Noch ist die „Sonderuntersuchung Radverkehrsunfälle“ der Berliner Polizei für das Jahr 2015 nicht veröffentlicht. Dennoch kann man wohl erwarten, dass es sich wieder um denselben Text wie in den Jahren zuvor handelt und lediglich die aktuellen Zahlen ausgetauscht werden. Neben den Klassikern wie dem „bemerkenswerten Ergebnis“, dass ca. 50% der Radfahrer Verursacher ihrer Unfälle waren – eine wenig aussagescharfe Zahl, die vom Verkehrsanteil abhängt – stoßen immer wieder Floskeln auf, die den Eindruck erwecken, Radfahrer seien eigentlich an allen Unfällen schuld.
Im Kapitel „Unfallursachen der anderen Verkehrsunfallbeteiligten“ werden an erster Stelle „Fehler beim Abbiegen“ genannt, im Jahre 2014 waren es 1.595 Unfälle. Zum Vergleich: 197 Unfälle geschahen durch Rotlichtmissachtung der Radfahrer. Entschuldigend wird hier der „Tote Winkel“ angeführt, wenngleich dieses Problem überwiegend Lkw-spezifisch ist und es insgesamt „nur“ 474 Unfälle zwischen Radfahrern und Lkw gab. Laut Wikipedia gibt es bei 3,5-Tonnern innerhalb der EU seit 2009 keinen toten Winkel mehr – entweder die Polizei bezieht sich auf andere Fahrzeuge oder nutzt die Bezeichnung, um Fehlverhalten beim Abbiegen zu relativieren. Hilfreich wäre hier eine genauere Aufschlüsselung nach Art der Verkehrsbeteiligung und eine Unterscheidung zwischen Links- und Rechtsabbiegern. Ohnehin ist die Tote-Winkel-Problematik zu komplex für einen Einzeiler, da ja auch ein falsches Kreuzungsdesign (Geradeausfahrer rechts von Rechtsabbiegern, gleichzeitig Grün für Rechtsabbieger und Geradeausfahrer) durchaus unfallbegünstigend wirkt und ein systematisches verkehrsplanerisches Versagen offenbart.
Zum „Nichtbeachten der Vorfahrt“ (608 Unfälle im Jahr 2014) schreibt die Polizei pauschal:
Auf Grund der schmalen Silhouette des Fahrradfahrers und der oftmals falschen Benutzung von Radwegen in entgegengesetzter Richtung, kommt es zum Nichtgewähren der Vorfahrt durch die anderen Verkehrsbeteiligten.
Die Formulierung lässt keinen Zweifel offen – keine Vorfahrtmissachtung ohne Mitschuld des Radfahrers, und sei es nur durch seine „schmale Silhouette“. Der Körperumfang eines Menschen außerhalb eines Pkw ist ein Sonderfall, mit dem Pkw-Fahrer nicht rechnen müssen. Da es sich um eine amtliche Statistik handelt, belässt man es bei dem begleitenden Satz, ohne irgendwelche Zahlen zu nennen. Die „oftmals falsche Benutzung von Radwegen“ dürfte Teil der „falschen oder verbotswidrigen Benutzung von Fahrbahnen und Straßenteilen“ (940 Unfälle) sein, wie häufig diese mit Vorfahrtmissachtung zusammentreffen, ist aus der Statistik aber nicht ablesbar, daher sind solche Begleitsätze nicht nachvollziehbar und nicht nachprüfbar.
Verwickelt ein anderer Verkehrsteilnehmer beim Einfahren in den Fließverkehr einen Radfahrer in einen Unfall, wie es 442 Mal geschah, so ist für die Polizei nur ein Unfallszenario denbkar:
Überwiegend Führer von aus Grundstücksausfahrten kommenden Fahrzeugen können den Straßenraum, in den sie einfahren wollen, nicht im ausreichenden Maße einsehen. Die bereits genannte schmale Silhouette und das Befahren von Gehwegen bilden dann oftmals begünstigende Faktoren für das Zustandekommen von Verkehrsunfällen.
Unachtsames Ausparken oder Ausfahren über Radwege – laut Polizei scheint das keine Rolle zu spielen. Immerhin verwendet man hier, natürlich ohne Zahlen zu nennen, das Wörtchen „oftmals“. Dennoch, warum qualifiziert man eine Aussage, die eine breit gefächerte Unfallursache auf ein einziges Szenario einengt, nicht, indem man die Häufigkeit des Szenarios beziffert?
Verursacht ein Radfahrer einen Unfall beim Einfahren in den Fließverkehr, wie es 618 Mal geschah, so geschieht dies laut Polizei übrigens meist nach der verbotswidrigen Benutzung des Gehweges. Wieder ein klares, eingeengtes Szenario, das z.B. den im Alltag häufig notwendigen Wechsel zwischen Radweg und Fahrbahn außen vor lässt. Wenn die Polizei sagen kann, dass Radfahrer eher vom Geh- als vom Radweg aus falsch in den Fließverkehr einfahren, warum veröffentlicht sie die dies belegenden Zahlen nicht einfach in ihrer amtlichen Statistik?
Eine Unfallstatistik muss neutral sein – sie soll Unfallursachen und -verursacher benennen und kann dies auch erklärend begleiten. So ist z.B. auf den ersten Blick unklar, was sich hinter der „verbotswidrigen Fahrbahnbenutzung“ verbirgt, und die Erklärung, dass damit u.a. das Befahren von Gehwegen oder Radwegen in falscher Richtung gemeint ist, ist hilfreich. Eine Statistik, die mit Texten begleitet wird, darf auch belehren und fachlich haltbare Verhaltensvorschläge geben. Dennoch: Eine Unfallstatistik, die nicht nachgewiesene Behauptungen aufstellt und breit gefächerte Unfallursachen auf Einzelszenarien einschränkt, wirkt unseriös.
Die Berliner Polizei steht auch wegen ihrer Unfallmeldungen in der Kritik. Ein besonders tragischer Fall war der des am 17.3.2016 tödlich verunglückten Radfahrers. Hier verbreitete die Berliner Polizei nach Angaben der Berliner Zeitung zunächst, der Radfahrer sei bei Rot gefahren. Eine Grundlage für diese Behauptung kann sie kaum gehabt haben, denn Zeugen berichteten, dass der verursachende Autofahrer bei roter Ampel gefahren sei. So wurde das Opfer eines schweren Fehlverhaltens in den Zeitungen und Radiosendern stundenlang zum Täter gemacht, die kleinlaute Revidierung des Unfallhergangs hingegen kaum mehr beachtet.
