Fahrradtour Berlin Köpenick – Wladyslawowo

Im Juni 2007 haben sich 28 Radler auf eine Tour von Berlin Köpenick nach Wladyslawowo an der polnischen Ostseeküste gemacht. Wladyslawowo, die fast nördlichste Stadt Polens, liegt gut vierhundert Kilometer nordöstlich Berlins. Da die Radfahrer an der Oder entlang nach Norden und dann an Polens Ostsee entlang nach Osten fuhren, waren sie gewiss mindestens 600 Kilometer in vierzehn Tagen auf dem Rad. Günter Proske beschreibt, was sie auf ihrer Fahrradtour erlebt haben.
„In der BRD war der überwiegende Teil unserer Wegeoberflächen Note 3 – 2, also o.k. Kritisiert werden müssen aber gerade neu gebaute Radwege aus gefasten Betonsteinen die in Sand längs verlegt wurden, sodass Längsrillen entstanden sind. Steine, unten denen der Sand durch Ameisen herausgepopelt wurde, waren schon vereinzelt abgesackt und verursachten Schläge im Fahrrad und beim Fahrer. Jedenfalls kam mir dabei unwillkürlich in den Sinn, dass das nur von Dumpfbacken gebaut worden sein muss, die man aus westdeutschen Amtsstuben in die neuen Länder weggelobt haben muss. Das konnte doch kein Zufall sein, wenn man hier die gleichen Fehler macht wie in den alten Ländern, oder? Ich glaube das wird erst aufhören, wenn wir Bürger / Nutzer im Jahre 2100 das Klagerecht gegenüber der Behörde erhalten werden.

Nun zu polnischen Wegen. Z.B. der R10 aus Swinemünde heraus. Er ist bestens zu empfehlen allen Naturliebhabern die einen innigen und nachhaltigen Kontakt mit der heimischen Tierwelt suchen. Der kam sogar völlig automatisch zustande. Wenn nämlich das voll beladene Reiserad oft genug im sandigen Grund versank, kümmerten sich possierliche Tierchen in leidenschaftlicher Absicht um jeden gestrauchelten Radler/-in höchstpersönlich. Und die heimischen Sauger machten dabei keinen Unterschied, ob durch deutsches Autangift geschützt oder nicht, ob Mann oder Frau. Sie kümmern sich um jeden, der bekloppt genug und auf flotte Werbesprüche hereingefallen war und zwar nach allen gültigen Regeln der Mückenzunft. Lediglich ein Ganzkörperkondom hätte vielleicht geholfen, wenn, ja wenn man das Ding schon vor dem Naturereignis übergestülpt hätte. Aber wer macht das schon bei Sonnenschein? So hatten lediglich die kleinen Biester ihren Spaß und hinterließen nachhaltig ihre Spuren.

O Gott wie sehr hatte ich mir einen üppigen Regenschauer gewünscht. Ach ja, geflucht hatte ich glaube auch noch ohne Unterbrechung bis zur Straße. Aber welche Gefühle hätte der Regenschauer im dann aufgeweichten Sandboden ausgelöst?

Falls es keiner wissen sollte, der R10 ist der beliebte internationale Radweg am Meer den wir sogar noch in Kolberg ausgeschildert fanden. Na jedenfalls ist die Gruppe so schnell wie möglich (meinem Kompass sei gedankt) aus dem Waldparadies geflohen und auf der schon vor der Fahrt gebrandmarkten Schnellstraße 3, auch E65, gelandet. Auf ihrem breiten überwiegend neu asphaltierten Mehrzweckstreifen fuhren wir sicher und ohne Fremdeinwirkungen statt mit 5 bis 10 km/h wie im Wald nun mit 20 km/h weiter. Bei 100 km Tagesleistung ist das auch entscheident, oder?

Den R10 haben wir danach gemieden wo es ging. Eben ein verfluchter Weg, auch in anderen Bereichen wo er aus Betonplatten bestand. Landschaftlich reizvoll soll er sein wenn man sich nicht um den Fahrweg kümmern musste und das war es auch schon. Die Beulen unter der Haut haben unser naturnahes Radeln tagelang nicht vergessen lassen. Aber es kamen noch viele Beulen mehr hinzu.

Aus Erfahrung kann ich jetzt nach der Tour in diesem Landstrich nur noch Landstraßen mit mindestens 3 Nummern, wie z.B. 213 oder 214 empfehlen, anders wäre es schlechter. Es sind mehr oder weniger gute Asphaltstraßen, nicht besser oder schlechter als bei uns im Lande.

