Mahnwache vor dem Gericht in Tiergarten

Knapp fünfzig Leute versammelten sich heute gegen 12:00 Uhr vor dem Amtsgericht Tiergarten in der Turmstraße zu einer Mahnwache gegen das Urteil vom letzten Donnerstag.

Aus dem Aufruf der Initiative Clevere Städte:

„Wenn Du mit 5.250 Euro davon kommst, deinen Führerschein als Berufskraftfahrer behalten darfst, obwohl du einen Menschen grob fahrlässig im Verkehr getötet hast – dann wurde ein zu mildes Urteil gesprochen.

Das setzt das falsche Signal für alle Kfz-Lenker. Dieses Urteil gibt dem „Panzer“-Fahrer den Freibrief, selbst bei Todesfolge mit Anwalt und genügend Geld glimpflich davon zu kommen. Der Skandal ist, dass wir als schwache Verkehrsteilnehmer weiter dem stärkeren Verkehrsteilnehmer schutzlos ausgeliefert sind – mit Rückendeckung von Staatsanwalt und Richterin.“

 

Da die nicht angemeldete Mahnwache mit Rollrasen, einem Geisterfahrrad, Mahnkreuzen und Blumen nicht direkt vor dem Gerichtseingang stattfinden durfte, wurde sie auf den Mittelstreifen verlegt. Medienvertreter waren reichlich vorhanden, sodass nicht ganz klar war, wer an der Mahnwache teilnahm oder über sie berichtete.

Initiative Clevere Städte
Facebook-Aufruf zur Mahnwache

Prozess gegen einen Berufskraftfahrer wegen fahrlässiger Tötung vor dem Moabiter Kriminalgericht

„11. Februar 2014 – Ein 57-jähriger Radfahrer überquert die Fahrbahn der Müllerstraße im Bereich der Fußgängerfurt in Richtung Afrikanische Straße. Dabei wird er von einem LKW erfasst, der unter Missachtung des Rotlichts der Lichtzeichenanlage die Müllerstraße in Richtung Kurt-Schumacher-Platz befährt. Beim Zusammenstoß kommt der Radfahrer zu Fall und wird so schwer verletzt, dass er am folgenden Tag im Krankenhaus verstirbt.“

aus: ADFC Berlin: Getötete Radfahrende 2014

Der Prozess gegen den LKW-Fahrer wurde heute vor dem Amtsgericht Tiergarten in der Kirchstraße verhandelt. Der Angeklagte ist noch in der gleichen Spedition beschäftigt und arbeitet weitgehend als Kraftfahrer. Am Tag nach dem Unfall hat er sich wieder hinter das Steuer gesetzt. Er erfuhr vom Tod des Radfahrers erst „viel später“ durch seine Firma.

Er selbst führt den Unfall auf einen Sekundenschlaf zurück. Er habe die Ampel bewusst auf Gelb springen sehen und die Geschwindigkeit reduziert. Dann sei er mit dem Fünftonner in einem Tempo zwischen 25 und 30 über die rote Ampel gefahren. Er will erst gebremst haben, als der Lastwagen mit dem Radfahrer frontal kollidierte. Nach dem Aufprall sei er in seiner Spur geblieben.

Eine Zeugin wartet in diesem Augenblick an der roten Ampel in der Afrikanischen Straße. Sie beobachtet, wie der Radfahrer an der Fußgängerampel mit seiner Frau und Hund wartet. Erst als die Fußgängerampel auf Grün springt, verabschiedet sich der Mann von seiner Frau, steigt aufs Rad, fährt über die Fußgängerfuhrt und wird frontal vom Lastwagen angefahren.

Anschließend sagt die Ehefrau des toten Radfahrers aus. Sie will sich schon vor dem Unfall abgewendet haben und kann sich an nichts erinnern. Auch ein als Zeuge vernommener Polizist kann keine substantiellen Aussagen zum Hergang des Unfalls machen, außer dem Fakt, dass sich bei der Unfallaufnahme beide Fahrzeuge (LKW und Fahrrad) in der Unfallendstellung befanden.

Als letzter Zeuge wird ein Sachverständiger befragt, der am Unfallort war und den Unfall mit vielen Fotos dokumentiert hat. Schon in seinem Eingangsstatement betont er, dass „alle Fragen genau beantwortet werden können“. Im Kraftfahrzeug war ein digitaler Fahrtenschreiber eingebaut, der den Unfall dokumentiert hat. Danach fuhr der Kraftfahrer in einer Geschwindigkeit von 50 km/h auf der Müllerstraße. Acht Sekunden vor der Kollision bremst das Fahrzeug leicht ab, vermutlich wegen Motorbremsung, weil der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt. Wahrscheinlich sei das der Zeitpunkt, wo die Ampel auf Gelb springt. Wieder einige Sekunden später wird eine leichte Abbremsung registriert, die aber bei weitem nicht ausreicht, um das Fahrzeug zum Stehen zu bringen. Danach Vollbremsung mit Blockierspuren des LKW von 2.8 Metern Länge und Kollision mit dem Radfahrer bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h. Fünf Meter nach der Kollision sei der LKW zum Stehen gekommen.