Eine weitere Radfahrerin starb am 11.3.2016, weil ein Pkw sie zu nah überholte. Eine Unfallursache, die die Fahrradstaffel der Berliner Polizei nach eigenen Angaben grundsätzlich nicht sanktioniert.
“Neben den Klassikern wie dem “bemerkenswerten Ergebnis”, dass ca. 50% der Radfahrer Verursacher ihrer Unfälle waren – eine wenig aussagescharfe Zahl, die vom Verkehrsanteil abhängt – …“
Das stimmt so nicht ganz. Der Anteil der Radfahrer unter den Unfallverursachern bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung hängt nicht vom Verkehrsanteil ab, sondern vom Fehlverhalten der Radfahrer im Verhältnis zum Fehlverhalten aller anderen Verkehrsteilnehmer im Zusammenhang mit dem Radverkehr. Wenn Fehlverhalten zwischen Radfahrern und allen anderen Verkehrsteilnehmern gleichverteilt ist, so wäre zu erwarten, dass der Radfahreranteil der Unfallverursacher an Unfällen bei Radfahrerbeteiligung 50% beträgt. Wenn also der Bericht zu dem Ergebnis kommt, dass bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung ca. 50% der Unfälle von den Radfahreren selbst verursacht wurden, so lässt sich daraus schließen, dass sich Radfahrer nicht besser oder schlechter verhalten als der übrige Verkehr, dass also Fehlverhalten bei Radfahreren gleich wahrscheinlich ist, wie Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer.
Anders sieht es aus bei der Beurteilung des Fehlverhaltens von Teilgruppen der Gruppe „andere Verkehrsteilnehmer“ (alle außer radfahrer). Der Bericht 2014 weist als Unfallverursacher bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung aus: PKW (42,1%), LKW (4,2%), Fußgänger (2,7%), Busse (0,4%), motorisierte Zweiräder (0,5%), sonstige (1,0%). Zuammen sind das 50,9% (der Rest sind Radfahrer). Das heißt: Von allen nicht-radfahrenden Unfallverursachern bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung waren 82,7% PKW, 8,3% LKW, 5,3% Fußgänger, 0,8% Busse, 1% motorisierte Zweiräder und 2% sonstige. DIESE Zahlen könnten mit dem Verkehrsaufkommen verglichen werden um herauszufinden, welche Gruppe besonders häufig Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Radverkehr aufweist.
Polizeiberichte zum Thema Fahrrad, da ist auch immer etwas Kotze dabei wenn man das liest.
Ich fahre seit Jahren zur Arbeit, Es gibt mehrere Stellen, die mir bis heute unklar sind.
Man kreuzt die Straße und kommt auf einem Radweg an der eigentlich auf der falschen Seite ist. Da denkt man aber nicht nach weil man sowieso an eine riesige Kreuzung ankommt, an der beide sich kreuzende Radwege immer zeitgleich grün haben! #mannheim
@Bera: Wichtig für eine sinnvolle „Gut / Böse“-Unterscheidung wäre noch eine klare Kennzeichnung, wie viele Alleinunfälle und Unfälle von Radfahrern untereinander sind – bei denen ist ja immer ein Radfahrer Schuld. Wenn dazu nichts gesagt wird, sind diese Zahlen mit enthalten, und dann stehen bei offiziellen 50% Rad fahrenden Verursachern im tatsächlichen Konflikt Radler / Nichtradler die Radler schon etwas besser da.
Außerdem sind eigentlich drei Fälle zu unterschieden: Alleinschuld Radler, Mitschuld beider Beteiligter und Alleinschuld Nichtradler. In vielen Fällen geht dies auf etwa 1/3-Anteile hinaus. Die zusammenfassende Statistik wirft dann gern nur eine Zahl aus: Unfälle, bei denen Radfahrer zumindest mit Schuld waren, und schon bekommt man über 50% „böse“ Radfahrer.
So wird dann hier und da mit Statistik Politik gegen Radler gemacht.
@Bera, bei solchen Einschätzungen helfen Extrembetrachtungen: Gäbe es nur eine Verkehrsgruppe, so läge ihr Anteil an den Unfallverursachern bei 100%. Nichts desto trotz ist es richtig, dass meine Aussage, die benannte Zahl hänge vom Verkehrsanteil ab, etwas unscharf ist. Natürlich spielen da viele Faktoren rein, stark auch das Fehl- oder Wohlverhalten der Radfahrer. Da dies schon öfters Thema war, hatte ich die Kritik an dem aussagelosen Wert abgekürzt.
Interessant ist auch eine Einzelbetrachtung der Unfälle zwischen Radfahrern und Kraftfahrern. Davon gab es 5.926, 3402 von Pkw-Fahrern hauptverursacht, weitere 129 mitverursacht.
Mittlerweile gibt die Polizei eine ähnliche Verursacherquote für Pkw-Fahrer heraus, Pkw-Fahrer sind demnach für 70,07% aller Unfälle (auch solche ohne Pkw-Beteiligung) verantwortlich. Würde man die genannte Verursacherquote also so berechnen wie für Radfahrer (also nur Unfälle mit Pkw-Beteiligung), kämen weit über 70% dabei heraus.
Die Verursacherquote der Radfahrer wird oft mit gehobenem Zeigefinger genannt, insofern finde ich es mutig von der Polizei, einen ähnlichen, aber dramatisch schlimmeren Wert für Pkw zu veröffentlichen – wenngleich dieser nach meiner Beobachtung noch nie Eingang in die Presse gefunden hat.
Top! Vielen dank!
Habt ihr dies zur stellungnahme an die verfasser übersandt?
Falls nein bitte ich hiermit um erlaubnis den text dahingehend zu verwenden.
