Podiumsdiskussion „Kein Knast für Schwarzfahrer“

Wenn ich drei Wünsche an die Verkehrspolitik frei hätte, dann wäre einer davon, dass alle Verkehrsteilnehmer gleich behandelt werden. Am krassesten ist die Ungleichbehandlung bei den Sanktionen zu finden. Menschen, die wegen Beförderungserschleichung erwischt werden, landen beim dritten Mal vor dem Richter. In der Justizvollzugsanstalt in Tegel sitzen viele nur deshalb ein, weil sie die Strafen wegen Schwarzfahren nicht bezahlen können. Demgegenüber wird die Erschleichung von Parkgebühren wie ein Kavaliersdelikt behandelt. Leute, die wegen dieses Vergehens zum dritten oder vierten Male erwischt werden, zahlen einfach nur weitere fünf Euro und gut ist.

„Die Piratenfraktion wird einen Antrag in das Parlament einbringen, der vorsieht, dass Berlin sich im Rahmen einer Bundesratsinitiative dafür einsetzt, den Straftatbestand der Beförderungserschleichung („Schwarzfahren“) aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und diesen künftig nur noch zivilrechtlich zu behandeln.

Bisher ist es gängige Praxis der Verkehrsbetriebe, dass nach der dritten registrierten „Schwarzfahrt“ ein Strafantrag gestellt wird. Als letzte Konsequenz hieraus kann es zu einer sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe für den Beschuldigten kommen, wenn die verhängte Geldstrafe nicht beglichen wird.

In der Regel sind hiervon Menschen betroffen, die ohnehin in sehr prekären Verhältnissen leben. Eine Freiheitsstrafe reißt den Betroffenen aus seinem sozialen und unter Umständen auch beruflichen Kontext und zementiert so die ohnehin schon schwierigen Lebensumstände.

Schwarzfahrerprozesse kosten gleichzeitig viel Geld und binden polizeiliche und justizielle Ressourcen. Die ohnehin überfüllten Justizvollzugsanstalten werden dadurch über Gebühr strapaziert.“

Am 17.09.2012 veranstaltet die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus eine Podiumsdikussion zum Thema „Kein Knast für Schwarzfahrer“.

Es diskutieren:

  • Dr. Olaf Heischel, Rechtsanwalt, Vorsitzender des Vollzugsbeirates Berlin,
  • Ulf Buermeyer, Richter am Landgericht Berlin,
  • Dr. Thomas Hilpert, Rechtsanwalt, Verband Deutscher Verkehrsunternehmer e. V., und Dr. Simon Weiß, rechtspolitischer Sprecher der Piratenfraktion.

Moderation: Christopher Lauer, Fraktionsvorsitzender der Piratenfraktion.

Datum: Montag, 17.09.2012
Ort: Abgeordnetenhaus von Berlin, Raum 304, Niederkirchnerstraße 5, 10117 Berlin
Zeit: 19:00 Uhr
Dauer: ca. zwei Stunden

29 thoughts on “Podiumsdiskussion „Kein Knast für Schwarzfahrer“

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  1. Ich kenne mich in Berlin mit der Situation nicht aus, aber ist das wirklich eine korrekte Beschreibung der bestehenden Situation? Ist es wirklich so, dass „viele“ Menschen in Berliner JVA einsitzen, weil sie Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen, weil sie Geldstrafen wegen Schwarzfahrens nicht zahlen können?

    Freiheitsstrafen werden in solchen Fällen erst einmal äußerst selten verhängt, gerade wegen der im Artikel angesprochenen Aspekte der Sozialisation. Geldstrafen nach Tagessätzen orientieren sich am Einkommen der Betroffenen. Bis es da zu Ersatzfreiheitsstrafen kommt, müsste sich schon einiges ereignen.

    Es erscheint mir auch, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird, wenn eine Änderung des Strafrechts als Lösung propagiert wird.

    Es gibt eine viel einfachere Lösung: Wenn es wirklich so viele Menschen in prekären Einkommenssituationen gibt, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, dann sollten hier einfach unterhalb einer gewissen Einkommensgrenze Tickets unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden. Das wird in vielen Städten erfolgreich praktiziert. Das Ganze lässt sich daher auch einfach innerhalb des bestehenden Systems lösen, und das scheint einfacher umsetzbar.

