Vor sechs Jahren hat der Umweltverband BUND eine Broschüre unter dem Titel „Wege für den Radverkehr“ vorgestellt. Einige der in der Broschüre enthaltenen Vorschläge zur Umgestaltung des Fahrradverkehrs in Berlin sind bereits realisiert. Nun ist die Fortschreibung der BUND-Vorschläge für ein fahrradfahrerfreundliches Berlin erschienen .
In der inneren Stadt werden nach Ansicht des BUND Radspuren auf der Straße benötigt (Schönhauser Allee, Potsdamer Straße, Invalidenstraße). Ebenfalls notwendig ist es, entlang stark frequentierter Straßen eine Verbreiterung der Fahrradstreifen zu prüfen.
Ein großes Hindernis zur Nutzung des Fahrrads ist laut BUND der Mangel an leicht zugänglichen, wettergeschützten und diebstahlsicheren Stellplätzen am Wohnort. Nachholbedarf besteht auch bei Stellplätzen im öffentlichen Straßenland. Für die Oranienstraße fordert der BUND zum Beispiel, dass von den heute vorhandenen 160 Autostellplätzen 20 abgebaut werden. Es würde dadurch Platz geschaffen für 160 Fahrradstellplätze. Im übrigen solle sich die Verteilung von Kfz- und Fahrradstellplätzen orientieren am Modal Split.
Insgesamt soll das Fahrradroutennetz in Berlin verdichtet werden. Viele Stadtteile könnten so besser an die Innenstadt angebunden werden. So schlägt der BUND eine Fahrradverbindung von Mitte / Kreuzberg quer über das Tempelhofer Feld nach Tempelhof und Marienfeld vor. Voraussetzung dafür ist der Bau einer Fahrradbrücke südlich des Tempelhofer Flughafens über den S-Bahn-Ring beziehungsweise die Autobahn A 100. Auf dieser neuen Route errechnet der BUND Fahrzeiten mit dem Velo von Tempelhof zum Alex von etwa 25 Minuten bei entspannter Fahrweise.
In der äußeren Stadt schlägt der BUND die vermehrte Einrichtung von Fahrradstraßen (Togostraße, Antwerpener Straße, Lauenburger Straße, Sembritzkistraße, Bendstraße, Rungiusstraße, Fabeckstraaße, Tietzenweg, Schlossallee) vor. „Durchgehende und vorfahrtberechtigte Fahrradstraßen sind auch ein attraktives Angebot, um größere Distanzen entspannt zurückzulegen. Daher ist die Ausweisung von entsprechend gestalteten Fahrradstraßen ein wichtiger Baustein, um das Radfahren gerade in der so genannten äußeren Stadt attraktiver zu machen und den Radius der Radnutzung zu erweitern.“
Weiterhin schlägt der BUND Maßnahmen vor, um die kombinierte Nutzung von Fahrrad und schienengebundenem ÖPNV zu erhöhen. Wichtig sei es vor allem, in den äußeren Zentren nahe am Bahnhof ein qualitativ gutes Angebot von Fahrradstellplätzen zu schaffen.
BUND: Wege für den Radverkehr II (pdf-Dokument)
Ein paar Anmerkungen zu dem Dokument:
Der in Seite 4 angesprochene Konflikt mit Lieferverkehr (insbesondere Paketdienste durch den zunehmenden Internet-Versandhandel) in zweiter Reihe bzw. auf Fahrradspuren ist natürlich ein Problem und führt dazu, dass viele Radfahrer sich nicht mehr auf die Fahrbahn trauen und auf dem Gehweg fahren. Ich wüsste aber nicht, wieso man dieses Problem nicht durch eine ausreichende Anzahl von Lieferzonen lösen könnte (zumindest in allen Straßen, in denen überhaupt öffentliche Parkplätze vorhanden sind). Wenn man die Lieferzonen sinnvoll zeitlich beschränkt, dann bleiben die Parkplätze für Berufspendler weiterhin nutzbar. Dazu müsste man natürlich dafür sorgen, dass die Lieferzonen auch tatsächlich für den Lieferverkehr frei bleiben und nicht ständig durch private PKW blockiert werden. Zusätzlich bräuchte man natürlich verstärkte Kontrollen (und Konsequenzen wie erhöhtes Bussgeld und Punkte bei entsprechend vielen Wiederholungen). Durch die sehr geringe Kontrolldichte heute wird oft nicht einmal versucht, einen legalen Parkplatz zu suchen. Häufig sieht man Lieferfahrzeuge in zweiter Reihe, obwohl nur ein paar Meter weiter ein freier Parkplatz ist.
