„Hallo, ich habe Donnerstag Abend (30. April 2015) etwas ungewöhnliches erlebt:
Ein Radfahrer steht am Straßenrand und hält sich das Gesicht, scheint starke Schmerzen zu haben. Sein Fahrrad steht neben ihm. Ich halte an und frage, was los ist. Er sagt, ein Autofahrer habe ihm etwas ins Gesicht gesprüht, und jetzt brenne sein Gesicht. Er schüttet sich Wasser über die Augen.
Ich frage, ob ich einen Krankenwagen holen soll. Er winkt ab, sagt er sei selbst Arzt in der Charité und so schlimm sei es nicht, weil er schon wieder etwas sehen könne. Ich kaufe drei Flaschen Wasser zum Augen spülen. Als ich zurückkomme, kommen zwei Polizeiautos mit Blaulicht angefahren. Den Polizisten erklärt der Radfahrer, was passiert sei.
Er sei in der Gerichtstr. als erster an einer roten Ampel gestanden. Hinter ihm hupte ein Autofahrer. Er habe sich umgedreht , sah dass der Mann wild gestikulierte und schimpfte. Der Radfahrer habe auf die rote Ampel hingewiesen, sich aber vorsichtshalber das Kennzeichen gemerkt. Der Autofahrer habe ihn überholt, und in der Hochstr. etwa auf Höhe des U Bhf Humboldthain auf der Fahrbahn angehalten, an einer Stelle wo rechts auf der Fahrbahn der Radweg vorbeiführt. Der Radfahrer habe beim Näherkommen das Auto erkannt, und gesehen, wie sich der Mann nach rechts in Richtung Beifahrertür rüberbeugt. Als er mit dem Fahrrad dem haltenden Auto näher gekommen sei, habe er gesehen, wie der Autofahrer etwas hochgehalten habe. Dann habe ihn eine Flüssigkeit im Gesicht getroffen. Danach sei der Fahrer mit quietschenden Reifen wieder in Richtung Gerichtstr. zurückgefahren.“
Mail an die Rad-Spannerei vom 2. Mai 2015
„Kein Kommentar“.
Etwas in der Art wie „Ich brech Dir alle Knochen“ durfte ich mir auch schon anhören.
Für mich stellt sich bei Vorfällen dieser Art aber in erster Linie die Frage nach den Regeln des Zusammenlebens generell. Ich glaube, diese Tat und ähnliche Taten gehen weit über die Verkehrsdimension (und überhaupt „Fahrradfahrer vs. Autofahrer“) hinaus. Sie berühren vielmehr das Zusammenleben generell und werfen die Frage auf, wieso es manche Menschen gibt, die hemmungslos nach der Prinzip „Der stärkere und gewalttätigere gewinnt“ verfahren….
Ich fahre jeden Tag durch den Wedding, da ich dort wohne. Gerade in den Bereichen um die Müllerstraße hat man es als Radfahrer schwerer als in vielen anderen Teilen der Stadt, was die Akzeptanz des Rades betrifft. In den dort ansässigen Kulturen gilt das Auto eher noch als Statussymbol, was an den teueren Limonsieren und SUV der Oberklasse zu sehen ist, welche in den billigen Altbauvierteln vor den Döner- und Casinoläden die Radstreifen zuparken (sorry für den Populismus, aber die Leute die das wohnen kennen das ja:) ). Gerade gestern hat mich einer aus einem glänzend weißen Mercedes durchs Beifahrerfenster angeschrieen und äußerst knapp überholt. Ich frag mich, was das für eine Flüssigkeit gewesen sein soll…
Ich fahre nicht durch den Wedding, aber jeden Tag von Kreuzberg zum Potsdamer Platz. Meist habe ich einen Kinderanhänger dran. Ich erlebe inzwischen so viel Aggressivität der Autofahrenden, dass ich mich ganz ohnmächtig fühle. Fahr doch weiter rechts, das ist keine Fahrradstraße – das ist noch die harmloseste Variante. Ich werde weggehupt, mit minimalem Abstand <1m überholt, beschimpft. Wenn ich den Fahrer des Betonmischers bitte, vom benutzungspflichtigen Radweg (hinter einer Kurve) runterzufahren, da es die Radfahrenden gefährdten, ernte ich auch nur mit Überheblichkeit vorgetragene Ignoranz. Ich kenne die Regeln der StVO und halte mich daran. Meist verzichte ich sogar darauf, auf der Fahrbahn zu fahren. Weil es zuviel Stress gibt.
Mir reicht es.
Wie geht ihr mit sowas um? Wie kann man den Protest am besten Vortragen, um sich Gehör zu verschaffen?
Hallo lieber Hollandradfahrer!
Dein Beitrag berührt mich, die sprichst mir aus dem Herzen.