    Ich weiss, dass die Piraten ohnehin kostenlosen Nahverkehr fordern und insoweit ja schon etwas machen, das in diese Richtung geht. Das erscheint mir allerdings aus anderen Gründen schlecht umsetzbar, aber sei es drum. Dennoch ist eine Lösung in diese Richtung – freie Nahverkehrsnutzung für Leute, die sich das sonst nicht leisten können – realistischer umsetzbar als eine Straffreistellung von Leistungserschleichung.

    Ach so, ja, die Verwarngelder für ordnungswidriges Falschparken mit Kfz sollten natürlich auch drastisch erhöht werden, ja. Natürlich gibt es eine strukturelle Bevorzugung des Kfz-Verkehrs in Deutschland. Aber dieser Vorschlag hier löst das Problem auch nicht…

  2. @Shining Raven: Schnell mal gegoogelt. Der Tagesspiegel schreibt am 08.06.2011:

    „Schwarzfahrer füllen auch Gefängnisse. Wer seine Strafe nicht bezahlen kann oder will, wird zu einer „Ersatzfreiheitsstrafe“ verurteilt. In der JVA Plötzensee sind unter den knapp 500 Gefangenen bis zu einem Drittel Schwarzfahrer. Das kostet den Steuerzahler etwa 80 Euro pro Tag und Gefangenen. 2008 waren 8511 Menschen in Berlin verurteilt worden wegen Beförderungserschleichung.“

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/landespolitik/ueberlastung-richter-wollen-keine-anklagen-gegen-schwarzfahrer-mehr-/4258142.html

  3. @Shining Raven, das Thema wird ab und zu in den Medien angeschnitten. Im Jahr 2008 geisterte mal die Zahl von 30% durch die Medien – 30% der in Plötzensee Einsitzenden waren Schwarzfahrer.

    Dass man Bußgelder fürs Falschparken teilweise niedriger bemisst als die Parkgebühren, ist natürlich ein Treppenwitz. Der nach den Regeln handelnde zahlt mehr und ist am Ende der Dumme.

  4. Danke für die Informationen, dann ist das Problem in Berlin anscheinend tatsächlich erheblich größer als hier in München.

    Dennoch fällt mir noch etwas auf. Im Artikel steht: „Wer seine Strafe nicht bezahlen kann oder will….“ – das ist natürlich noch einmal ein wichtiger Unterschied, und die Reaktion auf das Problem sollte auch davon abhängen, wie groß da welche Gruppe ist.

    Dennoch: Der Piratenvorschlag löst meiner Meinung nach das Problem nicht. Wenn man will, das Leute umsonst fahren können, dann muss man das System ändern (was die Piraten ja auch vorschlagen, das ist konsequent). Aber man kann innerhalb des bestehenden Systems nicht einfach aufhören, die Regeln durchzusetzen. Das funktioniert nicht.

    Ausserdem sehe ich folgende Konsequenz, wenn der Straftatbestand der Leistungserschleichung abgeschafft wird: Dann erteilen nämlich die Verkehrsbetriebe einfach den Schwarzfahrern Hausverbot in ihren Verkehrsmitteln (das geht und das gibt es auch jetzt schon, passiert in München häufig mit Obdachlosen), wie das z.B. auch Kaufhäuser mit Ladendieben machen. Und dann stehen notorische Schwarzfahrer doch wieder vor Gericht und wandern ein, wenn sie die Geldstrafe nicht zahlen, diesmal halt wegen Hausfriedensbruch statt Leistungserschleichung.

    Meiner Meinung nach ist damit nichts gewonnen. Wie gesagt, wenn man sinnvoll etwas ändern will, dann muss man an das System als Ganzes ran, indem man allen oder nur manchen Leuten die Benutzung des ÖPNV ohne Fahrschein erlaubt.

  5. Ich finde den Ansatz richtig und schlage außerdem vor, den rassistischen Begriff „schwarzfahren“ durch „umsonstfahren“ zu ersetzen.

