Neues Kapitel in der unendlichen Geschichte der Radfahrer in der Kastanienalle im Bezirk Pankow. Nach jahrelangem Kampf um die Umgestaltung der Straße hatte sich der Bezirk durchgesetzt. Die Fahrbahn wurde zugunsten von Radfahrstreifen verbreitert, die Bürgersteige wurden schmäler. Im Zuge des Umbaus der Straße wurden für die Straßenbahn drei Haltestellenkaps gebaut, um einen ebenerdigen und barrierefreien Zugang zur Tram zu ermöglichen. Der Radweg wird im Bereich der Haltestellen etwa einen Meter schmal und springt um etwa zwanzig Zentimeter nach oben. Im Bereich der Haltestellen hatte die Verkehrslenkung Berlin eine Radwegbenutzungspflicht (Zeichen 237) angeordnet.
Dagegen klagte ein Bürger und bekam Recht. Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts hob die Anordnung der Radwegbenutzung auf. Eine Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ist zulässig.
Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz: Keine Radwegbenutzungspflicht in der Kastanienallee
Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29.10.2014
Interessantes Urteil – S. 9 des Urteils erwähnt übrigens 4 Unfälle beim Überholen in drei Jahren, alle aufgrund nicht ausreichenden Seitenabstands. (vermutlich in der Spur, bei Gegenverkehr, wenn der Radfahrer rechts der Gleise fuhr…). Woraus ergibt sich eigentlich, solche Unfälle seien in Berlin so unglaublich selten? Dies soll jetzt nicht irgendwelchen Benutzungspflichten das Wort reden, interessiert mich aber, da das Argument ja immer kontraintuitiv pro Fahrbahnradeln in die Debatte geworfen wird. Vielleicht, weil dies Unfälle seltener die ganz schlimmen Folgen haben, die man dann in der Tagespresse liest?
Instruktiv auch, dass weder die Überholunfälle der Vergangenheit noch die bei Fahrbahnnutzung theoretisch gegebene Möglichkeit verkehrswidrigen Verhaltens durch Radfahrer (gemeint ist wie ein Irrer die stehende Tram überholen) eine Benutzungspflicht rechtfertigen.
Autofahrertypisch natürlich die Argumentation der VLB. Besteht die aus lauter ADAC-Mitgliedern? Und ist die eigentlich auch für die ganzen „Radfahrer absteigen/Verbotsschilder bei Baustellen verantwortlich? Neuester Gag ist die Prinzenstraße mit brandneuen Radstreifen, Ecke Skalitzer. Da soll man sich plötzlich mit Fußgängern unter der UBahn durchdrängeln
Wurde auch Zeit.
Weshalb sich die Verwaltung so etwas überhaupt antut, bleibt wohl deren Geheimnis.
Man könnte fast denken, die machen so etwas absichtlich, um für mehr Bekanntheit der Aufhebung der Benutzungspflichten zu sorgen.
@fab Einfach: Weil im vergleich zu diese Unfällen auf dem Radweg nunmal unglaublich selten sind. Keiner behauptet das Fahrbahnfahren 100%ig Sicherheit bedeutet.
Mal sehen, ob und wann dieses Urteil rechtskräftig wird. Das wird sicher keine Pressemitteilung wert sein.
Denn: In der Konrad-Wolff-Str. in Hohenschönhausen haben wir seit Kurzem den selben Mist – und ich glaube kaum, dass der ohne weiteres Zutun von Amts wegen beseitigt wird. Ein rechtskräftiges Urteil wäre da sicher hilfreich. 🙂
Ich komme nicht aus Berlin, kenne aber zufällig die Kastanienallee. Was soll daran gut sein, die Benutzungspflicht im Bereich der Haltestellen aufzuheben? So auf dem ersten Blick kann das doch durchaus Sinn machen. Kann mich mal jemanden sachlich aufklären?
