Allenthalben wird darüber geschimpft, dass der Berliner Senat praktisch nichts für den Radverkehr tut. Wenn die Berechnungen des ADFC stimmen, wurden im letzten Jahr 2014 lediglich Mittel in Höhe von 3.638.000,- Euro verbaut. Bei einem Projekt für den Radverkehr lässt sich der Senat aber nicht lumpen: beim Schaufenster Elektromobilität Berlin-Brandenburg. Ganze 1,4 Millionen Euro wird die Senatverwaltung für Verkehr ausgeben, damit „die Pedelecnutzung im städtischen Alltagsverkehr erprobt, erforscht und gefördert wird.“
„Ziel des Projekts ist es zu analysieren, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um künftig deutlich mehr Pkw-Verkehre im städtischen Raum durch Fahrten mit dem Pedelec zu substituieren. Im Fokus steht dabei Berufstätige, die im stadtnahen Umland wohnen und in der Stadt arbeiten, durch den täglich erlebten Fahrspaß zum Umstieg vom Pkw aufs Pedelec zu „verführen“. Ein weiterer Bestandteil des Vorhabens ist eine Einbindung von Pedelecs in die intermodalen Mobilitätskonzepte der beteiligten Gebietskörperschaften in Berlin und Brandenburg.“
Praktisch heißt das, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus ausgewählten Unternehmen und Institutionen acht bis zehn Wochen lang ein Pedelec kostenfrei zur Verfügung gestellt bekommen. Die Gegenleistung der beteiligten Unternehmen besteht darin, dass sie an den Firmensitzen eine Infrastruktur schaffen, also eine gesicherte, möglichst überdachte Parkmöglichkeit idealerweise mit Ladestation anbieten.
Unklar bleibt, was nach den zwei Monaten mit den gebrauchten Ebikes passiert. Möglicherweise werden sie den beteiligten Testpersonen günstig angeboten. Für diese Personen hätte das Senatsprogramm eine ähnliche Wirkung wie seinerzeit das Abwrackprogramm der Bundesregierung. Auch damals sagten sich viele Autofahrer: „So günstig komme ich nie wieder an einen Neuwagen!“ Kleiner Unterschied: die Abwackprämie richtete sich an viele Millionen Altautobesitzer, die Ebike-Prämie hat nur eine Zielgruppe von einhundert Mitarbeitern von FU sowie mittelständischen und Hightech-Unternehmen aus dem Südwesten Berlins und Firmen aus Teltow.
FU Berlin: Umsteiger gesucht: Mit dem E-Bike statt dem Auto zur Arbeit!
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt: EBike-Pendeln
Um trotz gewissem Wohlwollen die Haare in der Suppe nicht zu vergessen: wer im Alltagsradeln unerfahren als erstes gleich ein Elektromopped besteigt droht einige unangenehme Erfahrungen nicht nur selbst zu erleben sondern auch anderen zu verschaffen, Motorradneulinge setzen sich ja auch vielleicht nicht als erstes auf die Hayabusa?
Warum diese einseitige Förderung der Elektrischen? Allzu nachhaltig scheinen sie ja nicht zu sein, wenn man sich deren unverhältnismäßig hohen Anteil an den wild entsorgten Fahrradleichen anschaut wie auch den Wertverfall der Gebrauchten trotz der im Gegensatz zu reinrassigen Muskelkraftfahrzeugen geringen Marktsättigung.
Warum ausgerechnet Elektrofahrräder? Zwar scheint die Gesamt- Ö-Bilanz der E-Bikes nicht gar so grottenschlecht zu sein wie man annahm, siehe etwa
http://www.radnabel.com/einlenken-ii/
aber moderne Thaimopeds mit Kat und ohne Wandler, wie z.B. Honda Wave nebst Klonen und Derivaten sind umweltmäßig anscheinend (deutlich) besser. Nebenbei billiger in Anschaffung und Unterhalt und in der Transportleistung um Welten überlegen, nicht nur weil man nie wieder auf den Radweg wegdiskriminiert wird.
Das par-force-Greenwashing nervt und führt in die Irre, und das dürfte seinen Grund haben: eines produziert so ein fahrbarer Untersatz ganz gewiß: Umsatz.
Das ist schon wirklich seltsam, dass, sobald etwas einen Motor hat, es auf einmal ernst genommen wird. Auf einmal müssen Stellplätze überdacht sein, hört hört. Anderswo wird nicht mal durchgesetzt, dass es überhaupt welche gibt.
Dabei wird es nicht vorrangig die körperliche Anstrengung sein, die besagte Pendler vom Radfahren abhält, sondern die Angst um Leib und Leben. Ich höre oft von Leuten, die gerne Radfahren, sich das in einer Stadt wie Berlin aber nicht trauen. Wer mag es ihnen verdenken? Die letzte Nachricht über einen schrecklichen Unfall ist wenige Stunden her, und der ist – mal wieder – trotz eines ach so sicheren Radstreifens geschehen.