Die Idee, Fahrradstreifen auf der Fahrbahn zu verbreitern (Seite 4), ist meiner Meinung nach auf jeden Fall sinnvoll. Die heutigen Streifen sind meistens so schmal, dass Autofahrer auf der Spur daneben in der Regel nicht den vorgeschriebenen Abstand beim Überholen einhalten. Wenn es eine getrennte Spur für Fahrräder gibt, dann denken die meisten Autofahrer, dass sie sich nicht mehr um den Überholabstand kümmern müssen, da es ja getrennte Spuren gibt. Daher sollten die Streifen so breit sein, dass sich automatisch ein korrekter Abstand ergibt, wenn der Autofahrer normal auf seiner Spur bleibt. Der Vorschlag, Angebotsstreifen in Schutzstreifen umzuwandeln, ist allerdings wenig sinnvoll, da das durch das Radwegzeichen dazu führt, dass man bei Kreuzungen mit Führungen zum indirekten Abbiegen nicht mehr sich einordnen und direkt abbiegen darf. Das Problem, dass auf Angebotsstreifen gehalten werden darf, sollte man wenn nötig durch ein zusätzliches Halteverbotszeichen angehen. Dann kann das Ordnungsamt auch ohne Warten direkt ein Ticken ausstellen und/oder einen Abschleppwagen rufen. Dieses Problem stellt sich übrigens nur dort, wo es neben dem Angebotsstreifen keinen Parkstreifen gibt, da das Halten in zweiter Reihe generell verboten ist.
Auf Seite 5 wird behauptet, dass man Konflikte auf gemeinsam genutzten Busspuren durch eine 4,75m breite Busspur verhindern könnte. Das ist allerdings deutlich zu knapp kalkuliert. Als Radfahrer sollte man zum Fahrbahnrand einen Abstand von mindestens ca. 80 cm einhalten (bei parkenden Fahzuegen neben der Busspur noch etwas mehr). Dazu kommt die Breite des Fahrrads (ca. 70cm), der vorgeschriebene Überholabstand (laut Rechtssprechung 1,5-2m) sowie die Breite des Busses (ca. 2,5m). Damit kommt man auf eine erforderliche Breite von 5,5-6m zum sicheren Überholen. Diese Breite liesse sich in der Praxis in den meisten Fällen wohl nur erreichen, indem man eine normale Fahrspur wegnimmt. Bei der als Beispiel genannten Hardenbergstraße wäre das aber problemlos möglich, da es bisher neben der Busspur 3 normale Fahrspuren pro Richtung gibt. Die in dem Dokument empfohlene Breite von 4,75m führt zu einer unnötigen Gefährdung von Radfahrern, da Busfahrer dazu verleitet werden, ohne ausreichend Sicherheitsabstand zu überholen.
Die Idee, mehr geeignete Stellplätze für Fahrräder zu schaffen (Seite 7) und dazu gegebenenfalls auch normale Parkplätze umzuwandeln, ist auf jeden Fall sinnvoll. Allerdings müsste man auch dafür sorgen, dass die Stellplätze nicht über viele Jahre von Schrotträdern blockiert werden. Dazu könnte man so etwa alle 1-2 Jahre alle Stellplätze kontrollieren, bei offensichtlich fahruntüchtigen Rädern eine Markierung anbringen und die Räder 1-2 Monate später entfernen, wenn der Besitzer sich nicht darum gekümmert hat und die Markierung immer noch da ist.
Zitat:
„Durchgehende und vorfahrtberechtigte Fahrradstraßen sind auch ein attraktives Angebot, um größere Distanzen entspannt zurückzulegen“
Fahrradstraßen, die vorfahrtberechtigt sind? Gibt es das schon irgendwo? Möchte ich erst sehen, bevor ich es glauben kann.
„Gibt es das schon irgendwo?“
Wohl nicht. Der BUND gehört eben zu den Freunden (des Radfahrers), die man lieber nicht haben will.