Ich empfaende im letzten absatz die formulierung „ein_e pkw – fahrer_in“ statt „pkw“ treffender.
kl-ing
Ok, dann en dateil, denn alle Zahlen stehen in dem Bericht. In 2014 gab es 7.699 Unfälle mit Radfahrerbeteiligung (Seite 7). Das heißt, die Unfallpartei Nr. 1 war in 7.699 Fällen ein Radfahrer. Insgesamt waren in 2014 8.092 Radfahrer an Unfällen beteiligt (Seite 20). Das heißt, in 8.092-7.699=393 Fällen war auch Unfallpartei Nr. 2 ein Radfahrer (Unfall von Radfahrer mit Radfahrer) und damit in jedem Fall ein Radfahrer Unfallverursacher. Außerdem war in 5.926 Fällen die Unfallpartei Nr. 2 ein PKW, in 147 Fällen ein motorisiertes Zweirad, in 474 Fällen ein LKW, in 476 Fällen ein Fußgänger und in 232 Fällen ein sonstiges Fahrzeug wie Bus und Tram etc. (alle auf Seite 20). Die Gesamtzahl aller Unfallbeteiligten beträgt 15.347 (Summe aller Unfallbeteiligten auf Seite 20). Wären bei jedem Unfall zwei Parteien beteiligt, so wären 2*7.699=15.398 Unfallbeteiligte zu erwarten. Das heißt, in 15.398-15.347=51 Fällen gab es keine Unfallpartei Nr. 2 und der Radfahrer war in jedem Fall Unfallverursacher. Unter der Annahme, dass die Wahrscheinlichkeit Unfallverursacher zu sein unter allen Verkehrsteilnehmern gleichverteilt ist (bei jedem Unfall ist jede Unfallpartei mit Wahrscheinlichkeit 50% Unfallverursacher), wäre zu erwarten, dass in 4.071,5 von 7.699 Unfällen der Radfahrer Unfallverursacher ist (51+393+(7.699-51-393)*0,5=4.071,5). Das entspricht 52,9% an allen Unfällen. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Radfahrer nur in 49,06% aller Unfälle Unfallverursacher sind. Für PKW wäre zu erwarten, dass diese in 2.963 Fällen Unfallverursacher sind (5.926*0,5=2.963). Das entspricht 38,5% an allen Unfällen. Tatsächlich sind PKW jedoch in 42,09% aller Unfälle Unfallverursacher. Erwartete Anzahl Fußgänger als Unfallverursacher: 476*0,5=238 bzw. 3,1% an allen Unfällen. Tatsächlich sind Fußgänger jedoch nur zu 2,73% Unfallverursacher. Erwartete Anzahl LKW als Unfallverursacher: 474*0,5=237 bzw. 3,1%. Tatsächlich sind LKW zu 4,23% Unfallverursacher (alle Zahlen auf Seite 4).
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Radfahrer im Vergleich zum übrigen Verkehr verhältnismäßig weniger Fehlverhalten aufweisen und unterproportional als Unfallverursacher auftreten, also mit einer Wahrscheinlichkeit unter 50% Unfallverursacher sind, wenn sie an einem Unfall beteiligt sind. Hingegen sind PKW und LKW überproportional oft Unfallverursacher im Zusammenhang mit Radverkehr. Man muss jedoch auch sagen, dass bei Unfällen zwischen Radfahreren und Fußgänger die Radfahrer überproportionial oft Unfallverursacher sind und Fußgänger im Zusammenhang mit dem Radverkehr weniger Fehlverhalten aufweisen als Radfahrer.
Das alles lässt sich mit den Zahlen aus dem Bericht darstellen. Was der Bericht hingegen macht ist eine Verfälschung, in dem er die Quote der unfallverursachenden Radfahrer mit den entsprechenden Quoten der übrigen Verkehrsteilnehmer unter der Bedingung vergleicht, dass Radfahrerbeteiligung vorliegt. Das ist unzulässig und statistisch falsch. Und wahrscheinlich werden wir diesen Unsinn im neuen Bericht leider wieder lesen müssen – weil es halt gut ins Konzept passt.
cool. Aber mir gerade zu hoch um 100% zu folgen.
destatis bereitet das immer so schön kompakt auf Seite 9 von „Zweiradunfälle im Straßenverkehr“ auf:
(https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/TransportVerkehr/Verkehrsunfaelle/UnfaelleZweirad5462408147004.pdf;jsessionid=8F449B12AC876CB9F331C9C7E3A165B9.cae3?__blob=publicationFile)
Hauptverursacher empfinde ich auch als deutlich aussagekräftiger, als Verursacher=Haupt- oder Mitverursacher.
Die Forderung, die Berliner Sonderuntersuchung dem Schema von destais anzupassen, sollte noch in den Volksentscheid aufgenommen werden (wobei ich meinen Forderungskatalog immer noch lieber mag: https://radsicherheit.berlin.de/vorschlag/eine-hand-voll-minimalforderungen-gruene-geradeauspfeile-fuer-radfahrer-und-so . Darin war diese Forderung in der 2.Fortsetzung nämlich schon enthalten. Vielleicht sollte ich einen alternativen Gesetzesentwurf zum VE einbringen 😉 )
@ berlinradler
Insgesamt gab es 2013 in Deutschland gemäß Statistischem Bundesamt 204.280 Unfälle mit PKW-Beteiligung (Personenschäden, Tote, schwere Sachschäden), von denen 39.637 nicht durch PKW verursacht wurden. Demnach trägt bei Unfällen mit PKW-Beteiligung zu 80,6 Prozent ein PKW-Fahrer die Hauptunfallschuld.
@Martin LE, ja, so ähnliche Zahlen habe ich für Berlin auch schon ausgerechnet.
Wie gesagt, die Zahl ist ja wenig aussagekräftig. Da die Verursacherquote immer in den Medien als Moralkeule gegen Radfahrer verwendet wird – wenngleich sie, wie Bera ausführt, nicht mal dazu taugt – ist es umso erstaunlicher, dass die höhere Pkw-Verursacherquote so stillschweigend hingenommen wird.
berlinradler:
Das kann ich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen. Diese Zahl sagt mir nur, wenn es einen Unfall zwischen einem Radfahrer und einem anderen Verkehrsteilnehmer, der natürlich auch ein Radfahrer sein kann, gibt, so ist in der Hälfte der Fälle dieser Radfahrer für den Unfall selbst verantwortlich. Warum sollte das jetzt vom Verkehrsanteil abhängen?
Erwartest du, dass z.B. bei nur halb so großem Verkehrsanteil die Radfahrer vorsichtiger fahren? Bei halb so großem Radfahreranteil am Verkehrsgeschehen ist wohl zu erwarten, dass auch der Anteil der Unfälle mit Radlerbeteiligung nur halb so groß ist. Aber warum sollte von diesen halb so viel Unfällen jetzt weniger oder auch mehr vom Radfahrer verschuldet sein?
Der Hinweis von Bera zum „Fehlverhalten der Radfahrer im Verhältnis zum Fehlverhalten aller anderen Verkehrsteilnehmer“, denke ich, kommt der Sache zumindest näher.
berlinradler:
Sorry, dem kann ich nun gar nicht mehr folgen. Du meinst mit dem Hinweis in den Klammern doch nicht, dass bei Radfahrern als Unfallversursacher nur Unfälle mit Radfahrerbeteiligung, also zwischen Radfahrern betrachtet werden. So lese ich das aber irgendwie.
