An einem ganz normalen und durchschnittlichen Tag wurden im vergangenen Jahr in Berlin 2356 Anzeigen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit geschrieben, im gesamten Jahr 2014 wurden 860.000 Autofahrer erwischt. Die Rate der Autofahrer, die deutlich zu schnell fuhren, lag bei 5,25 Prozent, das heißt, dass jeder 19. Kraftfahrer zu schnell und damit potentiell andere Menschen gefährdend unterwegs war.
Ebenfalls stark im Kommen war 2014 der gemeine Rotlichtverstoß. Exakt 29.101 Verstöße notierte sich die Berliner Polizei. Der so genannte qualifizierte Rotlichtverstoß mit mehr als einer Sekunde rotem Ampellicht stieg gar um satte 30 Prozent von 3.894 im Jahr 2013 auf 5.213 im Jahr 2014.
Angesichts dieser Zahlen ist es kaum verwunderlich, dass der Kraftverkehr für den Großteil der in der Stadt verursachten Unfälle verantwortlich ist. Zählt man Pkw, Lkw, Motorräder und Busse zusammen, so kommt man auf einen Wert von 86,59 Prozent aller Unfälle, die durch diese Gruppe der Verkehrsteilnehmer verursacht wurden.
Das Bild wird ein anderes, wenn man sich die Unfälle des vergangenen Jahres nicht unter dem Aspekt der Verursacher sondern unter dem der Opfer betrachtet. Die Leidtragenden dieses Verkehrssystems sind die Fußgänger, sie verursachen gerade einmal ein Prozent aller Unfälle, stellen jedoch mit 40,38% aller im Straßenverkehr getöteten Personen die mit Abstand größte Gruppe der Verkehrsunfallopfer.
Auch die Radfahrer sind mit 19,23% aller getöteten Personen eine große Gruppe. Zehn Radfahrer kamen im vergangenen Jahr im Straßenverkehr ums Leben. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der verunglückten Radfahrer im Zeitablauf seit dem Jahr 2000. Trotz einer stark anwachsenden Zahl von Radfahrern in Berlin steigt die Zahl der Opfer nicht an respektive sinkt sogar leicht.
Polizei Berlin: Verkehrsunfallstatistik
ADFC Berlin: Unfallstatistik
Die Hauptursache für Radunfälle sind „Fehler beim Abbiegen“ von Kraftfahrern. Dadurch wurden 1.595 Radunfälle im Jahr 2014 verursacht. Dieses Fehlverhalten nimmt seit über 10 Jahren im Anteil kontinuierlich zu.
Das unfallträchtigste Fehlverhalten von Radfahrern ist die „Benutzung der falschen Fahrbahn“. Dadurch wurden 940 Radunfälle im Jahr 2014 verursacht. Dieses Fehlverhalten nimmt seit über 10 Jahren im Anteil kontinuierlich ab.
Die Polizei hat im vergangenen Jahr 32.800 Bußgelder gegen Radfahrer verhängt, etwa die Hälfte davon wegen „Fahren über Rot“. Im gleichen Zeitraum wurden 1.560 Bußgelder gegen Kraftfahrer verhängt, die sich ggü. Radfahrern falsch verhalten haben oder Radfahrer gefährdet hatten.
Die Schwerpunkte der Polizei bei den Verkehrskontrollen und das tatsächliche Geschehen bei Radunfällen stehen in keinem Zusammenhang. Die Hauptverursacher der Radunfälle werden bei Kontrollen ausgespart und bei den Radfahrern wird hauptsächlich ein Fehlverhalten geahndet, das nicht einmal 3% Anteil an den Ursachen von Radunfällen hat. Es ist absurd.
