Vor einigen Wochen hatte der Berliner ADFC alle aufgerufen, geeignete Radschnellrouten für Berlin zu finden. Die potentiellen Schnellwege sollten eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Sie sollten mindestens vier Meter breit und fünf Kilometer lang sein, wenig Kreuzungen, wenig enge Kurven und wenig starke Steigungen haben. Einsendeschluss für den Ideenwettbewerb war der erste 1. Juli 2016. Heute hat der ADFC das Ergebnis des Wettbewerbs präsentiert und stellt es zur Diskussion. Eingereicht haben neun Personen oder Gruppen insgesamt 15 Vorschläge für Radschnellwege.
Es fällt auf, dass viele Schnellwege in der Mitte Berlins starten und entlang dicht bebauter Gebiete radial nach außen führen. Ein Schnellweg dieses Typs ist der Panke-Trail, der den ersten Preis des ADFC erhalten hat. Der Panke-Trail beginnt an der Bernauer Straße am Südende des Mauerparks und folgt auf den ersten beiden Kilometern dem Mauerradweg nach Norden. Das ekelhafte Kopfsteinpflaster im Mauerpark soll im Zuge des Ausbaus des Mauerparks umfahren werden. Nördlich der Bornholmer Straße verlässt der Panke-Trail den Mauerradweg und führt konsequent entlang der S-Bahn der Stettiner Bahn bis nach Buch. Die gesamte Strecke ist 13,3 Kilometer lang, verbindet die Ortsteile Buch, Karow, Blankenburg, Heinersdorf sowie Französisch-Buchholz mit Pankow und dem Bezirk Mitte. Da der vorgeschlagene Radschnellweg fast kreuzungsfrei und schnurgerade ist, wird mit einer Reisezeit von einer knappen Stunde zwischen Buch und dem Berliner Zentrum gerechnet.
Das Netzwerk Fahrradfreundliches Neukölln griff mit seinem Vorschlag Radschnellweg Neukölln den zweiten Preis ab. Die 15,38 km des Neuköllner Vorschlags bestehen aus zwei Strecken. Die erste Strecke verbindet den Lausitzer Platz über Görlitzer Park mit dem Hafen Britz und mündet dann in den Radweg am Teltowkanal, sodass man nahezu kreuzungsfrei von Adlershof/Rudow nach Kreuzberg kommt. Nach Einschätzung des ADEFC ist die zu erwartende Nachfrage nach dieser Verbindung gut. Nicht ganz so gut weg kommt der zweite Pfad des Vorschlags. Er folgt ab der Neuköllnischen Allee dem S-Bahnring und führt bis zum Tempelhofer Damm.
Radschnellweg Neukölln bei GPSies
Dritter Preis: Radschnellweg Nord. So wie der erste Preis nach Nordosten und der zweite Preis nach Südosten aus der Stadt herausführen, so führt der dritte Preis radial nach Nordosten und zwar parallel zur S1 von Wilhelmsruh nach Frohnau. Nach Aussage der Jury ist der Aufwand für diese attraktive 6,5 Kilometer lange Verbindung allerdings nicht unerheblich. Sechs Brücken sind zwar vorhanden, sechs weitere aber müssten neu gebaut werden.
Die Jury des ADFC vergab einen weiteren Sonderpreis für eine interessante Version von Radschnellwegen. Henry de Vries schlägt gleich ein ganzes Netz von Fahrradschnellwegen auf breiten Magistralen vor, die das Westend mit Friedrichsfelde, Weißensee mit Friedenau und das Afrikanische Viertel mit dem Böhmischen Dorf in Neukölln verbinden.
Sonderpreis: Radschnellwegnetz in Mittellage
Das so entstandene Netz hätte eine Gesamtlänge von 18 Kilometern und würde auf sehr breiten Straßen grundsätzlich in Mittellage geführt werden. Einschätzung der Jury: „Näher beschrieben ist insbesondere die Route von Westend nach Friedrichsfelde. Die Ost-West-Achse vom Theoder-Heuss-Platz bis zum Kleinen Stern/Bellevueallee ist der Abchnitt, der vom Verfasser näher betrachtet wurde. Unter Bezug auf den historischen Querschnitt bis 1936 wird für Kaiserdamm und Bismarckstraße ein Vorschlag für eine Radschnellroute in Mittellage gemacht. Vorteil einer Route in Mittellage ist die geringe Anzahl an einmündenden Straßen. Zu prüfen wäre die Möglichkeit, die Zahl der Kreuzungen zu reduzieren und teilweise durch U-Turns zu ersetzen.“
Neben den mit Preisen bedachten Vorschlägen für Radschnellwege durch Berlin gab es eine ganze Reihe von weiteren interessanten Vorschlägen. Ein Vorschlag verbindet das Charlottenburger Tor mit Neukölln durch einen Radweg im Landwehrkanal. Richtig gelesen, der Radweg soll im und nicht neben dem Landwehrkanal entstehen. Realisiert werden soll das durch Teilverfüllung des Kanals sowie durch eine Führung auf Stegen knapp oberhalb des Wasserspiegels.
Radschnellweg im Landwehrkanal
Der Wettbewerb hat gezeigt, dass es eine Fülle von Möglichkeiten gibt, Radschnellrouten durch Berlin zu führen, die den Radverkehr in dieser Stadt auf eine neue Stufe heben würde.