  6. @Stephanie

    zur allgemeinen Erbauung:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzfahren

  7. @Stephanie, das erinnert mich an einen Witz in der Pastewka-Sendung. Er bestellte einen schwarzen Kaffee und alle schauten ihn böse an, weil die Bedienung schwarz war.

    @Shining Raven, in der normalen Wirtschaft kommen alle mit dem Zivilrecht aus. Klar ist das nicht immer befriedigend, wenn der Schuldner einfach nicht zahlen will. Dennoch ist das der übliche Weg – die Abschaffung des StGB-Paragraphen würde die Verkehrsunternehmen also einfach nur aus einer Sonderrolle rausholen, die ihr persönlich ohnehin keine Vorteile bringt.

  8. @Stephanie

    „umsonstfahren“ ist es ja ach wenn ich dafür Geld bezahle und dan in die falsche Richtung reise. Hat ja nichts gebracht und war umsonst ;-).

  9. @berlinradler: das sehe ich anders, auch in der privaten Wirtschaft gibt es Betrugstatbestände. Wenn ich eine Leistung in Anspruch nehme und von Anfang an nicht vor habe, dafür zu bezahlen, dann erfüllt das durchaus den Straftatbestand des Betruges.

    Soll man dann Zechprellerei auch gleich mit abschaffen? Da kann der Wirt dann ja auch gern seinen Anspruch privatrechtlich durchsetzen.

    Außerdem bringt die Abschaffung der Leistungserschleichung als Straftatbestand allein gar nichts, wie ich oben schon schreib, da die BVG dann einfach bei Wiederholungtätern Hausverbot erteilen und sie dann wegen Hausfriedensbruch anzeigen kann. Wenn man die BVG überzeugen möchte, niemanden anzuzeigen, dann kann man das auch jetzt schon tun.

    Ich stehe der Idee eines fahrscheinlosen ÖPNV ja positiv gegenüber und sehe auch, dass das das Problem lösen könnte. Ich halte aber so eine isolierte Entkriminalisierung für keine Lösung, wenn man nicht das System als Ganzes ändert. Das ist meiner Meinung nach deutlich zielführender und zielgerichteter.

  10. Ein Unterschied zwischen Schwarzfahren und Schwarzparken ist, dass beim Schwarzfahren der Schwarzfahrer selbst erwischt wirde, beim Schwarzparken i.d.R aber nicht der Schwarzparker, sondern lediglich der Halter des schwarzgeparkten Fahrzeugs, der nicht identisch mit dem Schwarzparker selbst sein muss.

  11. @Shining Raven, ich sprach ja von einer Angleichung an die private Wirtschaft. Vielleicht würde das aber am Ende auf dasselbe hinauslaufen? Ich weiss es nicht.

    Prinzipiell ist das natürlich ein schwieriges Thema, weil es Druckmittel geben muss, wenn man bestehende Regelungen durchsetzen möchte. Wenn dann aber ein Gläubiger mehr Druckmittel hat als ein anderer, weil sein Unternehmen eine andere Dienstleistung anbietet, finde ich das ungerecht.

    Auch die kostenlose Fahrt ist kein triviales Thema, wenngleich ich dafür durchaus Symapthie hege. Und da es ohnehin Subventionsentscheidungen gibt – so wird z.B. der ÖPNV, aber auch der Autoverkehr stark subventioneirt – hat man durchaus Stellschrauben, über die man diskutieren und an denen man drehen darf. Würde man z.B. das Klimaschutzgerede wirklich ernst meinen, würde sich das in ÖPNV- und Fahrradfreundlichen Subventionen niederschlagen, was derzeit nicht der Fall ist.

    Für einen steuerfinanzierten, für jedermann kostenlos nutzbaren ÖPNV ist das System gar nicht ausgelegt. Die S-Bahn könnte mittelfristig überhaupt nicht, die BVG nur bedingt auf Nachfragesteigerungen reagieren. Hier müsste man also zunächst die Kapazitäten stark ausbauen, bevor man so etwas ausprobieren kann.

