Die Stadt London will in den nächsten zehn Jahren eine Gesamtsumme von 913 Millionen britischen Pfund in die Hand nehmen, um den den Radverkehr in der britischen Metropole zu revitalisieren. Mit dieser massiven Investition soll eine Fahrradinfrastruktur im holländischen Stil geschaffen werden. Ein Großteil der baulichen Infrastruktur soll innerhalb der nächsten vier Jahre entstehen.
Im Einzelnen sind folgende Projekte geplant:
- Ein neues Netzwerk von Fahrradrouten soll im inneren Bereich der Stadt gebaut werden.
- Eine breite Fahrradschnellstraße soll die Stadt von West nach Ost durchqueren (siehe Video).
- Die vor einigen Jahren gebauten Barclays Cycle Superhighways sollen aufgepimpt werden.
- Es sollen Quietways oder grüne Wege für Radfahrer entstehen, die durch Parks und ruhige Seitenstraßen führen.
- In den Außenbezirken sollen kleine Mini-Hollands entstehen, eine Art verkehrsberuhigte Zonen.
Andrew Gilligan, der „cycling commissioner“ der Stadt London, sagte zu der Entscheidung: „Der Bürgermeister und ich bedanken uns bei der London Cyclists’ Campaign, bei Journalisten, Bloggern und anderen Aktiven. Ohne ihr Engagement wäre das Thema nicht auf die politische Agenda geraten.“
European Cyclists’ Federation: London’s Billion Euro Cycling Plan – A Story of Successful Advocacy.
A view from the cycle path: London’s new plans. Serious campaigning must start now
(Dank an Michael für den Hinweis.)
Interessant wird der Vergleich auf Pro-Kopf-Ebene: Londons 913 Millionen Pfund über 10 Jahre werden zu 10 Pfund pro Kopf und Jahr. Die Niederländer geben im Durchschnitt 30 Euro pro Person aus, also dreimal so viel. Und Berlin? Hier „wird angestrebt“, so die Radverkehrsstrategie, die Ausgaben bis 2017 auf 5€ pro EinwohnerIn zu erhöhen. Momentan stehen wir bei 3€.
Anders ausgedrückt: Berlin gibt ein Drittel so viel aus wie London, London gibt ein Drittel so viel aus wie Amsterdam. Wundert sich da noch irgendwer über den Zustand der hiesigen Radverkehrs-Infrastruktur?
… naja, erstmal abwarten, was sich da in London tatsächlich verändert. Aber der Anspruch scheint jetzt doch etwas ambitionierter zu sein. Ich kann jedenfalls das Genöle der Leute nicht mehr hören, die meinen, Radverkehr passt nur in Städte bis zur Größe von Amsterdam oder Kopenhagen, für eine „Metropole“ sei sowas ungeeignet. Das wird zwar ohnehin jeden Tag in Berlin widerlegt, aber speziell hier ist man ja immer sehr zurückhaltend mit dem Anerkennen von erfolgreichen Entwicklungen, insbesondere, wenn man von seiten der Politik wenig dazu beigetragen hat.
… um ganz genau zu sein: Von den im Landeshaushalt eingestellten 5,5 Mio. Euro für den Fahrradverkehr (Investitionen und Unterhaltung) wurden 2012 genau 4,3 Mio. Euro ausgegeben. Macht erstaunliche 1,22 Euro pro Jahr und Einwohner.
Diese Zahl entspricht auch dem Schnitt seit dem ersten Haushaltstitel Fahrradverkehr im Jahre 2000: In den Jahren 2000 bis 2012 wurden offiziell rund 54 Mio. Euro in Berlin in den Fahrradverkehr investiert – also 4,15 Mio. Euro pro Jahr oder 1,18 Euro pro Jahr und Einwohner. Die Jahre mit den höchsten Investitionen für den Fahrradverkehr in Berlin waren übrigens 2008 (7,55 Mio. Euro) und 2009 (7,1 Mio. Euro).
Michael S und Benno:
Ihr seht es selbst, hier in Berlin passiert das mit dem Radverkehr trotz der Radverkehrspolitik nicht wegen ihr.
Hat noch jemand Zahlen zur Hand was die Brummbrumm-Infrastruktur pro Kopf in Berlin kostet?
London könnte ähnliche Probleme haben wie wir hier: Wenn Geld da ist, wird es nicht zielführend eingesetzt. Die Radstreifen dort scheinen teilweise weniger als einen Meter breit zu sein. Eine Verbesserung allenfalls aus Windschutzscheibenperspektive.
Das Video ist gut gewählt – denn die Abbiegeproblematik fällt an der zu sehenden Straße einfach unter den Tisch.
Dabei wäre es in Berlin dank großzügig angelegter Strassen viel einfacher umzusetzen als in London z.B..
Ich setze kaum noch auf die Politik als Motor für positive Entwicklung des Radverkehrs. Menschen, die das Radfahren als hip und geil verkaufen und so viele junge Menschen auf’s Rad bringen ist viel effizienter. Da bleiben auch sicher viele hängen, wenn das fahrrad mal kein Lifestyle-Objekt mehr sein sollte. Abzusehen ist das allerdings nicht, weil Radfahren schon bei 50€ losgehen kann. Nach oben gibt es keine Grenze. also für jeden was dabei. Sowas nennt man auch Megatrend und wurde von Zukunftsforschungsinstituten auch als solcher erkannt.
Lange Rede, kurzer Sinn: Abstimmung mit den Pedalen ist das A und O …. leider.
Kohl sagt:
Hab ich je etwas anderes gesagt? Benno wohl auch nicht, oder?