Daher muss man ganz woanders ansetzen als an einer Motorisierung des Fahrrads, man muss nämlich eine Infrastruktur schaffen, die den Leuten keine Angst macht und gleichzeitig sicher ist.
yep, berlinradler. Kommt hinzu, das derselbe Friederici, der in den Pedelecs besondere Gefahren sieht, die derzeitige formidable Radinfrastruktur für primstens hält.
Da kann man nur von Glück reden, dass die E-Räder in Berlin noch nicht so angekommen sind, wie im Rest der Republik. Für sowas braucht man wegen des höheren materiellen Wertes einen sicheren Abstellplatz an Start und Ziel (bitte jetzt nicht rumnölen, ‚mein Rad hat aber rot anodisierte Kettenblattschrauben und hat x.xxx,- gekostet‘) und die von Friederici herbeifantasierten Fahrradstationen im Stadtgebiet hab ich noch nicht bemerkt.
Das Schlimme an der heutigen Rad-Infrastruktur ist ja gerade, dass sich „Otto-Normalradler“ dort sicher fühlt.
Ja schlimmer noch. „Otto-Normalradler“ kann garnicht genug davon bekommen.
Ja, ich hab ein Reizwort verwendet – Infrastruktur, die sich nicht nur nach Autofahrerbedürfnissen richtet. Somit hab ich mir die Schelte verdient 😉
Ich find das gar nicht so doof (außer für die Beteiligten): Wenn im Ergebnis herauskommt, dass die Radwegeinfrastruktur für „beschleunigte“ Fahrräder ungeeignet ist (da sie dafür genauso ungeeignet ist wie für jedes normale Fahrrad), ist das halt dieselbe Erkenntnis auf einem anderen (Um)Weg 😉
Aber damit geh ich natürlich von einer gewissen Lernfähigkeit aus, was vermutlich zu optimistisch ist…
@Jemand, wenn dabei rauskommt, dass die Infrastruktur für Radfahrer eher ungeeignet ist, wird man wohl doch wieder eher aufs Auto umsteigen 😉
Es sieht eben gut aus, wenn eine Stadt in den Radverkehr investiert. Da der Senat aber abgesehen von der Außenwirkung daran kein Interesse hat, macht er daraus kurzerhand eine großzügige Subvention für eine Branche. Oder etwa für nur EIN Unternehmen? Ist denn schon bekannt, von welchem Hersteller die Räder bezogen werden, ob der in Berlin ansässig ist und was es für Verbindungen zu Entscheidungsträgern gibt?
Dieses Projekt ist kein schlechtes. Aber das gleiche Geld in die Verbesserung der Sicherheit (und sei es Kontrollen des Abbiegens) investiert. Davon würde der Radverkehr (auch der motorisierte) wesentlich mehr profitieren.
Paris investiert 1 Milliarde Euro in Fahrrad Infrastruktur, London das Gleiche in englischen Pfund.
Und Berlin?
Berliner Politiker: Schämt Euch!! Der Elektro-Mobilitäts-Quatsch ist nicht mal ein Feigenblatt!
@ BBfB: ups… Paris eine Milliarde? Toll! Ist ja unglaublich!
äh… ich glaub’s übrigens wirklich nicht. Belege?
@ Michael S
BBfB hat ja nicht dazu gesagt, innerhalb welchen Zeitraums diese Milliarde
investiert werden soll. Wenn man da mal eine Null wegstreicht, dürfte das
schon realistischer sein. Indessen wären das, verglichen mit dem lausigen Berliner Fahrradetat, auch noch Aufwendungen in atsronomischer
Höhe. Etwas Licht ins Dunkel bringt das hier:
http://www.zukunft-mobilitaet.net/117042/urbane-mobilitaet/radverkehr-paris-radwege-radschnellwege-rev-foerderung-abstellanlagen/
Mit minimaler Sucherei findet man für Paris geplante Ausgaben von 150 Mio bis 2020. Siehe: http://www.zukunft-mobilitaet.net/117042/urbane-mobilitaet/radverkehr-paris-radwege-radschnellwege-rev-foerderung-abstellanlagen/
Zum Anlass:
Wieso bringt Berlin solche Meldungen nicht im Winterhalbjahr? Mit der warmen Luft, die dadurch produziert wird, könnten sie dann immerhin ihre Amtsstuben wärmen.
Nen paar Pedelecs verteilen und erforschen wie groß das Potential bei Pendlern ist … für so einen Scheizz gibts Geld aus irgendeinem Topf der Politwitze, aber für nachhaltige, dringend nötige Maßnahmen? Tja, da gibts halt keinen Topf für.