    Selbst das Auto kann in Form des Carsharings durchaus einen sinnvollen Anteil am Modal Split haben, wenn nicht – so wie derzeit – politisch darauf hingewirkt würde, dass jeder ein eigenes Fahrzeug besitzt und dies im Verkehrsraum kostenlos abstellt.

    Eine wenigstens hinterfragende, den Ausgleich zwischen allen Interessengruppen findende Verkehrspolitik kann man zur Zeit allerdings kaum erwarten.

  12. Also die Überschrift ist doch was für Weicheier und Vorwärtseinparker! Schöner wäre „Knast für Schwarzparker“ und sein großer Bruder „Gulag für Falschparker“. Schwupps, schon könnten wir endlich wieder durchatmen und Omma und Oppa könnten auf den Fahrbahnen Radelnd wieder Händchen halten. Die Schwarz- und Falschparker würden im Knast von den Schwarzfahrern gleich mal erfahren, wie schön der ÖPNV doch ist, während die Schwarzfahrer erführen, wie man ein fürs Auto ausreichendes Einkommen erzielt. Zwei wichtige Punkte zur Resozialisierung.
    Arbeitsplätze gäbs auch wieder mehr: Autoren für „1000 ganz legale Parktips“, „Parken für Dummies“ und ähnliche Ratgeber wären eine gesuchte Spezies.

  13. @reclaim:
    Das Problem mit dem nicht feststellbaren Fahrer könnte man leicht durch ein Fahrtenbuch für Wiederholungstäter in den Griff kriegen. Aber im Moment ist es den Behörden relativ egal, ob nun der Fahrer festgestellt werden kann, weil sonst eben der Halter die Verfahrenskosten zahlen muss. Bei einem höheren Bußgeld sähe das natürlich anders aus und die Behörden hätten ein Interesse daran, den Fahrer festzustellen.

  14. Der Vergleich Schwarzfahrer/Schwarzparker hat es mir echt angetan.

    Dazu nochmal ’ne Frage: Wer sich beharrlich weigern würde, einen Haufen angesammelter Bußgelder wegen Schwarzparkens zu begleichen – sei es, weil er nicht kann oder nicht will – würde demjenigen nicht auch Gefängnis drohen?

  15. Gebrechliche bzw. behinderte Personen mit geringem Einkommen sollten einen Ausweis für kostenloses Fahren mit den Nahverkehrsmitteln bekommen. Alle anderen und dazu gehören sicherlich über 90 Prozent der wegen Schwarzfahrens Inhaftierten, könnten genauso gut mit dem Rad fahren. Das mit dem Radfahren als Alternative sollte in einem Radfahrblog ja nicht unerwähnt bleiben. Kein Mitleid für Faulenzer. Und notorische Falschparker gerne auch in den Knast.

  16. Generell sollten alle Bußgelder statt Festbeträgen über Tagessätze bestimmt werden.

  17. Generell sollten alle Bußgelder statt Festbeträgen über Tagessätze bestimmt werden.

    …oder über den Fahrzeugwert laut Schwacke-Liste als Berechnungsbasis. Wahrscheinlich leichter zu ermitteln und vielleicht sogar richtiger treffend, als über Tagessätze.

  18. Die Debatte, bzw. der Vergleich Schwarzfahrer/Falschparker, läuft meines Erachtens etwas zu platt.

    Ein Falschparker kann durchaus auch mit höheren Strafen als dem Standard-Knöllchen in 5-Euro-Dimension belegt werden. Parkt er beispielsweise unberechtigt auf einem Privatgelände, so kann er abgeschleppt werden und ist mal eben einen dreistelligen Geldbetrag los. Ebenfalls kann eine Bußgeldstelle im Wiederholungsfall das Ordnungsgeld anheben. Das geschieht zwar bei Bagatelldelikten eher selten, weil Bußgelderhöhungen in der Regel nur auf Basis eines Abgleiches mit den Flensburger Punkten vorgenommen werden. Es sind aber durchaus schon Fälle durch die Presse gegangen, wo Falschparker so oft aufgefallen sind, dass die Behörden vor Ort von sich aus den „Tarif“ hochgeschraubt haben. Das ist gesetztlich auch möglich.