Der Sachverständige sagt, dass auch Blockierspuren des Fahrrads gefunden wurden, und zwar von beiden Rädern. Bei der einen Blockierspur des Fahrrads könne man einen Knick bemerken, der die Kollision anzeige. Man könne von folgendem Szenario ausgehen:

  • Sekunde 37 des Ampelzyklusses: Gelb für den LKW. Der LKW ist 95 Meter von der Ampel entfernt.
  • Sekunde 40: Rot für den LKW. Der LKW ist 75 Meter von der Ampel entfernt.
  • Sekunde 42: Grünsignal auf der Fußgängerfurt
  • Sekunde 44: Kollision

Alle Sekundenangaben seien Mindestangaben. Die Ampel zeige also mindestens vier Sekunden Rot für den Kraftfahrer, wahrscheinlich jedoch ein/zwei Sekunden mehr.

Nach dem Sachverständigen betont der wegen Fahrens ohne Führerschein und weiterer nicht einschlägiger Delikte vorbestrafte Angeklagte, dass ihm alles umheimlich leid täte. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft das Wort. Zum ersten Male in diesem Prozess fällt das Wort „Handy“. Aber es könne dem Angeklagten nicht nachgewiesenen werden, dass er auf das Mobiltelefon geschaut hat. Vorsatz sei auszuschließen, deshalb sei der Angeklagte wegen Fahrlässigkeit zu verurteilen zu 35 Tagessätzen von je 150,- Euro.

Nach der kurzen Verhandlungspause verkündet die Richterin das Urteil: „So klar sind die Beweise selten.“ Der Angeklagte wird zu 150 Tagessätzen a 35,- Euro verurteilt. Außerdem muss er die Verfahrenskosten tragen, also die Gerichtskosten und die die Kosten des Sachverständigen bezahlen. Es stehe zwar das Handyproblem im Raum, aber das könne dem Angeklagten nicht bewiesen werden. Der Radfahrer sei nicht ersichtlich schuldhaft beteiligt, sondern der Unfall sei auf die Fahrlässigkeit des Kraftfahrers zurückzuführen. Die Richterin: „… nicht die leichteste Stufe der Fahrlässigkeit“.

Eine Führerscheinmaßnahme ordnet die Richterin nicht an, der Unfall liege schließlich schon viele Monate zurück. Außerdem: „Sie sind Berufskraftfahrer und darauf angewiesen.“

Europäischer Fahrradgipfel in Luxemburg

Bereits im Vorfeld wurde das heutige Treffen der Verkehrsminister der Europäischen Union zum Meilenstein hochgejazzt, gar zum historischen Augenblick: mehr als 20 Transportminister beraten, wie aus der Vision des ECF, den Radverkehr in Europa in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln, gelebte Realität werden kann. Deutschland ist durch den Parlamentarischen Staatssekretär Barthle und die Radverkehrsbeauftragte Worringen des Bundesministeriums für Verkehr vertreten.

200 Millionen Menschen in der EU sind bereits Radfahrer, 50 Millionen steigen jeden Tag aufs Rad. Mehr als 1,1 Millionen E-Bikes rollten 2014 auf die Straßen, überall entstanden Fahrradverleihsysteme, 650.000 Jobs wurden geschaffen. Radfahren ist nicht nur eine niederländische oder dänische Erfolgsgeschichte, Radfahren wird in ganz Europa stärker.

Im Livestream der Tagung findet man zur Zeit eine Präsentation von Jan Gehl. Weiter geht es mit dem Familienfoto der Minister.

Livestream des informellen Treffens der EU-Verkehrsminister

ECF: European Cycling Summit milestone in cycling advocacy

Bund der Steuerzahler: Fahrradinfrastruktur ist Steuerverschwendung

Der Bund der Steuerzahler Deutschland (BdSt) ist ein eingetragener Verein, der im Jahre 1949 gegründet wurde. Als seine Ziele nennt der Verein die Senkung von Steuern und Abgaben, sowie die Verringerung von Bürokratie, Steuerverschwendung und Staatsverschuldung. Alljährlich veröffentlicht der BdSt ein Schwarzbuch, in dem die krassesten Fälle von Steuerverschwendung angeprangert werden.

Im jüngsten Schwarzbuch nimmt der Verein häufig den Radverkehr aufs Korn. Gleich in zwei Bundesländern wird der Bau von automatischen Fahrradzählern gerügt. In Düsseldorf ist das teurer Schnickschnack, den „die Welt nicht braucht“. In Hamburg hat der BdSt investigativ die Kosten eines Fahrradbarometers ermittel und kommt auf exakt 31.384,39 Euro. Urteil des Vereins: Überflüssiges Spielzeug.

Auch in Berlin kritisiert der Verein den Bau eines Geh- und Radwegs durch den Volkspark Schönholzer Heide scharf. Die vier Meter breite Radverbindung durch den Park sei ein „Luxusweg“, schimpft der Verein und fordert, stattdessen seien lieber die Bürgersteige im Bezirk Pankow zu sanieren.

In Hannover kämpft der Verein gegen die „verbohrte Radwege-Politik“ der Stadt. Ihr Vergehen: sie hatte einen Hochbordradweg in einer Tempo-30-Zone zurückgebaut. In Bremen passt dem Bund der Steuerzahler nicht, dass ein Fuß- und Radweg saniert wird. In Hessen wiederum kritisiert der Verein, dass ein Radweg jahrelang kostenintensiv geplant wird und niemals gebaut.

Fazit: Für den BdSt sind Investitionen in die Fahrradinfrastruktur eine Zumutung für den Steuerzahler.

BdSt: Neuer Luxusweg statt Gehwegreparaturen