In der Kastanienalle fahre ich immer nur mit meiner Kiezgurke, also relativ langsam. Trotzdem empfinde ich die 20-Zentimeter-Schwelle als krass. Schnell fahrende Radfahrer können an dieser Stelle Probleme bekommen, zumal der Radweg stark eingeengt wird. Auf dem Foto ist links neben der zweiten Radfahrerin noch knapp eine rot-weiße Bake zu sehen. Der Abstand zwischen der Bake und dem Pfosten des Verkehrszeichen-237-Schilds beträgt 146 Zentimeter.
Nach dem Ende der Haltestellenkaps stehen übrigens keine Schilder, die die Radwegbenutzungspflicht wieder aufheben. Rechtlich gesehen ist das Zeichen 237 wohl bis zur nächsten Kreuzung gültig.
@quirinus: das urteil ist ja oben verlinkt, besser kann man das kleine für und das große wider eigentlich kaum beschreiben. Kleine Auswahl:
Benutzungspflichten bedeuten ein Fahrbahnverbot, also eine Freiheitseinschränkung. Das ist nach § 45 StVO nur zulässig, wenn es gute Gründe dafür gibt – nämlich Gefährlichkeit des Fahrbahnfahrens aufgrund der besonderen örtlichen Situation.
Für die Benutzungspflicht an den Haltestellen gab es vor allem das Argument, dass es gefährlich sei, wenn Radler eine stehende Tram im Gegenverkehr überholen. Das wäre aber ohnehin verboten. Und wer so etwas tut, der hält sich eben auch nicht an Benutzungsplichten. Außerdem könnten auch motorisierte Irre so was machen (fand ich ein besonders schönes Argument), warum also nur Radfahrer regulieren?
Dass dort Tramschienen liegen, rechtfertigt keine BNP, die liegen ja überall in Ost-Berlin.
Gegen die BNP spricht vor allem auch, dass diese Radweg-Führung für Fahrgäste und Radfahrer gleichermaßen gefährlich ist. Außerdem steht ja auch nicht immer eine Tram an der Haltestelle, möglicherweise stehen aber wartende Fahrgäste auf dem Radweg. Es gibt also Situationen, wo man besser auf der Fahrbahn fährt.
Wo haben die eigentlich das seltsame Gerücht aufgeschnappt, es sei verboten, an einer Straßenbahn, die an einer Haltestelle hält, links vorbeizufahren ?!
Verboten ist es nicht, auch nicht für Radfahrer aber es gilt mehrere Regeln der StVO dabei zu beachten. Zum einen die Vorschriften zum Überholen und zum anderen die zu an Haltestellen haltenden Bussen/ Straßenbahnen.
Es ist jedenfalls nicht empfehlenswert in einer solchen Engstelle/ Haltestelle eine haltende Straßenbahn zu Überholen.
reclaim: das steht im oben verlinkten urteil alles ganz prima erklärt – es bezieht sich natürlich auf die normale alltägliche situation in der kastanienallee. lohnt sich, zu lesen.
wenn mein kommentar oben so klingt, als sei es unter allen umständen und überall verboten an trams links vorbeizufahren, dann liegt das an der kommentartypischen verkürzung der argumentation. da ist es natürlich besser, man liest die quelle. wenn man denn sachlich interessiert ist.
In der K. gibt es noch einen wichtigen Aspekt: das hohe Radleraufkommen von bis zu 7.000 am Tag. Das ist über 1m breiten Radweg auf den Kaps nicht abwickelbar. Die BNP für einen so schmalen Radweg wirkt schon ein bisschen fahrlässig und sollte daher aufgehoben werden. .
Wenn sie gut umgesetzt sind, sind (für Räder) befahrbare Haltestellenkaps eine gute Sache, siehe Wien:
http://lobby.ig-fahrrad.org/neu-in-der-ottakringer-strasse-das-beradelbahre-haltestellenkap/
http://lobby.ig-fahrrad.org/ottakringer-strasse-mit-goldene-speiche-2013-praemiert/
Seit dem Umbau radelt es sich dort viel entspannter.