    Wer nun sein Falschpark-Ticket nicht zahlt, der kann genau wie ein Schwarzfahrer auch „das volle Programm“ bis hin zur Unterbringung hinter schwedischen Gardinen serviert bekommen.

    Bzgl. Schwarzfahrern und möglichem Hausverbot, wie oben angesprochen, haben die Verkehrsbetriebe allerdings wenig Handhabe. Als de-facto-Monopolisten unterliegen sie dem sogenannten Kontrahierungszwang, wie es so schön im Juristendeutsch heißt. Im Gegensatz zu einem Supermarkt, der einem Ladendieb einfach Hausverbot erteilen kann, um das Risiko einer Wiederholung zu minimieren, können die Verkehrsbetriebe mehrfach ertappte Schwarzfahrer nicht einfach komplett vom Bezug ihrer Leistungen ausschließen.

    Den Vorstoß der Piraten sollte man vielleicht eher vor dem programmatischen Hintergrund sehen, dass die Partei ja langfristig einen für alle Bürger kostenfreien ÖPNV anstrebt. Bzw. ÖPNV als Teil der Grundversorgung für alle Bürger ansieht.

    Anstatt über Schwarzfahrer-Strafen zu debattieren wäre es wahrscheinlich sinnvoller, diesen grundlegenden Ansatz weiterzuverfolgen. „Grundversorgungen“ werden Bürgern ja auch andernorts aufgenötigt, siehe die wahrscheinlich ab 2013 kommende Zwangsabgabe für die öffentlich-schwächlichen Propaganda-Anstalten. Auch gibt es schon für ganze Bevölkerungsgruppen regionale Zwangsversorgung mit ÖPNV, siehe z. B. obligatorische Semestertickets für Studenten diverser Universitäten. Da werden dann kalkulatorische Betriebskosten für erwartete Fahrthäufigkeiten auf eine ganze Bevölkerungsgruppe umgelegt und die Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppen auch verpflichtet, diese Leistungen abzunehmen.

    Die BVG nimmt jährlich grob eine halbe Milliarde Euro durch Fahrscheinverkäufe ein. Bei der S-Bahn dürften es ähnliche Beträge sein. Wir reden also über 1 Mrd. Euro p. a. an ÖPNV-Kosten auf ca. 4 Mio. Menschen (Berlin plus ein wenig Umland). Eine Grundversorgung aller Bürger mit ÖPNV-Leistungen auf Umlagebasis würde also ungefähr 25 Euro pro Nase kosten.

  19. Nachtrag: die 25 Euro pro Monat. Bereits heute gezahlte staatliche Subventionen für den Betrieb des ÖPNV-Systems sind in dieser Rechnung nicht enthalten.

  20. Naja, Knast für Falschparker ist wohl ebenso schräg wie Knast für Schwarzfahrer.

    Wenn diejenigen, die aus Belehrungs- oder sonstigen Gründen absichtlich andere gefährden, mit Gefängnis bedroht würden, fände ich persönlich das sinnvoller. Einem Zweite-Reihe-Parker kann ich ausweichen, gegen einen absichtlichen Abdränger habe ich keine Handhabe.

  21. @dan: In München werden gegen Obdachlose in der Ubahn Hausverbote ausgesprochen, wenn sie wiederholt ohne Fahrschein erwischt werden. Das wird auch strafrechtlich verfolgt. Es scheint also zu gehen, oder die Betroffenen sind nicht in der Lage, sich effektiv juristisch dagegen zu wehren (im Hinblick daraufhin, wen es da trifft, ist das ja auch nicht unbedingt überraschend).

    Du magst also recht haben, dass es da wegen der quasi-Monopolstellung der Verkehrsbetriebe theoretisch zusätzliche juristische Komplikationen gibt, aber in der Praxis in Bayern spielt das bisher keine Rolle.