@ Komfortradler und Jochen: Just weil ich die 150 Melonen kannte, hab ich hier nachgefragt. Ist das nicht genug für 5 Jahre? Ist es nicht genug, dass sich Paris ein Ziel setzt und für die Erreichung auch noch das Geld dazu gleich mit auf den Tisch legt? Muss man da dann von 1 Mia schwafeln und sich unglaubwürdig machen? Haben wir doch gar nicht nötig, um zu zeigen, dass Berliner Politiker immer nur rumfaseln, Strategien und Projekte am laufenden Meter ausspucken. Die behaupten ernsthaft, sie wüssten wie vorteilhaft mehr Radverkehr wäre und dann dann gehen sie runter zum Portier und kramen in der Kaffeekasse.
Auf Kölner Verhältnisse übertragen kann ich da nur sagen – zum Glück.
Noch mehr Geld „für“ den Radverkehr würde noch mehr von diesem Mist hier bedeuten.
http://siggis-seiten.de/Berliner-Str/Berliner.html
@Michael @BBfB
Die Zahl „1 Milliarde“ stimmt für London, Boris Johnson hat 2013 einen 10-Jahres-Plan mit einer Summe dieser Größenordnung bekannt gemacht.
http://www.theguardian.com/lifeandstyle/2013/mar/07/london-network-bike-routes-cycling
Ich weiß aber nicht, ob dieses Geld tatsächlich bereits im Haushalt eingeplant ist. London freundlicher für Radfahrer zu machen ist eines der ganz großen Vorzeigeprojekte von Boris Johnson. Politisch ist das nicht ganz unumstritten, da er sich zum Beispiel das Fahrradleihsystem auf die eigenen Fahnen schreibt („Boris Bikes“), dieses wurde jedoch maßgeblich von seinen politischen Vorgängern vorbereitet. Außerdem hat London viel größere Probleme, die Infrastruktur betreffend, als Berlin (alle Bereich betreffend, von Straßen über Wärmedämmung bis hin zum Abwasser).
Der Unterschied in der politischen Parteinahme für den Radverkehr zwischen Berlin und London + Paris könnte aus politischer Sicht jedoch frappierender nicht sein: Während es in Berlin seitens der Koalition bei allgemeinen Lippenbekenntnissen bleibt und konkrete Projekte meist belächelt werden (zuletzt hat die CDU hier eine Steilvprlage geliefert, Radverkehr habe nichts mit den „wahren Sorgen und Nöte der Menschen“ zu tun), werben die Regierungen der beiden letzten Städten offensiv mit dem Umbau zu einer lebenswerteren und autoarmen Stadt. Anne Hidalgo in Paris hat damit einen sehr erfolgreichen Wahlkampf geführt. Wer kann sich das bei der derzeitigen Regierung in Berlin vorstellen?
Siggi hat vollkommen Recht, mit Geld allein kann man viel oder auch alles falsch machen. Und auch London hat einige Schmankerl zu bieten, z.B. am Trafalgar Square:
http://verkehr-absurd.startbilder.de/bild/verkehr-mit-dem-fahrrad~verkehrswege~radwege-negativ/199875/eine-radspur-in-london-nahe-dem.html
Ähnlich in Brighton:
http://verkehr-absurd.startbilder.de/bild/verkehr-mit-dem-fahrrad~verkehrswege~radwege-negativ/196544/schutzstreifen-in-england—in-einer.html
Wenn man das unter Radverkehrsförderung versteht und nicht erkennt, dass man damit besondere Gefahrensituationen schafft, dann sollte man kein Geld erhalten. Die genannten Beispiele sind nicht typisch englisch, vergleichbare habe ich hierzulande auch schon gesehen. Da muss man (als Berliner) nicht extra nach Köln, es reicht schon Königs Wusterhausen oder fast jeder beliebige Ort in Brandenburg.
@ Steven: BBfB schrieb:
Da ist eindeutig von Paris die Rede.
Ich kenne diese Zahlen. Auch wenn die Politik in London ja tatsächlich in der letzten Zeit vieles für den Radverkehr tun will, finde ich, dass man da erstmal getrost abwarten sollte. Von dort kommen auch genug heiße Nebel a la toll gehypte Architektenfantasien. Was sich da wirklich tun wird, weiß noch keiner. Ist das PR oder reale Umsetzung? Wenn letzteres, wird das wirklich den Radfahrern helfen oder teurer Murks?
Für Paris fühlt sich das für mich schon anders an. Bis 2020 ist schon so sehr viel näher dran, dass man da deutlich schneller Ergebnisse wird zeigen müssen, will man nicht am Ende als wortbrüchig dastehen. Die bisherigen Veränderungen in Paris, zusammen mit den konkreten neuen Beschlüssen zur Zurückdrängung des Autoverkehrs lassen mich da ernsthaft hoffen. Sowas MUSS dann einfach auch hier Wirkung zeigen. Berliner Standardausrede: Berlin ist nicht Kopenhagen und auch nicht Amsterdam. Wird mit Paris etwas schwierig…
Ein Kollege von mir hat einen tollen Beitrag für alle Radfans denen ihr Drahtesel am Herzen liegt: http://tiny.cc/Sicher-gegen-Diebe