Der Gipfel aller Boshaftigkeit widerfährt aber dem gemeinen Reiseradler, wenn er in Kluki das Museumsdorf besucht hat und weiter fahren will nach Leba. Aufgeschreckt durch eine uns bekannte schlechte Streckenbeschreibung in deutschen Reiseberichten und neu beschriebene Wegeverbesserungen in polnischen Medien telefonierten wir mit dem Museumsdorf Kluki sowie 2 empfohlenen zuständigen Ämtern von aus Ustka während einer Radelpause an ( hat unserer polnischer Freund erledigt), um zu erfahren, wie der tatsächliche Zustand der Wege ist.

Die Auskünfte veranlassten uns um den heiligen Berg der Slovinzen herum nach Kuki zu fahren. In Kluki ermunterte uns noch eine Museumsfachfrau zur Weiterfahrt auf dem in Polen offenbar beliebten Radweg ohne Nummer. Schließlich sei vor wenigen Tagen eine Familie mit Kind im Körbchen auch auf dieser Strecke weitergeradelt und nicht wieder aufgetaucht. Und was die können, das können wir mit all unserem Gepäck schon lange. Und das war sicherlich ein Fehler, wir hätten das ernster nehmen sollen, nicht wieder aufgetaucht hatte sie gesagt. Wahrscheinlich sind sie in der Pampa verschollen gegangen und konnten ihr wissen über den wunderbaren Radweg nicht mehr verbreiten.

Jedenfalls sitzt man in Kluki in einer Sackgasse fest, aus der man nur herauskommt durch zurückfahren, heißt Umwege fahren. Oder 30 km durch eine wunderbare Naturlandschaft die man aber nicht zu sehen bekommt, weil man sich auf den Fahrweg konzentrieren muss und das bei 5km/h. Wer so am späten Nachmittag in Kluki abfährt gerät automatisch in schweres Fahrwasser, weil er in die Dunkelheit hineinfährt und den Weg, der sich schon am Tage nur schwerlich im Gelände wieder findet, in der Nacht aber weder sehen noch befahren kann.

Wir haben aber schnell erkannt, so fahren wir nicht auf dem gelobten Weg weiter. Wir entschieden uns für den dritten Weg, so schnell wie möglich, also mit 5 oder 7 km/h Richtung Süden zur Landstraße 213.

Weil man ständig in Abwehrhaltung fährt, heißt sich gegen Bremsen und Mücken zur Wehr setzt und dabei eine Lenkerhälfte loslässt um den possierlichen Nagern den Todesstoß zu versetzen, ist der Weg auch noch ein echter Erlebnisradweg. Die Fahrt endet deshalb oft neben der Spur, was die Tierchen richtig scharf macht. Wir haben so den von vielen „empfohlenen und gelobten Radweg“ kennen, aber nicht lieben gelernt. Und empfehlen ihn allen Mountainbikefahrern als Trainings- und Teststrecke.. Sie haben hier hinreichend die Gelegenheit jede Mulde, jedes Loch, jede Rille oder oder auszukosten, was sonst nur den Kühen vorbehalten ist. Ganz besondere Erfahrungen macht derjenige, der hier eine Radtour unmittelbar nach einem Regenschauer unternimmt, es soll für Mensch und Maschine eine besondere Erfahrung sein.

Nach 2 km an einer neu gebauten Brücke verließen wir den beliebten Radweg, der nur so heißt aber nie einer war. Na jedenfalls nach unseren Maßstäben geurteilt. Qualität wird hier offenbar sehr unter-schiedlich bewertet. Der Weg nach Leba bog hier nach Osten ab und wir fuhren, wenn man das so überhaupt sagen kann, 4 km weiter auf der Betonplatte nach Süden bis Skorzyno, wo wir wieder auf eine Asphaltstraße trafen. Nun darf man nicht annehmen, das das Fahren auf der Platte einfache Sache war. Sie war in 2 Spuren für den linken und rechten Treckerreifen gebaut und im laufe der Zeit mehr oder weniger zugewachsen, was die Radspur erheblich reduzierte und zudem mit mehr oder weniger zugelandeten Löchern im Abstand von vielleicht 10 cm Beton, 10 cm Loch ausgestattet. Man musste höllisch aufpassen die Fahrspur zu halten. Die wunderschöne Natur und Landschaft, ja dazu kann ich nichts sagen. Ich habe sie nicht wahrgenommen. Vielleicht ist sie auch gar nicht da, obwohl viele davon erzählen. Wir fuhren weiter in Richtung auf die Landstraße 213 und so auf gutem Grund weiter nach Leba.