Meines Erachtens würde es dem Radverkehr im regulären Straßenraum bzw. auf der Fahrbahn geführt am ehesten helfen, wenn Geld in Straßeninstandhaltung gesteckt würde.
Denke gerade gestern noch an eine Fahrt von Wedding nach Rummelsburg. Erst quer durch die Kopfsteinghettos, dann irgendwann auf der Danziger Str. angekommen und ostwärts gefahren. Da sind vor einiger Zeit ja auf vielen Abschnitten Radstreifen abmarkiert worden. Diese Radstreifen laufen aber genau da entlang, wo die Fahrbahn so dermaßen buckelig ist, dass man kaum sinnvoll geradeaus fahren kann. Erst östlich der Prenzlauer Allee wird das dann besser.
Wenn man als Radfahrer auf solchen Straßenabschnitten unterwegs ist, ein augenscheinlich breiter Radstreifen vorhanden ist, dann rechnen natürlich motorisierte Verkehrsteilnehmer damit, dass man als Radfahrer seine Spur halten wird. Und wenn man das dann wegen des Straßenzustandes nicht tut, dann kann es kritisch werden.
Ansonsten:
Die Idee einer Fahrradroute quer übers Tempelhofer Feld ist sehr interessant. Das könnte tatsächlich Wege deutlich verkürzen. Allerdings stellt sich auch da die Frage, wie eine solche Route weiter nach Norden und Süden hin angebunden werden könnte. Der skizzierte Verlauf via Südstern würde für eine Weiterfahrt Richtung Mitte bedeuten, dass man als Radfahrer doch noch so einige Kopfsteinstrecken weiter Richtung Mitte vor sich hätte. Oder von dort doch wieder Zickzack fahren würde. Unten in Tempelhof wäre das Problem, dass man mit so einer Route nur bis zur Oberlandstr. oder maximal zur Ordensmeisterstr. käme. Dann kommt der Teltowkanal als Barriere. In gerader Linie müßte man auf der Colditzstr. weiterfahren, wieder so ’ne Ghettopiste, die man als Radfahrer besser meidet.
Es wäre vermutlich einfacher, eine Fahrradstraße in Alt-Tempelhof beginnen zu lassen, dann auf der Ostseite des Tempelhofer Damms als Zweirichtungsweg eben unter der Ringbahnbrücke entlangzuführen und dann dort diagonal aufs Tempelhofer Feld zu leiten. Da müßte man auf der Tempelhofer Seite nämlich dann nur ca. 100 Meter unmittelbar im Bereich der Ringbahnunterführung umgestalten. Weiter nach Süden könnte man eine Radroute durch die Nebenstraßen zwischen dem T-Damm und der Manteuffelstr. führen. Da gibt es zwar auch einiges an Kopfsteinpflaster, aber auch die ein oder andere sinnvoll befahrbare Strecke.
Im Gegensatz zu einem südlichen Endpunkt im Tempelhofer Industriegebiet hätte eine solche Wegeführung den Vorteil, dass sie auch dahin führen würde, wo tatsächlich potenzielle Nutzer wohnen. Denn östlich von Tempelhofer bzw. Mariendorfer Damm ist die Wohndichte gering, die Wohnsiedlungen sind fast alle westlich dieser Hauptverkehrsachse.
Ansonsten bleibt abzuwarten, wie sich der Radverkehr in Tempelhof nach der ja anscheinend derzeit erfolgenden Radwegesanierung am T-Damm westlich vom Tempelhofer Feld entwickeln wird. In Nord-Süd-Richtung wurde die grauenhafte Buckelpiste ja tatsächlich schon in weiten Abschnitten benutzbar gemacht. Vielleicht passiert stadteinwärts ja auch noch was. Nicht dass ich persönlich diese Radwege brauchen würde. Aber es scheint ja viele zu geben, die lieber Radwege fahren wollen, als im Fahrbahnverkehr mitzuschwimmen. Auf jeden Fall bleibt für Bewohner von Tempelhof und weiter südlich liegenden Stadtteilen die direkte Fahrt am T-Damm immer noch die kürzeste Verbindung. Auch zum Alex. Da kann eine Fahrradroute, wie vom BUND vorgeschlagen, nichts dran ändern. Mit der BUND-Route würde allerdings die Anbindung östlicher Stadtteile an den Süden verbessert.