Indes wundert mich die Zahl von 50 % gar nicht. Das Thema zum „Fehl- oder Wohlverhalten der Radfahrer“ wolltest du ja nicht so vertiefen, aber man kommt da leider nicht drumherum. Ich nehme immer wieder eine erhebliche Gefährung durch andere Radfahrer wahr, häufig z.B. durch erst im letzten Moment bemerkte Geisterfahrer. Durch ihre „schmale Silhouette“ verbergen die sich nämlich gerne im Blickschatten des vor mir fahrenden Radlers.
Dass die Polizei, auch die auf Fahrrädern, auch Verfehlungen von Radfahrern ahndet, finde ich absolut richtig.
berlinradler, du hattest die Zahlen der durch PKW verursachten Abbiegeunfälle und die der Rotlichtradfahrer verglichen. Immerhin ist letztere ein Achtel der ersten Zahl und damit ein nicht kleinzuredender Anteil.
Die Rotlichtverstöße von Auto- und Radfahrern sind auch unterschiedlich. Die meisten Autofahrer, die noch bei Rot fahren, tun dies unmittelbar am Beginn der Rotphase, wo der Querverkehr auch noch Rot hat. Selten beobachte ich mal einen Fall, wo schon länger Rot ist.
Ich beobachte aber täglich etliche Radler, die sich einen Scheißdreck um die Ampeln scheren und ungebremst durchbrettern, obwohl schon länger Rot ist.
Im Übrigen helfen diese auch kräftig mit, das Ansehen des Radfahrers in den Dreck zu ziehen.
berlinradler, dass du die Formulierung „Auf Grund der schmalen Silhouette des Fahrradfahrers …“ gleich als pauschalisierte Mitschuld des Radfahrers verstehst, finde ich etwas sehr überzogen. Es gibt nun mal Unterschiede. Die kann man nicht durch andere Formulierungen wegdiskutieren. Wenn ich als Radfahrer durch meine Physik einen Nachteil habe, dann ist der einfach mal da. Und dessen muss ich mir auch als Radfahrer bewusst sein.
Die „schmale Silhouette“ tritt übrigens noch ganz woanders in Erscheinung, nämlich bei den Türaufreiß-Unfällen. Erstaunlicherweise habe ich von denen in deiner Zusammenfassung gar Nichts gelesen, obwohl die doch so häufig sind.
Hier ist es in der Tat so, dass Richter oft den Radfahrern eine Mitschuld geben, die zu eng an den haltenden Fahrzeugen entlang gefahren sind. Die „schmale Silhouette“ hilft dann dem Autofahrer, den Radfahrer zu übersehen, wenn er nicht so in den Rückspiegel schaut, dass sein Blickwinkel auch ganz an der Außenseite seines Fahrzeuges anliegt.
Aber leider: versucht man, es den Autofahrern leichter zu machen, indem man nicht auf dem schlecht einsehbaren Radweg oder in der Dooring-Zone fährt, ist man sofort der Verkehrsbehinderer und wird auch wieder angefeindet.
@Karsten, ich habe es in einem nachfolgenden Kommentar ja nochmal etwas konkretisiert – der Verursacheranteil hängt nicht nur vom Verkehrsanteil ab, steigt aber mit steigendem Verkehrsanteil. Gäbe es nur Radfahrer und würden diese Unfälle bauen, wären immer (100%) Radfahrer die Verursacher.
Die von der Polizei genannte, von mir zitierte Pkw-Verursacherquote von 70,07% bezieht sich auf alle in Berlin erfassten Unfälle. Die von der Polizei genannte Radfahrer-Verursacherquote bezieht sich auf den Teil der Verkehrsunfälle, an denen Radfahrer beteilgt waren. M.E. ist die Datenbasis klar verständlich und falls ich das irgendwo unklar ausgedrückt haben sollte, war das keine Absicht. Gerne nenne ich nochmal die konkreten Quellen und Seitenzahlen für beide Zahlen, dann kann man einfach nachschlagen, was sie aussagen.
Meine Äußerungen zur Ampelmissachtung bezogen sich nicht auf irgendwelche moralischen Betrachtungen, sondern ganz allein auf die Unfälle. Dass dieses Fehlverhalten weit verbreitet ist, streite ich nicht ab. Die moralische Betrachtung fällt mir schon deshalb schwer, weil eine grüne Ampel in vielen Konstellationen eine hohe Unfallgefahr bedeutet. Die Sicherheitsfunktion der Ampel versagt für Radfahrer auf Radwegen vollständig. Unachtsames Abbiegen wird in Diskussionen überhaupt nicht moralisiert.
Zur schmalen Silhouette: Ich habe mich natürlich überspritzt ausgedrückt. Die Polizei nennt bei den Fehlverhaltensweisen der anderen Verkehrsteilnehmer teils ganze Listen vom Mitverschulden der Radfahrer und mischt unter diese die „schmale Silhouette“. Das ist subjektiv, aber in meinen Augen sind Menschen in der Stadt eher Normalität und kein unfallbegünstigender Sonderfall. Wer ein Fahrzeug innerhalb der Stadt führt, muss mit Menschen rechnen. Auch als Radfahrer.
Meine Auflistung mag lückenhaft sein, daher fehlt auch das Dooring. Der Beitrag sollte nicht die Hauptunfallursachen auflisten, sondern in meinen Augen tendenziöse und teils unbewiesene Begleittexte in der Unfallstatistik der Polizei.
Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass ich allein wegen eines Abstands zu parkenden Fahrzeugen m.E. noch nie angefeindet wurde, wegen der Nichtbenutzung von Radwegen hingegen häufig. Aber Verkehrserfahrungen sind äußerst unterschiedlich und subjektiv. So habe ich schon oft Autos bei dunkelrot fahren sehen – oft haben die das nicht mitbekommen und daher auf nichts geachtet oder andere angehupt.
@Bera
„Der Anteil der Radfahrer unter den Unfallverursachern bei Unfällen mit Radfahrerbeteiligung hängt nicht vom Verkehrsanteil ab, sondern vom Fehlverhalten der Radfahrer im Verhältnis zum Fehlverhalten aller anderen Verkehrsteilnehmer im Zusammenhang mit dem Radverkehr.“
Das stimmt nicht.
In Deutschland ist der Anteil der Radfahrer unter den Unfallverursachern in allererster Linie von den Gesetzen bzw von ihrer Auslegung abhängig.
In den Niederlanden ist bei einem Unfall Kfz vs Rad ziemlich grundsätzlich der Autofahrer schuld, in Dänemark dito.