Kinderanhänger und Gefahrensituationen, die geschilderte Ignoranz der Autofahrer – das kenne ich alles bestens. Von Wedding nach Mitte war es früher immer schlimm. Seit dem Umzug Richtung Südwesten Berlins und einer wohnortnahen KiTa hat sich’s für uns etwas entspannt.
Zu Deiner Frage „Wie geht ihr mit sowas um? Wie kann man den Protest am besten Vortragen, um sich Gehör zu verschaffen?“:
1. Präsenz zeigen, aufklären, sich vernetzen. Aktionen wie critical mass gehen grundsätzlich in die richtige Richtung. Meine Meinung. Leider scheint unser derzeitiger neuer OB, nach allem was man hört, eine in dieser Hinsicht komplette Fehlbesetzung. Schade drum.
2. Verantwortliche bei den Regulierungsbehörden, der Polizei, in der Politik immer an ihre Arbeit „erinnern“. Würden alle Radfahrer regelmäßig nur die schweren und schwersten Verkehrsverstösse wie Gefährdungen, Nötigungen etc. per online-Wache zur Anzeige bringen und den Fortgang der Dinge konsequent forcieren, dann hätte die Polizei massig zu tun. Wichtig sind immer Zeugen. Wichtig ist, dass der Einzelne sich nicht schämt, Blockwartmentalität darin sieht, oder wegen gefühlter Sinnlosigkeit den ersten Schritt gar nicht unternimmt. Statistisch taucht das Unrecht, welches Radlern widerfährt, bislang gar nicht hinreichend auf.
3. Halbernst gemeint: Eskalation der bescheuerten Situation! Jeder von uns, der ein altes Grottenauto zum nur-gelegentlich mal nutzen locker finanzieren kann, sollte sich ein solches zulegen und den Auto-Park-Raum weiter minimieren, die Situation für Autofahrer, die schon jetzt nicht die beste ist, zur Katastrophe führen. Im Ernst: das Bewusstsein dafür, dass wir Radler den Autofahrern ja sogar Platz schaffen, weil wir eben nicht auch noch Verkehrsfläche mit PKW zustauen, dieses Bewusstsein ist unter Autofahrern überhaupt nicht vorhanden.
4. Jetzt wieder sehr ernst: Überlege Dir gut die Routen, die Du Dir und Deinen Lieben zumutest. Kleine Umwege führen manches Mal direkt ins Radfahrerparadies. Man muss Lust am Experimentieren entwickeln. Und sollte sich durchaus auch mal von Herzen über die Freiräume als Radfahrer freuen, sich derer bewusst werden: Parkmöglichkeiten, Abkürzungen durch frei gegebene Grünanlagen, das Vorbeirauschen an Staus, etc.. All diese Vorteile bewusster geniessen bringt Lebensqualität! Und es entschärft emotional aufgeladene Situationen. Nicht zuletzt: Den Humor schulen ist in unseren alltäglichen Verkehrssituationen in Berlin sehr wichtig, wie ich finde. Ich selbst versuche es auch mal mit „paradoxer Intervention“. Eben: nicht die erwartete Radfahrer-Reaktion zeigen.
Kritisch sei angemerkt: Zieht man Punkt 4 konsequent durch, dann stehen die Chancen für Aktionismus nach Punkt 1 bis 3 eher schlecht. Ist meine Erfahrung. Ehrlich gesagt: Ich schwanke mit jedem Tag, je nach Gemütsverfassung und Erlebtem, soll ich nun was machen oder mich in Gelassenheit üben?
Beste Grüße!
Joshua
joshua, die Instanzen wissen, was sie zu tun haben. Das Ergebnis ist eben dieses, weil sie es ganz bewußt nicht tun. Aktionen wie CM sind ebenfalls wirkungslos. Nach meiner Erfahrung ist Berichterstattung wirksam, mehr als alles andere zusammen.
Hier hat die Verwaltung, von sich aus, etwas Blau entfernt. Dieses wurde im lokalen Monopolblatt immer wieder mit kleinen Artikeln begleitet, nicht immer positiv. Auch zu Verwaltungsurteilen kam was. Innerhalb von nichtmal 6 Jahren wurden aus den gewaltbereiten Autofahrern (Abdrängen, vom Rad holen, Prügel), man konnte keine 200 Meter am Stück ohne Rumgehupe zurücklegen, harmlose Gelegenheitshuper. Vielleicht blubbert auch mal einer, mehr aber nicht. Früher war Fahrbahnnutzung Dauerstreß, jetzt ist es ziemlich entspannt. Und das, obwohl auf den Hauptstraßen nichts geändert wurde, die sind noch immer beblaut.
