Wohl kaum eine Gruppe von Kraftfahrern ist für Radfahrer so problematisch wie die der Paketausfahrer. Sie halten häufig auf dem Radweg oder in zweiter Reihe und zwingen die Radfahrer zu Ausweichmanövern. Und ab und zu passiert es auch mal, dass ein Auslieferer mit einem Stapel Päckchen im Arm plötzlich auf den Radweg tritt.
Ein ähnlich gelagerter Fall wurde heute vor dem Amtsgericht Moabit verhandelt. Angeklagt war der heute 25-jährige David L. wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung und Unfallflucht. L. lieferte am Freitag, dem 8. Juli 2016 gegen 15:00 Uhr mit einem DPD-Transporter Pakete in der Septimerstraße im Wedding aus. Er parkte sein Fahrzeug auf der rechten Straßenseite, öffnete dann von hinten sein Auto, um ein großes Paket zu entnehmen. Er legte es auf die linke Schulter und trat dann unvermittelt auf die Straße, um sein Paket an einem auf der gegenüber liegenden Seite der Straße befindlichen Haus auszuliefern. Ein 84-jähriger Radfahrer, der die Septimerstraße in die gleiche Richtung wie das Paketfahrzeug befuhr, konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und stürzte. Laut Angeklagtem gab es danach einen lautstarken Disput zwischen Paketfahrer und Radfahrer, der sich noch liegend auf der Straße befand. Anschließend verließ der Paketfahrer den Unfallort, um sein Paket zu liefern. Auf die Frage des Staatsanwaltes, wieso er sich nicht um den Radfahrer gekümmert hat, antwortete der Auslieferer, er habe ein bestimmtes Pensum am Tag zu erledigen und er habe deshalb sein Paket zugestellt, um seinen Schnitt zu halten.
Einziger Zeuge war der verletzte Radfahrer. Im Prozeß bestätigte der Radfahrer im Wesentlichen die Darstellung des Angeklagten. Nachdem der Angeklagte gegangen war, borgte sich der Radfahrer von einer zufällig vorbei kommenden Person einen Stift und notierte sich das Kennzeichen des Paketfahrzeugs. Danach fuhr er in seine Wohnung. Als am nächsten Tag die Schmerzen des Radfahrers größer wurden, ging er zum Arzt. Nach der schriftlichen Stellungnahme des Arztes wurde der Radfahrer wegen Prellungen und Hautabschürfungen am linken Knie und am linken Ellenbogen zwei Monate behandelt. Der Radfahrer zeigte einen Tag nach dem Unfall bei einer Polizeiwache an. Zum Ende der Beweisaufnahme verlas der Richter 21 Eintragungen des Angeklagten im Zentralregister, die aber allesamt keine Verkehrsdelikte waren.
Nach der Meinung des Staatsanwaltes wurde im Prozess die Anklage in vollem Umfang bestätigt. Er forderte deshalb 60 Tagessätze Geldstrafe für die Körperverletzung und 90 Tagessätze für die Unfallflucht. Die Verteidigung beantragte Freispruch. Es könne keine Vorsätzlichkeit des Angeklagten festgestellt werden. Da der Zeuge im Prozess mit Gehstock aufgetreten sei, stelle sich die Frage, ob der Zeuge in der Lage gewesen sei, ein Fahrzeug zu führen. Im Schlusswort des Angeklagten entschuldigte sich der DPD-Fahrer per Handschlag. Der Zeuge nahm die Entschuldigung an.
Der Richter verhängte eine Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen a 30,- Euro wegen fahrlässiger Körperverletzung und Unfallflucht.
Was einen ja im ersten Moment erstaunen muss, ist die Quasi-Gleichbehandlung mit Verurteilungen wegen fahrlässiger Körperverletzung bei klassischen (!) Rechtsabbiege-Unfällen mit Todesfolge. Bei diesem Unfall scheint die Relation gewahrt. Juristisch ist das sicher alles logisch, aber so für den Hausverstand schwer nachvollziehbar. Irgendwie muss doch Rechtsprechung auch etwas mit Rechtsempfinden zu tun haben können. Dass das nicht besser passt, ist schon schwer verdaulich.