    Außerdem erscheint mir auch nicht offensichtlich, dass das tatsächlich vom Kontrahierungszwang gedeckt wäre – das heisst ja nur, dass das Verkehrsunternehmen mit dem Betroffenen einen Beförderungsvertrag abschliessen muss, und der Vertrag kommt ja mit dem Fahrscheinkauf zustande. Wenn der Betroffene aber jetzt gerade mit dem Verkehrsunternehmen keinen Vertrag abschliessen möchte – wie kommt dann der Kontrahierungszwang ins Spiel? Es ist ja nicht so, dass der Fahrscheinautomat sich weigern würde, einen Fahrschein auszuspucken, weil er weiss, dass die Person ohne Fahrschein Hausverbot hat….

    Aber egal, wie die Feinheiten sind: Erst einmal können Verkehrsbetriebe diesen Weg gehen, und es würde die Gerichte nicht weniger beschäftigen, als die Anzeigen gegen Schwarzfahrer – das war ja nur mein Punkt. Den Verkehrsbetrieben nur die Möglichkeit zur Strafanzeige wegen Schwarzfahrens zu nehmen, und sonst nichts zu ändern, löst das Problem einfach nicht.

    Ich stimme Dir im Weiteren zu, dass es sinnvoller scheint, über eine Mobilitätsgrundversorgung nachzudenken, das bringt meiner Meinung nach einfach mehr.

    Wegen der Konsequenzen für notorische Falschparker, nach denen oben gefragt wurde: Erst einmal wird wegen Verstößen im ruhenden Verkehr üblicherweise kein Fahrtenbuch angeordnet, aber bei notorischen Rechtsbrechern kann das passieren, und ist auch schon passiert. Das kann soweit gehen, dass Leuten der Führerschein entzogen wird und sie erst eine MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung) zur Wiedererlangung des Führerscheins machen müssen. Das kommt aber sehr selten vor.

  22. @kl:

    Alle anderen und dazu gehören sicherlich über 90 Prozent der wegen Schwarzfahrens Inhaftierten, könnten genauso gut mit dem Rad fahren.

    schön und gut, wenn man schon ein anständiges rad hat. die 200+ euro für ein vernünftiges gebrauchtes mit sicherer herkunft müssen aber auch erstmal erbracht werden. und es gibt leute, für die stellt das eine unüberwindbare hürde da.

    es ist nicht lange her, da hätte ich ein riesenproblem gehabt, wäre mir mein rad abhanden gekommen. und während ich dieses möglicherweise mit finanzieller unterstützung von menschen aus meinem umfeld hätte lösen können, so hätte es sich a) immer noch doof angefühlt und -ungleich schwerwiegender- b) hätte ich da auch verdammt viel glück mit meinem umfeld gehabt.

  23. @shining raven: mal abgesehen davon, dass man sich drüber streiten kann, ob alles nachahmenswert ist, was in München alles so gemacht wird.

    Ist es denn auch hier so, dass 30% (!) aller Gefängnisinsassen eines Gefängnissees da drin sitzen, weil sie sich kein MVG TIcket gekauft haben (bzw. kaufen konnten)?

    Ich finde das schon einen Missstand, der in irgendeiner Form beseitigt werden sollte. Wer hat was davon, wenn diese Leute im Gefängnis sitzen? Dafür hat man keine Gefängnisse gebaut. Das hilft der Gesellschaft auch nicht weiter.

    Ob die jetzt auch mit dem Rad hätten fahren können – kann man drüber streiten, wäre sicherlich in vielen Fällen auch gegangen in vielen anderen vielleicht auch nicht. Aber Knast wegen Schwarzfahren, find ich eindeutig übers Ziel hinausgeschossen. Und dann noch in so einer Häufung.