@Nils:
Möchtest Du deine Zahlen-Gegenüberstellung vielleicht nochmal überdenken? „Die“ Niederländer geben 30 Euro pro Kopf und Jahr aus, das klingt für mich wie eine Ausgabe auf den gesamten STAAT bezogen. Du vergleichst das aber mit den Ausgaben einer bzw. zweier GroßSTÄDTE.
Ausgehend von der Theorie, dass in London nicht der allergrößte Teil der Gesamtbevölkerung UK’s wohnt und/oder arbeitet, würde ich mal sagen, dass etwa 10 Euro pro Kopf und Jahr daher erheblich mehr ist, als die 30,- Euro der Niederlande.
Das Alles relativiert sich jedoch, wenn man die Kontinuität der Investitionen über die Äonen/Zeiten mit bedenkt. London will JETZT richtig Geld locker machen, während die Niederlande bereits seit Jahrzehnten Jahr für Jahr erhebliche Mittel in eine kontinuierliche Entwicklung gesteckt haben und weiterhin investieren.
Ich finde die Meldung aber wirklich spannend! Denn London hat ja nun wirklich ein massives Verkehrsproblem und ich behaupte mal, es werden nun mehr und mehr Großkommunen wacher, nicht zuletzt durch die offensichtlichen Erfolgsmöglichkeiten, wie sie sich durch die gute Vermarktung Kopenhagens in den letzten Jahren aufgezeigt haben.
Ob derlei aber wirklich auch in Schland ankommt, wird weiterhin abzuwarten sein. Ganz zaghafte Versuche von Ansätzen sind da, aber ich zweifle noch ob der Ernsthaftigkeit. Hier ist noch zu flächendeckend Ignoranz und Dilettantismus am Werk und von der Politik (Bundesverkehrsministerium) kommt deutlich zuviel an Müll und kontraproduktiven Ergüssen.
Den letzten mir bekannten Kracher, den sich jenes „Ministerium“ gerissen hat, hat Martin hier zum Besten gegeben: http://www.rad-forum.de/posts/912597
@Michael S :Das sollte keine Unterstellung anderslautender Aussagen eurerseits sein.
… wie soll ich sagen? Nichts ist in Berlin für den Fahrradverkehr vom Himmel gefallen. Auch nicht, dass in Berlin so viele Leute Rad fahren.
Und es gibt hin und wieder Politiker und Politikerinnen, die tatsächlich für ihren Job brennen. Vielleicht drei Beispiele, die die Entwicklung für mehr Fahrradverkehr hier deutlich beschleunigt haben: Die StVO-Novelle 1997, auch wenn nur ein Bruchteil der Möglichkeiten daraus bisher genutzt wurde – aber immerhin hat das Land Berlin nie Berufung gegen Urteile zur Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht eingelegt. Das Bekenntnis Berlins für eine gewisse Grundstruktur auch für den Fahrradverkehr im Jahre 2000. Und nicht zu vergessen der Super-WM-Sommer 2006 mit der wochenlangen Sperrung der Innenstadt für den Kfz-Verkehr und der ehrliche Aufruf aufs Rad zu steigen – das war für viele die heute täglich mit dem Rad zur Arbeit fahren eine Initialzündung, dass es geht. Nur um es noch zu erwähnen: Die Berliner S-Bahn war seit Mitte der 1990er Jahre ein wesentlicher Grund, dass das Verkehrsmittel Fahrrad ernst genommen wurde und die Nutzung massiv gefördert wurde – mag man heute irgendwie gar nicht mehr glauben.
Es gibt noch ein paar wichtige Eckpunkte mehr. Dass die Muttis mit den Lastenfahrrädern am Schönhauser Tor im Winter Schlange stehen, halte ich übrigens nicht für ein Ergebnis einer Hippsterkultur 😉 Wirklich schade finde ich, dass der Bund in Form von Ramsauer versucht die Entwicklung in das alte Radfahrerbashing der frühen 1990er Jahre zurückzudrehen – und praktisch alles runterfährt, was das Radfahren unterstützen könnte. Und einige seiner halbwegs fahrradfreundlichen Parteikollegen trauen sich nicht mal die kleinste Widerrede. Und nach dem Ende von Junge-Reyer scheint mir in Berlin irgendwie auch die Luft ein wenig raus zu sein.
Naja, natürlich bemüht sich die Politik in Berlin, auch „irgendwie“ die Bedingungen für den Radverkehr zu verbessern. Aber auf neudeutsch committen tut sie sich nicht 😉 Mit so einer wachsweichen Haltung kann man dann auch keine Zustimmung erwarten. Mir wäre es wichtig, allein schon nach aussen deutlich zu machen, dass man mehr Radverkehr will. DEUTLICH. Also nicht verklausuliert irgendwo verstecken mit „wird angestrebt“ oder so.
committen ….
hab eben zum Duden gegriffen, in der Annahme dort nicht fündig zu werden. Butt ei wos wrong. ARGH!
„Sich bekennen oder auch verpflichten.“
Ich geh jetzt in den Keller zum Weinen. Gibts dafür auch nen englischen, äh Verzeihung, „neudeutschen“ Begriff, den ich noch nicht kenne?
@ Jochen: hehe… dass sowas sogar im Duden landet, ist ja echt ein Hammer. Habs ja nur aus Quatsch geschrieben und gehofft, es würde verstanden. Mit Dudenhilfe natürlich kein Problem mehr. 🙂
Englischer Begriff für in den Keller gehen, um zu weinen? go plarring in the cella, glaube ich.
Immerhin gehts (auch) um London, da darf man auch mal englische Wörter nutzen 🙂
Ist wohl doch nicht alles so rosig in London, wenn man sich die Details anschaut. Siehe die Updates von Montag und Dienstag gegen Ende des Beitrags hier:
http://www.aviewfromthecyclepath.com/2013/03/londons-new-plans-serious-campaigning.html