@fab: Die Spitze gegen meinen flapsigen Beitrag oben kam zu Recht.
Ich hatte im Tagesspiegelartikel und dann noch hier einfach beim Überfliegen von angeblichem Vorbeifahrverbot an Haltestellen gelesen, kenne den §20 StVO, der das exakte Gegenteil eines Verbots zum Inhalt hat – nämlich eine explizite Erlaubnis -, hatte nicht viel Zeit und dachte, es sei eine gute Idee, hier mal schnell gegen das Gerücht anzusteuern.
War es in der Form aber nicht. Denn wie Du schreibst, findet sich die Erklärung zu meiner Frage tatsächlich ausführlich im Urteil:
Die Verwaltung hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung und redet von Überholen, wo es um Vorbeifahren geht und wird diesbezüglich dann vom Gericht auch korrigiert
Das Gericht hat an der Stelle schon Ahnung und weiß, dass (vorsichtiges) Vorbeifahren ohne Behinderung von Gegenverkehr erlaubt ist.
Allerdings „drängt es sich“ dem Gericht auf, dass es in der Kastanienallee einem Radfahrer regelmäßig nicht möglich sei (d.h. im Juristensprech wohl „nur im Ausnahmefall möglich“), an einer an einem Kap stehenden Bahn vorsichtig und ohne Behinderung von Gegenverkehr vorbeizufahren.
Insofern ist tatsächlich im Urteilstext klargestellt (und ich hätte nicht blöd fragen müssen), wie Verwaltung und Gericht darauf kommen, Radfahrer dürften da nicht links vorbei: Die Verwaltung aus Ahnungslosigkeit. Und das Gericht nach subjektiver Einschätzung der konkreten Situation in der Kastanienallee.
Allerdings erschließt sich mir nicht, wieso es sich dem Gericht aufdrängt, in einer schnurgeraden Straße, sei es kaum möglich vorsichtig an einer Bahn vorbeizufahren, ohne Gegenverkehr zu behindern. Den sieht man doch dort eigentlich mangels Kurven ohne Weiteres rechtzeitig.
Aber ok. Der Richter darf natürlich auch eine Meinung haben.
(Das Vorbeifahren kaum Sinn macht, da man die Kastanienallee auf dem Rad kaum schneller und effizienter hinter sich lassen kann, als im Windschatten einer Straßenbahn, steht auf einem anderen Blatt 😉 )
Wie auch immer: Nochmal sorry für meinen Beitrag oben. Gegen Dich @fab war der allerdings nie gerichtet. Kam aber zu einem besonders ungünstigen Zeitpunkt, nachdem Du Dir die Mühe gemacht hattest, das Urteil zusammenzufassen….
Eine Radwegbenutzungspflicht in der Kastanienallee? Das ist ja abgefahren. Die Posse um die Umgestaltung der Castinallee wird ja immer doller. Bin früher jeden Tag da durchgefahren und damals war das Radfahreraufkommen schon so groß, dass ein 1m breiter Radweg wohl nur schallendes Gelächter auslösen konnte. Kann mir kaum vorstellen, dass das in den letzten 5 Jahren weniger geworden ist.
Warum macht man nicht einfach mal Nägel mit Köpfen, KFZ-Verbot in der Castingallee, maximal noch Anlieger frei und fertig ist der Lack.
Muss aber auch sagen, dass Leute, die sich von Autos umholzen lassen, weil sie rechts der Schienen fahren irgendwie auch selbst schuld sind. Die einzig sinnvolle Möglichkeit dort zu fahren ist zwischen den Schienen.
Habe das viele Jahre lang mehrmals täglich praktiziert und es hat sich bewährt.
@Peter dass man die Straßenbahn nicht links überholen darf wenn diese an der haltestelle steht ist Ihre persönliche Meinung.
natürlich muss man an vorderende auf querende fußgänger achten.