In Deutschland: (Nicht nur) Lkw-Fahrer dürfen dich, bzw vor allem Frauen, ungestraft über den Haufen fahren – „Toter Winkel“ schreien sofort und unisono Medien, Polizei und auch die Richter: license to kill.
Im Übrigen wird die Unfallstatistik stark überschätzt. Sie gibt Auskunft über den Stand und die Veränderung genau eines (1) Parameters: Der absoluten Häufigkeit von Fahrradunfällen.
Ohne Zahlen zum Radverkehrsanteil und ohne Aussagen über die qualitative Zusammensetzung des Radverkehrs ist der Parameter Unfallhäufigkeit wenig aussagekräftig.
Er ist sogar nahezu wertlos und die Erhebung eines Parameters, der auf absoluten Zahlen beruht, zum Goldenen Kalb des bundesdeutschen Radverkehrs in Gestalt einer allseits zutiefst verehrten „Objektiven Sicherheit“ macht schon statistisch nur Grundgebildete einigermaßen sprachlos.
Was man nämlich als erstes im Fach Statistik lernt, das ist, dass Statistik Aussagen in relativen Zahlen macht.
Ein Beispiel:
Wenn nach den sog. „Sylvesterereignissen“ die Zahl der weiblichen Besucher derartiger öffentlicher Großevents sinkt, dann wird auch die Zahl der sexuell konnotierten Übergriffe sinken.
Die „objektive Sicherheit“ wäre dann gestiegen. Natürlich völliger Quatsch. Weil die „objektive Sicherheit“ gesunken ist, deshalb kommen weniger Frauen und weil weniger Frauen kommen, deshalb sinkt die Zahl der Übergriffe.
Der Parameter „absolute Zahl der Übergriffe“ sagt für sich allein genommen nichts über Sicherheit aus – weder über „subjektive“, noch über die „prädikative“ und auch nicht über die „objektive“, gleichwie ob Dativ- oder Akkusativobjekt.
Sicherheit ist schwierig zu messen.
In der Ökologie wird die Stabilität eines Systems, also seine Sicherheit, anhand sog. Zeigerarten überwacht.
Bei diesen Zeigerarten, sie werden auch Indikatoren genannt, handelt es sich um ökologisch wenig potente, also um empfindliche Arten. Wenn irgend etwas nicht stimmt, dann setzen die sich nicht trotzdem durch, sondern sie nehmen sofort deutlich an Zahl bzw Habitus ab bis hin zum völligen Verschwinden.
Um Aussagen über die Radverkehrssicherheit zu machen, kämen besonders Kinder und Frauen als Indikatoren in Frage.
Ihr Anteil am Radverkehr bzw die Veränderung ihres Anteils gäbe eine gute und höchst aussagefähige Datenlage ab.
Naja, eine Statistik ist eben wie ein nicht geeichtes Thermomether zu Hause.
Ich sehe zwar einige Verzerrungen durch eine seltsame Anwendung der Gesetze, z.B. wenn bei Fusgängerunfällen die Gruppe der 0-2-Jährigen als Verursacher geführt oder offenkundig jeder Fahrbahn-Überquerunfall dem Fußgänger zugeschrieben wird, dabei könnten auch gefahrene Geschwindigkeiten oder unzulässige Sichthindernisse eine Rolle spielen. Andererseits kann ich die meisten Unfallverursacherkategorien bei Radfahrern nachvollziehen – Vorfahrtmissachtung ist unstrittig, Ampelmissachtung unstrittig. Schwierig wird es bei der Nutzung des falschen Fahrbahnteils, wenn z.B. eine Radwegbenutzungspflicht ignorioert wird – ist zwar regelwidrig, aber unfallursächlich?
Ja, eine Statistik hat immer Ungenauigkeiten und Grenzen
Die Verursacherquote von Radfahrern von etwa 50% wird im Vergleich zu einer anderen Gruppe von Verkehrsteilnehmern erst interessant, die ebenfalls einen geringen Anteil am Verkehr haben: Lkw. Die Berufskraftfahrer im Lkw verursachen etwa 75% der Unfälle, an denn sie beteiligt sind.
Die Verursacherquote von Radfaheren ist übrigens in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken.
Rutscht ein Fußgänger bei Glatteis aus und bricht sich irgendetwas, dann ist das kein Fall für die Unfallstatistik.
Bei Radfahrern sieht’s anders aus.
Bei Unfällen Kfz vs Rad sind zu ca 75% die Kfz-Führer schuld – selbst nach hiesigen Gesetzen und Rechtsauslegungen. Ähnlich wie in den USA (dort jedoch mit abnehmender Tendenz) gilt auch bei uns:
It’s okay to kill a caclist or a ped.
Schade ist, dass auch aus dieser Statistik wieder einmal nicht die Opfer der sogenannten ROAD RAGE herauszulesen sein werden.
Interessant wäre auch einmal eine Statistik über die Höhe (bzw. die Tiefe) der Geldstrafen gegen die „Killer on the road“ (aus: Riders on the Storm, The Doors, 1971). Nach meiner Beobachtung stagnieren die Strafen wegen des Tötens von Radfahrern und Fußgängern.
Gut möglich, dass der Kurs für das Töten von Radlern und Fußgängern schon schlechter performt als der Kurs für das Töten von bspw. Hunden:
Köln: Mann erschlägt Hund – 1250 Euro Geldstrafe (Zufalls-Google).
Zum sogenannten „Toten Winkel“:
Nach §56 StVZO müssen Fahrer „nach rückwärts, zur Seite und unmittelbar vor dem Fahrzeug – auch beim Mitführen von Anhängern – alle für ihn wesentlichen Verkehrsvorgänge beobachten (können)“. Fahrzeuge mit „Totem Winkel“ sind nicht konform zur StVZO.
Es gibt an Lkw schon lange keinen „Toten Winkel“ mehr. Seit dem Jahr 2009 müssen EU-weit alle Lkw mit Spiegeln ausgestattet sein, die den Rundumblick um das Führerhaus ermöglichen.
Die StVZO enthält seit dem Jahr 1997 die oben angegebene Formulierung. Die Vorschriften für die Spiegel an Lkw gelten seit dem Jahr 2009. „Nach Rückwärts“ kann heute noch kein Lkw-Fahrer etwas beobachten, von einigen Ausnahmen abgesehen, bei denen hinten am Lkw eine Videokamera montiert ist. Zum Glück ist die Sicht „nach Rückwärts“ nicht so relevant für das Unfallgeschehen. Etwa jeder dritte getötete Radfahrer wird von einem abbiegenden Lkw getötet. Um das zu verhindern würden die Spiegel nach EU-Vorschrift ausreichen.
