Der Fotograf Michael Lange hat von 1991 bis Anfang des Jahrtausends den Osten Berlins auf schwarz-weiß dokumentiert. Viele der Bilder, die Lange auf dem Tumblr-Blog „Berlin in den 90ern“ publiziert, wirken wie aus einer längst vergangenen Zeit. Die Brachen, leerstehenden Häuser und Baustellen zeugen von einer Stadt im Wandel.
Für ein Buchprojekt hat Michael Lange manche Orte noch einmal neu fotografiert, um alt und neu einander gegenüberzustellen. Die beiden folgenden Aufnahmen zeigen die Kreuzung Linienstraße und Tucholskystraße im Bezirk Mitte in den Jahren 2000 und 2014. Die Gegend ist 2000 bereits komplett durchsaniert, nur ein Arbeiter mit Schubkarre deutet an, dass irgendwo noch gebaut wird. Im Jahre 2014 ist auch der Gehweg erneuert, die alten Schweinebäuche sind verschwunden und an der Kreuzung sind Gehwegvorstreckungen entstanden. Während das Foto von 2000 eine komplett fahrradlose Ecke zeigt, zählt man im Foto aus diesem Jahr elf Räder und eine Fahrradleiche. Neu ist auch, dass die Linie nun eine Fahrradstraße ist.
Foto „Linien- Ecke Tucholskystraße in Mitte, 2000 und 2014“ im Großformat (1280 mal 1786 Pixel)
Berlin in den 90ern
Und was sagt uns das nun? Es könnte uns sagen, dass das Radleraufkommen in der Linienstraße, bezogen auf das Jahr 2000, um eintausend % zugenommen hat. Es könnte uns auch sagen, dass die nach 2000 erfolgte Umwidmung von Teilen der Linienstraße zur Fahrradstraße dem vermehrten Fahrradverkehr weniger als gar nicht gerecht wird. Ja ich behaupte, dass sich die Linienstraße seither zu einem für Radler höchst gefährlichen Pflaster entwickelt hat. Statt dieser für den Radverkehr wichtigen Ost-West-Verbindung kompromisslos die Vorfahrt einzuräumen bzw. an der Kreuzung Rosenthaler Str. eine Lichtsignalanlage einzubauen, wird die Fahrradstraße an den Einmündungen und Kreuzungen aufgehoben, mit der Folge, dass der somit gleichberechtigte Verkehr von rechts (oft genug allerdings auch der nicht vorfahrtsberechtigte Verkehr von links) einem zügigen Pedalieren jede Chance nimmt. Und die Kreuzung Rosenthaler Straße lässt sich nur unter Lebensgefahr queren. Da ist der von der Torstraße ständig in die Rosenthaler Straße zurückreichende Ampelstau zu überwinden, da ist die Strassenbahn, da sind die im Kreuzungsbereich versetzten Sichtachsen. alles höchst unübersichtlich und gefährlich. Ich bin sicherlich kein Fan von roten Ampeln, dort jedoch gehört eine Lichtsignalanlage hin. Der Zweck einer Fahrradstrasse, nämlich dem Fahrradfahrer eine sichere,zügige und komfortables Route zu bieten wird hier meilenweit verfehlt. Last but not least muss auch das östliche Ende der
Linienstraße besonders erwähnt werden. Dieser Abschnitt wird (selbst von vielen Radfahrern) als Fahrradstraße gar nicht richtig wahrgenommen, obwohl als solche ausgewiesen. Die Fahrbahn ist hier zwar breiter, jedoch befindet sich diese in einem desaströsen Zustand und die oben geschilderte
Vorfahrtregelung findet hier ihre Fortsetzung. Die völlig unbefriedigende Situation des Fahrradverkehrs in der Linienstraße wurde in dem vor mehr als Jahresfrist von der Senatsentwaltung für Verkehrsverwicklung initiierten
Internetportal „Radsicherheit“ vielfach beleuchtet und kritisiert. Indessen ist seither keinerlei positive Veränderung zu bemerken. Einmal mehr ist damit dieses Inernetportal, wie von vielen befürchtet, als reine Alibiveranstaltung geoutet. Der damals zuständige Senator ist nun regierender Bürgermeister, also was kümmert ihn sein Geschwätz von gestern.
Fröhliche Weihnachten und guten Rutsch (sollte sich ergeben, wenn an Silvester nach heftigen Schneefällen die Radwege mal wieder nicht geräumt werden).
Die Linienstraße ist keine Fahrradstraße. Die tut nur so.
Insbesondere mit Blick auf die Kreuzung der Rosenthaler Straße muss ich Komfortradler Recht geben. Eine Fahrradstraße stelle ich mir z.B. so vor, dass man dort auch bedenkenlos Kinder auf den Schulweg schicken kann. Diese Kreuzung ist selbst für erfahrene Radfahrer eine Herausforderung.