Die Kastanienalle ist imho für Radfahrer schlechte zu befahren als vor der Umgestaltung, als noch auf 30 km/h beschränkt wurde und Radfahrer noch mitten auf der Schienenspur fahren durften und auch die Autofahrer ausdrücklich mit Fahrradsymbolen darauf hingewiesen wurden.
Jetzt werden die Radfahrer in die Dooringzone an den Parkenden Autos vorbeigeführt, ganz zu schweigen von diese unsäglichen Gehwegrampen an den Haltestellen.
Auch für Fußgängner ist es c.a. 2 m enger geworden.
Die Neugestaltung der Kastanien Allee hat nur die Situation für Autofahrer verbessert: 50km/h erlaubt und keine Radfahrer mehr im Weg.
In Westdeutschland macht man solche Straßen seit den 80ern zu Fußgängerzonen.
gab ja auch entsprechende fahrradpiktogramme zwischen den schienen. vor dem umbau. in der kastanien war man also schon mal viel weiter.
weiß nicht. ich bin auch immer zwischen den gleisen gefahren, fand es aber immer ungemütlich. da musste man dann meist ein paar mal im spitzen winkel über die gleise. die vorstellung, sich da mal kurz vor der tram hinzupacken, hat mich durchaus immer begleitet, von mir aus zwanghaft aber so wars nunmal. meine frau ist da – mit 37mm reifen, ich fahre 55er – ganz besonders ungern gefahren und damit war sie nicht allein – die hälfte der radfahrer haben sich außerdem in der dooring zone rumgedrückt.
m.E. das einzig sinnvolle wäre gewesen, die parkplätze ganz wegzunehmen und den platz für großzügige radwege zu nutzen. mit den kaps muss man dann halt nehmen, von mir aus gern ohne benutzungspflicht.
und wenn jetzt die ganz harten rennrad-fahrer aus den kopfsteinpflasterstraßen von neukölln meinen, dass sei mimimi – hm, siehe den polizistensturz im nachbarartikel. diverse bekannte von mir haben auch schon die straßenbahnschienen geküsst. ist aus meiner beobachtung eine der häufigeren unfallarten in ostberlin und meist unangenehmer als sich mal auf herbstlaub in die kurve zu legen.
„mit den kaps muss man dann halt leben“
so ähnlich hätte man vielleicht die kaps gestalten können:
http://www.copenhagenize.com/2014/09/led-busstops-in-copenhagen.html
@fab, es gibt ja viele analoge Führungen in Berlin. Da gehen dann beispielsweise die Radwege hinter den Haltestellenhäuschen entlang. Das ist meiner Erfahrung nach ebenso problematisch:
– die Haltestellenhäusschen stellen oft Sichthindernisse wahr
– Fußgänger nehmen die Radwege als solche nicht wahr oder ernst, überqueren sie unachtsam oder warten darauf
– Radfahrer passen sich dieser besonderen Gefahrenlage nur selten an und sind viel zu schnell unterwegs
Ich denke, der Grundfehler hat hier begonnen, als man die Fahrbahn verbreitert hat. Denn so gibt es keinen Grund mehr für Radfahrer, dauerhaft zwischen den Schienen zu fahren. Will man nun – korrekterweise – barrierefreie Haltestellen anbieten, hat man ein unlösbares Problem. Entweder man zwingt den Radfahrer, ständig zu wechseln zwischen Schienenzwischenraum und rechter Fahrbahnseite, oder man führt ihn irgendwie durch die Haltestelle hindurch. Das kann doch beides nicht klappen.
Beispielsweise erlebe ich bei den Fahrradstern- und Kreisfahrten im Schienenbereich fast immer schwere Stürze. Schienenüberquerungen sind immer ein Risiko. Und Radwege auf dem Bürgersteig oder in der Haltestelle würden selbst dann nicht wahrgenommen werden, wenn sie mit Blitzlichtlampen markiert wären.