Artikel schreiben scheint mir somit sinnvoller zu sein, als sich in Verwaltungsverfahren zu verausgaben oder zu vernetzen. Was soll das eigentlich sein, warum muß man sich vernetzen, will man ein einfaches Gerät angemessen benutzen? Sowas bestätigt doch auch die Autofahrer ob ihres Sonderstatus‘ und ihrer Erziehungsaufgabe.
Nicht einschüchtern lassen! Radfahren gehören auf die Straße! Wir sind viele!
Meine Konsequenz aus Fällen wie diesem ist, jede Eskalation einer Auseinandersetzung zu vermeiden. Die Gewaltbereitschaft meines gegenüber ist zu schwer einzuschätzen. Das Risiko ist zu hoch.
Habe lange im arabischen Raum gelebt. Dort sind aus Sicht der araber Fahrradfahrer das aller niedrigste Gesindel, die froh sein müssen, nicht gleich von der Polizei mitgenommen zu werden. Ich kann im Wedding aber auch anderswo diese Grundverachtung vieler Araber gegenüber Fahrradfahrern in ihrem Fahrstil wieder erkennen. Darauf muss man sich einstellen, und damit muss man leben. Das wird man nicht so schnell ändern.
Also ich habe viele Erfahrungen gemacht, die ich als extrem empfunden habe – ob da auch mal ein Araber drunter war, kann ich gar nicht sagen. Die meisten Autofahrer schienen mir eher deutsch zu sein, darunter auch Muttis mitsamt Familie, die mit ihrem Auto versuchen, absichtlich andere Menschen umzufahren. Ich fahr öfters in Kreuzberg und teile die Einschätzung, dass die Aggressivität beim Autofahren von der Herkunft abhängt, subjektiv nicht.
Das Thema der absichtlich herbeigeführten Unfälle habe ich ja schon mehrfach thematisiert. So extrem, wie manche absichtlich andere gefährden, MUSS das auch ab und zu zu „Unfällen“ führen. Und ich habe die starke Befürchtung, dass diese gar nicht als Straftaten wahrgenommen oder geahndet werden. Auch wieder subjektiv. Aber von Messerattacken lese ich in der Zeitung, von abdrängenden Autos (in meinen Augen die gleiche Kriminalitätskategorie) nie.
Es herrscht Krieg auf unseren Straßen. Und der wird mit ungleichen Waffen geführt. Heute bin ich als Fußgänger bei grüner Ampel beinahe von einem
rechtsabbiegenden SUV überfahren worden. Meine schlechten
Erfahrungen mit den Mitmenschen sind allerdings auf die Radfahrersicht fokussiert. Dennoch neige ich zu der von @ Steven geäußerten Ansicht, dass sich Überlegungen zu brutalen, ja kriminellen Verhaltensweisen nicht
auf das Verhältnis zwischen Radfahrern und Autofahrern reduzieren lassen.
Dieses Geschwür sitzt tiefer und es wuchert mit beängstigender Geschwindigkeit. Denn die zunehmende Zahl von Radfahrern, die nicht
nur verbotenerweise sondern ohne jeglich Rücksicht auf Fußgänger über die Gehwege heizen lässt sich ja auch nicht wegdiskutieren.
Oh ja, wir haben hier in Neukölln an ein paar stellen so vorgezogene „Fußgängerinseln“ nur aufgezeichnet, nichts mit Bordstein oder ähnliches, angeblich soll so eine schraffierte Fläche ja anzeigen, dass man dort nicht fahren darf etc. die Erfahrung lehrt aber, dass diese Fläche entweder als Parkraum oder zum kurven enger fahren genutzt werden, egal ob sich dort an der Sonnenallee 5-10 Leute drängen oder nicht, Brumm Brumm hier komm ich. Ein Träumchen.
@Kohl:
Die schraffierten Sperrflächen bringen immerhin insofern was, als dass Falschparken dort schlagartig teuer wird: 200 Euro sind fällig, wenn – ja, wenn – das Ordnungsamt einen aufschreibt. Vorgestern allerdings hielt das O-Amt gleich selber auf einer geschraffeleten Fußgängerfurt in der Sonnenallee. So dass es in der Realität leider wieder genau so aussieht, wie du es beschreibst. Ein Träumchen, in der Tat.
@Berlinradler:
Ich denke jeder Mensch versucht ständig seine Aggressionen abzubauen. Für Einige eignet sich der Verkehr besonders in Großstädten wunderbar dazu. Zumal man ja selbst im Auto wenig zu verlieren hat. Ist ja alles versichert, nicht wahr?
Teile Deine Gedanken, was kriminelle Fahrweise angeht.
Mir wünschte mal einer “ einen schönen Verkehrstod“ und eine alte Frau im Fahrstuhl Zehlendorf meiner „einen richtig dollen Unfall, bei dem Sie sich richtig verletzen“.
Da fällt einem nix mehr ein.