jährige Autofahrerin drängt Radlerin ab: 1800 Euro Geldstrafe

6 thoughts on “Prozess gegen eine Autofahrerin, die eine Polizeibeamtin genötigt haben soll

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  1. Ich bedanke mich herzlich für die wiederholte Berichterstattung aus den Gerichten dieser Stadt (bzw. Tiergarten ;)) . Nur so bekommt man einen Einblick, der über die wenigen Zeilen der Polizeimeldungen hinaus geht.

    In der Sache sehe ich hier das Positive zuerst, nämlich dass es überhaupt zu einer Verurteilung gekommen ist. Es wäre tatsächlich ein unglaublicher Vorgang, wenn ein solches Verhalten selbst Polizeibeamten gegenüber folgenlos bliebe.

    Schön auch die Anekdote zum Schluss!

    1. Andererseits scheint laut Tagesspiegel Online die Angeklagte selbst nach dem für sie günstigen Ausgang keinerlei Verständnis gezeigt zu haben und unverblümt weiter bei ihrer (widerlegten) Version der Wahrheit geblieben zu sein. Wie ist die Frau bloß 39 Jahre unbehelligt geblieben?

  2. Kleine Präzisierung:
    Die Autofahrerin wurde heute nicht verurteilt.
    Die Verhandlung fand statt, weil die Autofahrerin Widerspruch gegen den schriftlich zugestellten Strafbefehl (60 Tagessätze Bußgeld, 2 Monate Fahrverbot) eingelegt hatte.
    Erst am Ende des Prozesstages, nach den Zeugenaussagen, kurz vor einem ggf. härteren Urteil, nahm sie den Widerspruch zurück.
    Damit akzeptiert sie den Strafbefehl, wurde aber heute nicht verurteilt.
    Schade nur, dass die Dame nichts aus dem Fall gelernt hat. Gar nichts!

    (übrigens: Andreas Schwiede)

    1. Solche Gehirne fallen nicht vom Himmel. Da stecken Jahrzehnte Dauer-Manipulation durch Werbung, Medien, Politik hinter.

  3. Aber wieso Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, wenn die privat unterwegs war?

    1. „Sie zeigt ihren Dienstausweis und fordert die Kraftfahrerin auf, die Papiere auszuhändigen. Die Autofahrerin stellt sich stur und weigert sich, ihre Personalien aufnehmen zu lassen. Daraufhin legt die Polizistin ihr Rad vor das Auto. Während die Polizistin mit der Einsatzzentrale telefoniert, um Verstärkung herbeizurufen, steigt die Autofahrerin aus dem Auto, wirft das Fahrrad auf den Seitenstreifen und setzt sich wieder ins Auto.“

      Polizeibeamte können sich jederzeit selbst in Dienst versetzen:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Polizeivollzugsbeamter#Aufgaben_und_T%C3%A4tigkeiten_(Aus%C3%BCbung)

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