@ vorstadt-strizzi:
„Lkw-Fahrer dürfen dich, bzw vor allem Frauen, ungestraft über den Haufen fahren“.
Das ist so weit zugespitzt nicht richtig. Die Lkw-Fahrer werden in der Regel wegen fahrlässiger Tötung mit 90 Tagessätzen bestraft. Sie sind damit gerade noch nicht vorbestraft. „Ungestraft“ ist aber auch etwas anderes.
Noch eine Quelle: Analysen zu Fahrradunfällen in Berlin gibt es auch auf der Webseite des ADFC:
http://adfc-berlin.de/radverkehr/sicherheit.html
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen häufig beobachtetem Fehlverhalten einerseits und den tatsächlichen Unfallursachen andererseits. Fahrten über „Rot“ sind bei Radfahrern häufig zu sehen, haben aber bei den Fahrradunfällen eine untergeordnete Bedeutung (bitte nicht falsch verstehen: Das ist nicht als Rechtfertigung der Fahrten über „Rot“ gemeint!)
@ Karsten Strupp: Die Radfahrer die Dir illegal entgegen kommen sind nervig und fühlen sich gefährlich an. Das Fehlverhalten kommt in der Unfallstatistik aber nicht an vorderer Stelle vor. Gefährlich erscheinendes Verhalten und unfallrelevantes Verhalten ist nicht dasselbe.
Bevor jetzt jemand „Dunkelziffer“ schreit (ein beliebtes Thema bei der UDV und der Polizei in Münster…): Ja, es gibt bei Verkehrsunfällen eine Dunkelziffer. In der Statistik sind daher nicht alle Unfallursachen im richtigen Verhältnis abgebildet. Ich gehe aber davon aus, dass die nicht enthaltenen Unfälle eher die Bagatellunfälle sind, bei denen die Unfallgegner anschließend weiterfahren und eben nicht die Polizei verständigen.
@ Bera: Danke! Ich beschäftige mich schon seit einiger Zeit mit der Unfallstatistik (bei dem Pseudonym ja kein Wunder… 😉 und auf die Verknüpfung war ich noch nicht gekommen.
Ein weiteres besonderes Rechenverfahren der Polizei lässt die Radfahrer schlecht aussehen:
Die Polizei erfasst Hauptverursacher und Mitverursacher von Radunfällen. Zu einem Radunfall gibt es immer einen Hauptverursacher. Bei manchen Radunfällen wird zusätzlich ein Mitverursacher festgestellt. Die Summe aus Haupt- und Mitverursachern ist also größer als die Anzahl der Radunfälle. Die Polizei ermittelt nun die Verursacherquote von Radfahrern so, dass von Radfahrern die Summe aus Haupt- und Mitverursachern gebildet wird und diese Summe dann durch die Anzahl der Radunfälle geteilt wird. Die so berechnete Verursacherquote ist größer als 50% und wird von der Polizei bei der jährlichen Pressekonferenz zum Unfallgeschehen veröffentlicht.
In der Sonderauswertung der Berliner Polizei zu Radunfällen wird dann eine andere Verursacherquote von Radfahrern berechnet und dargestellt. Dort wird von Radfahrern die Summe aus Haupt- und Mitverursachern gebildet und dann durch die Summe aus Haupt- und Mitverursachern von Radunfällen insgesamt geteilt. Das ist schon besser, aber immer noch so, dass Radfahrern eine hohe Verursacherquote zugeordnet wird. Bei Radfahrern ist der Anteil der mitverursachten Unfälle höher als bei anderen Verkehrsteilnehmern.
Ein zu wenig beachteter Aspekt ist die Folge eines Unfalls. Ein Unfall kann im Wesentlichen Sachschaden, Leichtverletzte, Schwerverletzte sowie Getötete zur Folge haben. Die Forschungs- und Planungsgruppe Stadt und Verkehr (FGS) hat in einer Sonderauswertung aus dem Jahr 2010 einmal die Unfallfolgen und die Verursacher über einen Zeitraum von fünf Jahren aufgelistet. Daraus lässt sich auswerten, dass Radfahrer überwiegend Unfälle mit Sachschaden verursachen. Kraftfahrer verursachen hingegen deutlich überwiegend die Radunfälle mit Verletzten als Unfallfolge (wobei die Verletzten fast ausschließlich Radfahrer sind). Ein Unfall, der von einem Radfahrer verursacht wird, hat also leichtere Unfallfolgen als ein Radunfall, der von einem Kraftfahrer verursacht wird. Eine Betrachtung bzw. Vergleich der Verursacherquoten bezieht das nicht mit ein und unterstellt, dass alle Verkehrsteilnehmer auch ähnlich schwere Unfallfolgen verursachen.
So, das sind viele Details und es ist häufig schwierig, das alles nachzuvollziehen. Daher lässt sich damit auch nur schwierig argumentieren. Zwei Sachverhalte sind aber sofort verständlich:
Radfahrer verursachten 197 Unfälle, weil sie über „Rot“ gefahren sind. Kraftfahrer verursachten 1595 Radunfälle beim Abbiegen (Berlin, 2014).
Die Legende vom Kampfradler der zunehmend Unfälle verursacht ist falsch. Die Verursacherquote von Radfahrern nimmt seit über zehn Jahren kontinuierlich ab. Die von Kraftfahrern verursachten Abbiegeunfälle haben hingegen im Anteil kontinuierlich zugenommen.
@Zahlendreher, interessant zu lesende Vertiefung.
Ich denke, die Polizei kann nicht jede Zahl zueinander ins Verhältnis setzen, weil es sehr viele interessante Zahlenkonstellationen gibt. Das ist sicher auch nicht Aufgabe einer amtlichen Statistik – sie soll ja vielmehr das Futter für die weitergehenden Berechnungen geben.
Meine Kritik richtet sich insbesondere gegen die inhaltlich fragwürdige Verursacherquote und die tendenziösen Begleittexte. Das soll gar nicht polizei- oder autofeindlich rüberkommen und auch die von Radfahrern gezeigten Fehlverhaltensweisen relativieren. Die Polizei darf eben nicht das tun, was wir hier können – nämlich Partei ergreifen und eine Teilnehmergruppe als Heilige darstellen.