Interessant sind auch die Zahlen, die der Tagesspiegel vor ein paar Tagen nannte (http://www.tagesspiegel.de/berlin/zahl-der-rotlichtsuender-steigt-stark-ampeln-in-berlin-werden-millionenfach-ignoriert/11407904.html). Hier gibt es einen Unterschied bei den Zahlen der bei roter Ampel geblitzten – ich kann grad nicht erkennen, wo der Fehler liegt. Wie dem auch sei, es wurden jedenfalls 433 Menschen durch Rotlichtmissachtung verletzt. Bedenkt man, dass es „nur“ 200 Rotlichtunfälle mit Radfahrern im Jahr gibt, und diese nicht zwingend Verletzte mit sich bringen, muss die Anzahl der rücksichtslosen Rotlicht-Autofahrer höher sein, als das gesellschaftlich wahrgenommen wird.
Kleine Anekdote: Ich wartete heute brav bei rot und als ich bei grün losfuhr, querte ein Lkw, der selbst rot haben musste, die Kreuzung. Meine „helltönende Glocke“ bewegte ihn jedenfalls nicht dazu, mich anzuschauen – trotz heruntergekurbelter Scheibe. Glücklicherweise war es nicht gefährlich, aber nach meiner Beobachtung sind die Autofahrer, die eine Ampel missachten oder übersehen, generell extrem unkonzentriert und bekommen überhaupt nichts mit.
„Die Rate der Autofahrer, die deutlich zu schnell fuhren, lag bei 5,25 Prozent“
Hach! Das klingt so beschaulich. Aber der KNACKPUNKT dabei ist doch das Wörtchen „deutlich“. Ab wann ist eine Geschwindigkeitsübertretung denn „deutlich“, so daß sie der Erwähnung wert ist? Und wie verhält es sich mengenmäßig mit denen, die eben nicht „deutlich“ drüber sind?
Wie bekannt sein dürfte, oder sollte, steigt die Verletzungsschwere rapide an, wenn sich Unfälle mit über 50km/h ereignen. Daher sollte man hier nicht nur die „deutlich“ zu schnellen erwähnen, sondern die Rate derer die die Höchstgeschwindigkeit generell überschritten haben.
Jochen, ich glaube, das Wort „deutlich“ habe ich eingefügt. In den Originalquellen zur Pressekonferenz ist es nicht zu finden.
Ich meinte damit, dass ja nicht jeder geblitzt wird, der einen Kilometer zu schnell fährt. Abhängig von der Strecke, auf der der Autofahrer unterwegs ist, gelten gewisse Toleranzgrenzen. In einer 30er-Zone sind es 5 km/h, in einer 50er-Zone vielleicht 10 km/h und da, wo man 80 km/h fahren darf, beträgt die Toleranzgrenze 15 km/h.
Deshalb liegt der Anteil der Raser in der Stadt deutlich über 5 Prozent. Mein Eindruck ist, dass die Raserquote steigt, je geringer die erlaubte Kilometerzahl liegt. In einer Tempo-50-Straße liegt sie bei geschätzten 20 %, in einer Tempo-30-Straße bei 30 Prozent und mehr und in einer Spielstraße wird das Tempo von wirklich allen Kraftfahrern überschritten, die Raserquote liegt da nahe 100 Prozent.
Auch hier fragt man sich : Warum wird niemals der „Anteil der KFZ-Führer an den Verursachern und Mitverursachern von KFZ-Unfällen ( einschließlich der Eigen- und Alleinunfälle) ermittelt und veröffentlicht ?
Sondern nur die entsprechende Zahl für Radfahrer.
@Markus, zwar nicht auf Kfz-Unfälle bezogen, aber aufs Gesamtunfallgeschehen, gibt es diese Zahl mittlerweile in der Statistik. Wenn ich mich recht erinnere, sind Pkw in 72% aller Unfälle verwickelt und haben 76% aller Unfälle verursacht. Nicht drauf festnageln, aber das ist eine der ersten Grafiken in der Gesamtunfallstatistik.
Nur auf Pkw-Unfälle bezogen wird die Kenngröße nicht ermittelt, sie dürfte extrem hoch sein. Vielleicht hat man auch bei der Polizei gemerkt, dass die Zahl inhaltlich keinen Sinn macht. Dann müsste man aber die Frage stellen, warum man sie für Radfahrer veröffentlicht.
@berlinradler: Naja… die Radfahrer sind an 4,15 % aller Unfälle beteiligt und bei 4,12 % aller Unfälle Verursacher.