ADFC: Ideenwettbewerb Deine Radschnellroute
ADFC: Übersichtskarte und alle Jurybewertungen (Ordner mit pdf-Dokumenten)
Schöne Zusammenfassung, Danke Kalle 🙂
(nur beim vorletzten Absatz musste ich schlucken: andere Städte graben ihre alten Flüsse und Kanäle wieder aus und wir sollen unsere verfüllen? NoGo)
Ich bin etwas enttäuscht von den Vorschlägen. Einerseits ist die Streckenauswahl nicht sehr erfolgsversprechend: Weder die Stettiner Bahn zu entwidmen, den Landwehrkanal zuzuschütten (siehe Vorredner), noch Radwege in Mittellage von Autobahn ähnlichen Hauptstraßen halte ich für sinnvoll.
Warum bitte traut sich keiner in dieser Stadt, dem MIV Spuren wegzunehmen? Wie sinnvoll bitte ist eine 6 spurige Straße IN einer Großstadt, wenn es nicht gerade eine Autobahn ist? Man schaue sich fast alle anderen europäischen Städte an. Und dann die Radfahrer auf den verpesteten Mittelstreifen verbannen – im Namen eines Lobbyverbandes der Fahrradfahrer! Verstehe ich nicht. Fahrradwege muss man ja gerade nicht (nur) als Beiwerk von Straßen betrachten.
Andererseits, aber das ist wohl dem Wettbewerb an sich geschuldet, wird einfach kein sinnvolles Netz aus den Einzelbeiträgen heraus geschaffen. Anstatt der ADFC hier mal nachlegt und vielleicht auch bestehende Strecken mit einbezieht. Mein Lieblingsbeispiel – immer wieder – ist der Radweg Berlin-Kopenhagen. Der ist für Berliner Verhältnisse nicht schlecht, aber er hat noch viel mehr Potenzial wenn man wenig Geld in die Hand nimmt. Momentan ist das eher Stückwerk mit Licht und Schatten.
Breitere Wege, bessere Bodenbeläge und deren Wartung wie Unterhalt, ein paar neue Führungen der Strecke, bessere Trennung Radfahrer und Fußgänger, komplette Verbannung MIV an der KGA am Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal und bessere Querungsmöglichkeiten (gerade Seestraße und Fennstraße) würden das Konzept eines Radschnellweges sehr gut treffen.
@hvhasel, ist in Deinen Augen denn der Mittelstreifen stärker von Abgasen belastet als eine Radspur?
Letztendlich dreht man sich ja immer im Kreis. Man kann nicht nur grüne, eigene Wege schaffen sondern muss sich manche Straßen mit den Autos teilen. Das funktioniert weder mit Speziallösungen noch ohne diese – muss man echt mal so hart sagen.
@berlinradler
Guter Punkt!
Ich wäre jetzt vom – zugegebenermaßen etwas idealtypischen – Beispiel von Amsterdam ausgegangen, die eigene Radrouten, getrennt von den Straßen, viel konsequenter umsetzen, nach meinem Empfinden sogar mehr als in Kopenhagen. Ja, ich weiß die Flüsse und Kanäle dort machen es leichter. Teilweise sind es dort aber auch andere Strecken, mitten durch Neubauwohngebiete.
Straßenbegleitende Radwege wird man nicht vollkommen vermeiden können, das stimmt vollkommen. Aber die Gestaltung unserer innerstädtischen Straßen müsste man in der Tat grundsätzlich in Frage stellen.
Wiederum mal Amsterdam als Beispiel (das sind alles Hauptstraßen):
https://goo.gl/maps/pXJdJKhJFLT2
https://goo.gl/maps/ZjMRnjNhMkJ2
https://goo.gl/maps/4jAn8LyxMMq
https://goo.gl/maps/ipzP49G3PfA2
Gut, in der Tat fährt man in einigen Beispielen genauso nah am MIV, wie auf einem Mittelstreifen, aber dafür wäre man dort den Abgasen immerhin von zwei Seiten ausgesetzt. Und auf dem Mittelstreifen gäbe es neben langen Umwegen für Radfahrern, einer Vielzahl an zusätzlichen Ampelanlagen für Auto- und Radfahrer auch den Nachteil der Abgeschiedenheit für die Aufmerksamkeit anderer Verkehrsteilnehmer. Sozusagen die Unfallproblematik der Straßenbahnführungen in anderer Form.
Nicht zuletzt: Urbanität bedeutet ja, nah am Geschehen zu sein.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Mittellage von Radwegen das Geisterfahren auf Bürgersteigen noch erheblich verstärken würde. Die Fehler der MIV-Infrastruktur in den vergangenen Jahrzehnten würde nur wiederholt werden.
Die Bilder sehen ganz gut aus, wenn man schon Radwege baut, dann sollen sie Asphaltbelag und eine ausreichende Breite haben. Dennoch darf man niemals nicht die Kreuzungen vergessen, denn dort spielt das Unfallgeschehen.
Ob die Abgasbelastung in der Mitte der Straße höher ist, kann ich gar nicht einschätzen. Schlimm genug, dass man immer noch über sowas nachdenken muss, fossil betriebene Autos im 21. Jahrhundert.
Copenhagenize hat eine klare Meinung zu Radwegen in Mittellage. Die Einschätzung aus Barcelona kann ich bestätigen. Muss man mal ausprobieren.
Obwohl dort die Mittel-Radwege teils auf breiten, grünen Mittelstreifen liegen sind die Kreuzungen leider ein einziges Chaos. Ob das theoretisch besser ginge, weiß ich nicht, es sieht jedenfalls kompliziert aus. Und man fährt irgendwie immer weiter und weiter, weil man von den Vierteln abgeschnitten ist.
http://www.copenhagenize.com/2016/03/bicycle-infrastructure-fails.html