Zahlendreher:
Zitat: „Die Polizei erfasst Hauptverursacher und Mitverursacher von Radunfällen. Zu einem Radunfall gibt es immer einen Hauptverursacher. Bei manchen Radunfällen wird zusätzlich ein Mitverursacher festgestellt.“
Die Frage die sich mir jetzt stellt: Beziehen sich diese Einordnungen auf das (End)Ergebnis von Ermittlungen, oder gar abschließender Rechtsprechung? Oder auf die allererste, grobe und unverbindliche Einschätzung der einen Unfall aufnehmenden Beamten vor Ort?
Oder anders gefragt: Auf welches Zahlenmaterial wird sich dabei gestützt?
Soweit mir bekannt, basieren die Unfallstatistiken auf den Einschätzungen der unfallaufnehmenden Polizisten. So hatte es der ADFC mal beschrieben, wenn ich mich richtig erinnere. Eine Quelle dazu habe ich aber auf Anhieb nicht gefunden.
sehr guter Artikel, vielen Dank dafür. Und interessante Kommentare sind auch dabei, @Zahlendreher und @Bera, auch dafür danke.
„Soweit mir bekannt, basieren die Unfallstatistiken auf den Einschätzungen der unfallaufnehmenden Polizisten.“
Das dürfte die theoretisch Objektivität der Statistiken dann nochmals in schwer einschätzbarer Weise nach UNTEN ziehen.
Kleines Beispiel, der tödliche Unfall in Köln, wo ein Radfahrer von einer Straba(?) überfahren wurde und die Polizei direkt verkündete der Radfahrer sei schuld, weil Rotlicht missachtet.
Und erst im Nachgang, nachdem der ADFC eine Ortsbegehung durchgesetzt hat, stellt sich dann heraus, der Radfahrer hatte gar keine Chance das Rotlicht (rechtzeitig) zu sehen und konnte es daher auch nicht missachten. Schuld waren daher die baulichen Umstände, also entweder die Stadtverwaltung oder die KVB. Aber so etwas findet dann ja offenbar keinen Eingang mehr in die tolle Statistik.
@Jochen G., bei den Verkehrstoten ist es ja so, dass auch noch die nach X Tagen verstorbenen dazugezählt werden. Die kommen ja als Getötete in die Statistik und werden u.U. nicht von den unfallaufnehmenden Polizisten dort eingetragen. Da kann ich mir vorstellen, dass die Unfallursachen noch etwas besser stimmen. Vielleicht weiss das jemand genauer.
Nicht sichtbare Lichtsignalanlagen sind natürlich heftig – in Berlin ist das nicht selten der Fall, wenn Fußgänger vor der in ca. 1,50 Metern Höhe angebrachten Ampel stehen. Verdeckte Verkehrszeichen können sich durch parkende Lkw ergeben.
Problematisch finde ich, wenn als Ursachen wie „plötzliches Hervortreten hinter Sichthindernissen“ (Fußgängerunfälle) ohne STVO-Entsprechung aufgenommen werden. Ebenfalls die fehlende Unterscheidung zwischen Links- und Rechtsabbiegerunfällen und Unfällen mit oder ohne Ampel macht einige Aussagen sehr unscharf. Neben der Anzahl der Unfälle unter Missachtung der Ampel fände ich auch die Anzahl der Unfälle unter Beachtung der Ampel interessant – das klingt erstmal nicht einleuchtend, weil ja immer ein anderer etwas falsch gemacht hat, das nicht zwingend eine Rotlichtfahrt war – aber die unscharfen Kenntnisse über Unfälle an lichtsignalgeregelten Kreuzungen lassen Handlungsbedarf dort, wo er ist, oft gar nicht erkennen.
Hallo,
ich fahre selbst sehr viel Fahrrad. Ja es ist in Berlin sehr gefährlich geworden. Doch es muss hier auch gesagt werden, dass immer mehr Zweiradfahrer die Verkehrsregeln nicht einhalten. Das gilt besonders für Sportrennradfahrer und Kuriere. Es werden absichtlich nicht Fahrradwege genutzt und es wird sich in die engste Ecke gequetscht. Das muss hier in der Statistik auch mal aufgeführt werden.
Und immer mehr™ Leute schreiben Kommentare, um einen Link auf ihre Webseite einbringen zu können 🙂 Liebe Julia, wie hast Du gemessen, dass immer mehr™ Radfahrer die Regeln nicht einhalten? Bezieht sich das auf relative oder auf absolute Zahlen?
Radwege müssen nicht immer genutzt werden – meist hat man freie Wahl. Siehe STVO. STVO-konformes Verhalten kann nicht als Unfallursache gelten.
Mangelnder Abstand seitens der Radfahrer führt ziemlich häufig zu Unfällen, die Polizei nennt als häufigste Folge Sachschäden.
@Zahlendreher
„“Lkw-Fahrer dürfen dich, bzw vor allem Frauen, ungestraft über den Haufen fahren”.
Das ist so weit zugespitzt nicht richtig. Die Lkw-Fahrer werden in der Regel wegen fahrlässiger Tötung mit 90 Tagessätzen bestraft.“
Süddeutsche Zeitung:
“ „Warnung an alle Radfahrer“
Eine Radlerin wird von einem abbiegenden LKW erfasst und getötet – das Amtsgericht spricht den Fahrer trotz „aller Tragik“ frei. Die Eltern sind entsetzt und schockiert. Dem Angeklagten sei keine Schuld nachweisbar, befand die Richterin. Und: Radfahrer müssten eben besonders aufpassen.“
„Tödlicher Unfall im Mai 2015 in Bernburg Freispruch für Lkw-Fahrer aus Jessen
stand für Staatsanwältin, Verteidiger und auch Richter unisono fest, dass dem Angeklagten aus Jessen eine Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht mit absoluter Sicherheit nachzuweisen sei.“ (Mitteldeutsche Zeitung.)
Und so weiter und so fort.
Aber mag sein, dass 90 Tagessätze zumindest in Berlin üblich sind. Die Tagessätze reichen von 8 – 30 €. Das Strafmaß reicht also von Freispruch bis zu einer Geldstrafe von 800 bis ca 3000 €. Ich halte das nicht für einen angemessenen juristischen Schutz.
Es ist kein Kopfgeld für Radfahrer. Das ist alles.
Aufschlussreich in der neuen Unfallstatistik wird der „Sonderbericht Kinder“ sein.
Durch die zunehmende fahrbahnnahe Radverkehrsführung wird der Radler durch parkende/haltende/ rangierende/liefernde/wartende etc Kfz-Führer sehr häufig zum Wechsel in den Kfz-Fließverkehr gezwungen.
2013:
So entfallen bei den radfahrenden Kindern 83,86% auf die Unfallursachen Fehler beim Einfahren in den Fließverkehr (34,58%), falsche / verbotswidrige Fahrbahnbenutzung (27,09%) und ungenügender Sicherheitsabstand (22,19%).