Für einen, der in Statistik nicht aufgepasst hat, sieht es aus als wären die Radfahrer bei 99 % aller Unfälle mit Radfahrerbeteiligung selbst schuld.
Daher wäre eine Aufschlüsselung (vielleicht als Matrix), aus der hervor geht bei wie vielen Unfällen einer bestimmten Verkehrsgruppe eine andere bestimmte Verkehrsgruppe die Hauptschuld trägt, mal ganz interessant.
(PKW, LKW, Radfahrer, Fußgänger, Kräder, Busse, Strab, Sonstige) vs. (PKW, LKW, Radfahrer, Fußgänger, Kräder, Busse, Strab, Sonstige)
@berlinradler
Da man dass absichtlich macht vermute ich da, entgegen meiner üblichen Argumentation im Kopf (nichts Böswilligkeit zuschreiben, was mit Dummheit zu erklären ist) tatsächlich ein politisches Interesse dahinter, entweder um Radfahrer zu diffamieren, oder Radfahren an sich als gefährlich darzustellen oder um die immensen Gefahren des Autofahrens kleiner erscheinen zu lassen.
Kohl, vielleicht isses ja auch einfach nur plumpe Gewohnheit. Weil? Das war schon immer so und drum kann es ja nicht falsch sein. Gut, daß würde auch in die Kategorie der „mit einfacher Dummheit zu erklären“ passen.
Nicht mehr normale Dummheit aber ist, wenn trotz zigfacher Hinweise und Kritiken, über all die inzwischen vielen Jahre, sich da praktisch nichts verändert.
Ääähm… ich sehe gerade, da habe ich eben ja was blödsinnig erscheinendes geschrieben. Weil entweder ist die Gewohnheit nun Dummheit, oder …?
Ich hatte im Sinn, daß eine Auswertung, ohne das begleitend ein kritisches Hinterfragen stattfindet, also wirklich nur gemäß stumpfdummem Schema „F“ ausgeführt wird.
Und im Gegensatz dazu halt ein so tun als wäre es nur Gewohnheit, aber es letztlich mit einer gezielten Absicht durchzuziehen.
Hmm…. vielleicht sollten wir auch einfach den zweiten Absatz in meinem vorherigen Beitrag ignorieren. 🙂
@Bob Willis, der Forderung stimme ich uneingeschränkt zu.
Ob die tendenziöse Auswertung von Unfallstatistiken Absicht ist? Immerhin steht seit Jahren im Begleittext der Radverkehrs-Unfallstatistik für Berlin bei vielen konkreten Beispielen, dass die Autofahrer zwar Verursacher sind, die Radfahrer aber eigentlich immer ihren Teil beitragen. Beispiele:
– zur Tote-Winkel-Problematik: „Begünstigt werden solche Fehlverhaltensweisen wiederum
durch das Fehlverhalten von Radfahrern, die mit nicht angepasster Geschwindigkeit an Kreuzungen und Einmündungen heranfahren.“
– zur Vorfahrtmissachtung durch Kfz: „Auf Grund der schmalen Silhouette des Fahrradfahrers und der oftmals falschen Benutzung von Radwegen in entgegengesetzter Richtung, kommt es zum Nichtgewähren der Vorfahrt durch die anderen Verkehrsbeteiligten.“
– unvorsichtig aus Ausfahrten gefahren: „Die bereits genannte schmale Silhouette und das
Befahren von Gehwegen bilden dann oftmals begünstigende Faktoren für das Zustandekommen von Verkehrsunfällen.“
Das bedeutet – ja, auch andere machen Fehler, aber eigentlich fahren Radfahrer immer falsch und sind deshalb immer Mitverursacher.
Wenn man solche Texte liest, dann liegt die Unterstellung einer parteiischen Auswertung der Statistik recht nahe. Neutral ist die Polizei jedenfalls nicht, sie richtet sich mit solchen Statistiken gegen alle Radfahrer, insbesondere aber diejenigen, die richtig fahren und ständig gefährdet werden.