Am Ende der Reise in Wladyslawowo sind alle wohlbehalten angekommen, trotz mehrerer Speichenbrüche, trotz „Sperrklinkenbruch“ in der Antriebsnabe von Shimano und trotz mehrerer platter Reifen. Und das ist doch die Hauptsache. Und nun lässt sich manches mit Humor betrachten, was vor Ort den Stier in mir geweckt hatte.“
Text: Günter Proske

6 thoughts on “Fahrradtour Berlin Köpenick – Wladyslawowo

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  1. dieser Kommentar wurde ohne Eingabe des Sicherheitscodes gepostet …

  2. Danke „test“ für den Hinweis. Das Problem besteht schon seit einigen Wochen. Vorher hat viele Monate ein Plugin namens „Akismet“ den SPAM in dem Blog zuverlässig beseitigt, sodass man sich selbst nicht drum kümmern musste. Seitdem das Plugin hier nicht mehr funktioniert, muss ich dreimal am tag die SPAM-Kommentare persönlich löschen. Das ist nervig, aber ich weiß zur Zeit keinen anderen Weg. Entschuldigen möchte ich mich bei den Lesern, die die SPAM-Kommentare in den „Letzten Kommentare“ überlesen müssen. Ich arbeite weiter an dem Problem. Gruß von Kalle

  3. Da weiss man, von welchen Wegen man sich fernhalten muss. Falls ich jemals an Polens Ostseeküste mit dem Rad reisen sollte.

  4. Antiteilchen,

    wenn du dich dort hintraust, dann wirst du erleben, dass die polnische Ostseeküste wunderschön ist. Hunderte von Kilometern Alleen, Fahrradwege, die haarscharf auf der Steilküste entlang führen, sodass einem das Gruseln kommt (z.B. bei Rewal), Fahrradwege auf Holzbohlen durch den Sumpf (z.B. östlich von Kolberg) und viele weitere Wege, die für Radfahrer extrem genussreich sind.

    Das Problem ist lediglich, dass diese Radfahroasen sich wie ein Flickenteppich über die polnische Ostseeküste verteilen, hier gibt es mal fünf Kilometer einen schönen Weg durch den Wald und dann wird man wieder gezwungen, auf der Landesstraße 102 zu fahren, die zum Beispiel auf der Insel Wolin eine echte Todesstrecke ist. Aber Polen holt auf! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die einzelnen Flicken zu einem durchgehenden Netz vereinen.

    Vor drei Jahren bin ich selbst einmal von Berlin nach nach Pobierowo gefahren, Der Weg ist höchstens halb so lang wie der nach Wladyslawowo, aber ich bin auf der gleichen Strecke gefahren wie die Radfahrergruppe um Günter Proske: auf der deutschen Seite entlang der Oder bis zum Haff, dann mit dem Schiff über das Stettiner Haff nach Swinemünde und schließlich ostwärts bis nach Pobierowo. Mit Ausnahme der Erfahrungen auf der Landesstraße 102 würde ich die Strecke sehr gern noch mal fahren, hat viel Spaß gemacht.

    Gruß von Kalle

  5. Und genau vor diesen Todesstrecken gruselt es mich. Aber solche Abschnitte gibt es auch auf deutschen Radstrecken. Sumpf? Himmel, myriaden von Mücken ?

  6. Ich bin auch Anfang Juni die polnische Ostseeküste entlanggeradelt in umgekehrter Richtung und fand es sehr schön. Die kleineren Landstraßen fahren sich sehr angenehm. Aber oft sind wir auch den R10-Schildern im Wald gefolgt, je nachdem, wonach uns gerade war; teils auch aus Neugier. Das geht mit den beladenen Rädern besser als ich dachte, da ein schweres Rad nicht so springt bei Unebenheiten. Klar sind wir auch mal im Sand steckengeblieben, aber wenn man damit rechnet, stört es auch nicht mehr.
    Den Weg zwischen Kluki und Izbica haben wir aus reiner Neugier auch mitgenommen. Das ist mehr ein Mähstreifen in einer Feuchtwiese als ein Radweg. Es ging natürlich sehr langsam vorran, aber landschaftlich fand ich es wunderschön: ein schmaler Pfad im hohem Gras, rechts und links Birkenwälder, dann Feuchtwiese mit Wasserlilien und anderen schönen Blumen, Froschgequake usw. Den Betonplattenweg durchs Feld fand ich aber auch nicht so toll. Wenn es längere Zeit trocken war und ein gewisser Naturforschergeist vorhanden ist, kann man den Weg schon mal machen. Nach Regenperioden würde ich davon abraten.

    Nochmal zum R10. Gibt es eine Web-Seite, wo der Verlauf gekennzeichnet ist? Ich habe den Verdacht, dass jeder Weg an der polnischen Küste mit R10-Symbolen markiert ist.

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