Die Unfallursachen Einfahren in den Fließverkehr (+ 7,06%) als auch ungenügender Sicherheitsabstand (+ 10,00%) verzeichneten einen Anstieg zum Vorjahr.“
2014:
So wird auf Grund der hohen Anzahl (379) der verursachenden Kinder, die als Radfahrer in Erscheinung treten, ein sehr deutlicher Trend erkennbar. So entfallen bei den radfahrenden Kindern 84,57% auf die Unfallursachen Fehler beim Einfahren in den Fließverkehr (35,9%), falsche / verbotswidrige Fahrbahnbenutzung (24,20%) und ungenügender Sicherheitsabstand (24,47%).
Die Unfallursachen Einfahren in den Fließverkehr (+ 12,50%) als auch ungenügender Sicherheitsabstand (+ 19,48%) verzeichneten einen Anstieg zum Vorjahr
Die Frage ist ob sich der Trend der vergangenen Jahre fortgesetzt oder ob der Gegentrend des elterlichen Bringeverkehrs Schlimmeres verhütet.
Das erstgenannte Urteil wurde später vom Landgericht revidiert, 120 Tagessätze zu je 40 Euro. http://www.tz.de/muenchen/stadt/toedlicher-radlunfall-gericht-korrigiert-urteil-tz-667798.html
Das zweitgenannte Urteil war ein tödlicher Unfall zwischen Lkw und Fußgänger, es gab 4 sehr unterschiedliche Zeugenaussagen.
Strafen sind sicher eine irgendwie im Nachhinein befriedigende Sache, und ganz ohne kanns natürlich nicht laufen. Dennoch scheint mir die Zielausrichtung zu sein, solche Unfälle zu vermeiden. Die Ansätze hierfür sind bekannt.
Wird eigentlichdas Thema „Unfälle im Längsverkehr“ behandelt? Die sind ja nach Ansicht der passionierten man-sollte-immer-nur-Fahrbahn-fahren-Fraktion sehr selten. Aber:
„Wieder ein Unfall, weil ein Lastwagen ohne seitlichen Abstand ein Fahrrad überholen wollte: In derReichenberger Straße in Kreuzberg wurde eine 51-Jährige gegen 15.20 Uhr von einem Lieferwagen gerammt, der ohne jeden Abstand überholen wollte. Die Frau stürzte, dabei erlitt sie eine Schädelfraktur. In diesem Jahr wurden drei der sechs tödlich verunglückten Radfahrer von Autofahrern gerammt, die ohne Abstand überholen wollten.
Der zweite Unfall ereignete sich in Prenzlauer Berg. In der Pappelallee war ein 48-jähriger Radfahrer gegen 22.15 Uhr mit dem Vorderrad in die dort verlaufenden Straßenbahngleise geraten und zu Boden gestürzt. Nach Polizeiangaben war der Mann angetrunken. Ein 28-jähriger LKW-Fahrer, der hinter dem Fahrrad in derselben Richtung unterwegs war, konnte nicht mehr ausweichen, erfasste den Mann und überrollte ihn mit dem Laster[…]“
http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/zwei-radfahrer-bei-unfaellen-schwer-verletzt-betrunken-in-tramgleise-gestuerzt-und-ueberrollt/13492120.html
Wobei im zweiten Fall hier Unfallursache womöglich (auch) der angetrunkene Zustand gewesen sein mag – die Folge wäre auf einem Radweg aber kaum so schwer gewesen. Ich weiß nicht ob es hierzu überhaupt eine statistische Erfassung gibt.
@fab, m.E. hilft da ja nur ein Blick in die Statistiken. Unfallmeldungen wird es immer geben, die beweisen, dass die Fahrbahn oder der Radweg unsicher ist, unfallfrei funktioniert ein individueller Straßenverkehr ja nunmal nicht.
Kürzlich gab es direkt hintereinander zwei tödliche Lkw-Unfälle: einmal fuhr der Radfahrer bei grüner Ampel vom Radweg kommend über die Kreuzung, einmal fuhr der Radfahrer auf der Fahrbahn und wurde einfach überrollt. Beides alleine unendlich grausam und schrecklich, dennoch aber nicht für Vergleiche geeignet.
Straßenbahngleise sind m.E. ein Sonderfall, der die generelle Frage nach den Vorzügen von Radwegen und Fahrbahnen nicht beantworten kann. Es ist ja nicht so, dass auf einem Radweg noch nie jemand überrollt wurde, im Gegenteil. Dafür muss der Lkw-Fahrer, der hier zu dicht am stürzenden Radfahrer gewesen zu sein scheint, ja nur in der nächsten Kreuzung abbiegen oder überraschend in eine Einfahrt lenken.
Durch die Zunahme des innerstädtischen Radverkehrs kommt es auch immer wieder zu Unfällen. Bei den meisten Kollisionen entsteht nur ein Sachschaden und der Radfahrer trägt meist nur leichten Blessuren davon. Doch nicht alle Fälle gehen so glimpflich aus, vor allem wenn Autofahrer unaufmerksam sind und beim Abbiegen einen Fahrradfahrer übersehen. In vielen Fällen kann allerdings auch der Radfahrer für den Unfall überweigend verantwortlich sein. Das Risiko, dass der Autofahrer allein mit der Teilnahme am Straßenverkehr eingeht tritt zurück, wenn sich der Fahrradfahrer grob fahrlässig verhält. Allerdings wird dem Autofahrer in den meisten Fällen eine Teilschuld angerechnet. So muss der Autofahrer beispielsweise auch beim Abbiegen auf Radverkehr aus der Gegenrichtung achten. Obwohl der Radfahrer hier als „Geisterfahrer“ den falschen Radweg benutzt, darf sich der Autofahrer nicht darauf verlassen Vorfahrt zu haben. Kommt es allerdings zu einer Kollision mit einem langsam aus einer Ausfahrt fahrenden Auto, weil der Radfahrer auf dem Gehweg fährt, wird ihm die Schuld anzulasten sein. Die Schuldfrage kann daher nicht pauschal festgelegt werden. In den meisten Fällen wird dem Autofahrer aber zumindest eine Teilschuld zugesprochen.
Mit Ihrem Blog haben Sie mir noch einmal die Wichtigkeit des Einhaltens der Verkehrsregeln klar gemacht. Ich werde nun nicht mehr auf der falschen Straßenseite Fahrrad fahren. Mein Cousin hat es leider erwischt und heute geht es für ihn zur Anwaltskanzlei für Verkehrsunfälle.