  24. @sascha restgrau: schon um 50 Euro gibt es von Privat z.B. über Ebay-Kleinanzeigen fahrbereite Gebrauchträder. Ebenso bei Fahrradversteigerungen (auch herkunftsicher). Auf Flohmärkten natürlich ebenfalls. Dort allerdings nicht herkunftsicher. Ich spreche aus Erfahrung. Nachdem mein altes Rennrad nebst Wohnung einem Großbrand 2010 zum Opfer fiel, habe ich mich aufgrund der mit dem Wohnungsverlust verbundenen immensen Kosten, für den Kauf eines Gebrauchtrades entschieden. Ebay-Kleinanzeige. Rennrad Baujahr 85, Reynoldssrohr, komplette Shimano 600-Gruppe, ohne Gebrauchsspuren, alles noch original inkl. der Wolber-Drahtreifen. 150 Euro. Verkäufer vertrauenswürdig. Da reicht mir eine Quittung. Ende 2010 kam ja ein unerwartet starker plötzlicher Wintereinbruch. Rennrad zu schade, Sturzgefahr zu groß, also eilig auf den Flohmarkt und nach einem MTB Ausschau gehalten. Dort hatte ich nach ungefähr 10 Minuten Suche, ein brauchbares, optisch aktzeptables MTB in passender Größe gefunden. 70 Euro. Quittung. Zusätzlich 30 Euro für neue Schläuche und Ersatz für verbogene Tretkurbel. Damit fahre ich heute noch. Nach dem nicht unbedingt notwendigen Austausch weiterer Verschleißteile ein ideales Stadtrad. Wurde sogar schon darauf angesprochen, ob ich es nicht verkaufen will. Ein Fahrrad gibt es also schon für den Gegenwert einer Monatskarte. Oder für den Gegenwert eines halben Monatsbedarfes an Alkohol und Tabak. Das muss drin sein.

  25. da kann sich einer nicht vorstellen, dass manchen menschen auch fünfzig euro weh tun können…

    davon abgesehen:

    für ein gebrauchtes rad habe ich beim kauf (!) nie mehr als 100 euro ausgegeben – das bislang schönste, das ich mein eigen nennen durfte, hatte ich für 20 euro beim fundsachenverkauf erstanden (wo wesentlich mehr interessenten als fahrräder da waren und man entweder gleich ein rad zur kasse schleifte oder verloren hat. viele konnten dort ihren mobilitätsbedarf nicht befriedigen, und eine große chance, sich wirklich ein rad auszuwählen, hat man unter solchen umständem auch nicht.) dieses glück hatte ich aber leider nur einmal.

    und alle diese räder bedurften auch nach dem kauf noch aufwand. einmal, um sie im ersten moment verkehrssicher zu bekommen (wobei man zwar mit wenig geld eine lichtanlage bekommt, die der stvzo gerecht wird, aber einem im regen im regen stehen lässt, somit reicht das für einen öpnv-ersatz nicht.) und eine weile später noch einmal, als sich der verschleiß wichtiger teile bemerkbar machte. also sagt mir meine erfahrung, dass man für dieses geld im zweifel nur eine vernünftige bastelgrundlage statt eines vernünftigen fahrrads bekommt. und nur letzteres ist taugt als öpnv-ersatz.

    dem zu entgehen ist eine frage des glücks, vielleicht auch des know-how, das aber auch irgendwoher kommen muss.

    wenn man ein gebrauchtes rad will, dass ab kauf sicher funktioniert, so sollte man schon 200+ euro einplanen, um bei einem fachhändler, der ggf. reperaturen vorgenommen hat, eines zu erwerben.

    Ein Fahrrad gibt es also schon für den Gegenwert einer Monatskarte.

    neben dem schon dargelegten umstand, dass das nur mit glück vielleicht für den überteuerten nahverkehr im rhein-main-gebiet gilt: hier beißt sich die katze in den schwanz.

    Oder für den Gegenwert eines halben Monatsbedarfes an Alkohol und Tabak. Das muss drin sein.

    die vorhersehbarkeit dieser aussage macht aus ihr nicht weniger bullshit.

    neben dem vorurteil gegenüber inkl. unterschwelligem vorwurf an hartzis ignoriert sie eine ganze reihe anderer möglichkeiten, in wirtschaftlich prekäre situationen zu geraten.

  26. Nicht jeder kann oder will radfahren, und der ÖPNV überwindet ja auch Strecken, die (den meisten) für tägliche Wege einfach zu weit sind. Es ist etwas zu kurz gegriffen, diejenigen, die sich den ÖPNV nicht leisten können, aufs Fahrrad zu verweisen. Allerdings wird wohl auch nicht jeder Schwarzfahrer deshalb kein Ticket haben, weil er es sich nicht leisten kann – es gibt verschiedene Gründe dafür.

  27. @Abwrackprämie: Ich sage ja gar nicht, dass es toll oder nachahmenswert sei, was in München läuft. Mir geht es nur darum, dass der vorgeschlagene Weg meiner Meinung nach nicht das angestrebte Ziel erreicht. Was nützt es Dir, wenn die Leute dann wegen Hausfriedensbruch statt Leistungserschleichung im Knast sitzen. Wenn Du gegen das Problem etwas tun willst, muss die Verkehrsgesellschaft (oder die Stadt Berlin) etwas an ihrer Vorgehensweise ändern, aber es hilft nicht, das StGB zu ändern.

    Nein, soweit ich weiss, ist die Gefängnispopulation hier anders zusammengesetzt. Ich habe da aber keine Zahlen.

    Wo ist das Problem damit, einfach Leuten, die von Sozialhilfe leben oder sonst unter eine bestimmte Einkommensgrenze fallen, einfach ein Gratis-Ticket zu geben? So etwas gibt es schliesslich in vielen Städten. Ich gebe zu, dass es doof ist, so etwas beantragen zu müssen, und es immer unangenehm ist, sich da eine Blöße geben zu müssen. Das erscheint mir dennoch eine pragmatische Lösung, und zumindest muss niemand in den Knast, weil er sich kein Ticket leisten konnte.

  28. @Shining Raven:

    Du fragst „was spricht dagegen…?“ Man könnte auch andersherum fragen „was spricht dafür…?“

    Es gibt zwei ideologische Grundhaltungen:

    Einmal diejenige, dass nicht nur Freizügigkeit, sondern auch maximale Mobilität ein Grundrecht sei.

    Und auf der anderen Seite diejenige, dass wir zwar Freizügigkeit als Grundrecht haben, Mobilität jedoch ein kostbares Gut ist, mit dem eben jeder Mensch im Rahmen seiner Mittel selbst haushalten muss.

    In Zeiten knapper werdender Ressourcen wird Mobilität insgesamt immer wertvoller werden. Das betrifft nicht nur Spritpreise und VBB-Tariferhöhungen, sondern auch die Kilometerkosten am Fahrrad bedingt durch teurer werdende Verschleißteile. Für Mobilität ist jedoch in der Gesellschaft keine wirkliche Wertschätzung ausgeprägt. Das merkt man daran, dass Autofahrer gedankenlos den Sprit verheizen (kein Kostenbewußtsein). Das merkt man an der Grundhaltung, dass die gerade mal gut 2 Euro für eine Fahrt quer durch die Monsterstadt Berlin schon als zu teuer angesehen werden (Gegenteil zum Auto: überhöhtes Kostenbewußtsein, denn man wirft den Euro halt in diesen blöden Automaten und dann ist er einfach weg, heraus kommt nur der Schnipsel, den meist niemand sehen will). Und das merkt man auch bei Radfahrern, die einfach nur stolz sagen „meine Fortbewegung kostet nichts und ist ökologisch sauber“. Was ja nun wirklich nicht stimmt – auch Fahrräder haben Verschleißkosten und befahrbare Straßen brauchen sie obendrein. Und „die sind schon da“ ist kein Argument.

    Egal wo gesellschaftlich die Debatte auch hinlaufen mag: es wäre überaus hilfreich, den Mitmenschen klarzumachen, dass eben Mobilität an sich ein wertvolles Gut ist und gleichermaßen auch eine beschränkte Ressource.

    Und wenn man diesen Gedanken „beschränkte Ressource“ dann nochmal weiterspinnt, dann muss man sich fragen, ob man gedankenlos genutzte Flatrate-Mobilität überhaupt langfristig haben will, oder ob der Kostenaspekt nicht letztlich auch zur Vermeidung von Verkehr beiträgt.

  29. „Danke für die Informationen, dann ist das Problem in Berlin anscheinend tatsächlich erheblich größer als hier in München. “

    Nein ist es nicht…

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