„Ich fahre auch bei Rot!“

Das österreichische Fahrradmagazin Velosophie hat in seiner neuesten Ausgabe ein Interview mit dem Wiener Verkehrsforscher Professor Ralf Risser gemacht. Velosophie sprach mit Risser über Klimawandel und Lebensqualität, das Rad als Verkehrsalternative und das Auto als erweiterten Körper.

Ihr Betätigungsfeld sind Verkehrspsychologie und Sozialwissenschaften. Im Normalfall geht man davon aus, dass Verkehr aus Regelwerken und Planungsschritten besteht, welche Rolle spielt da Psychologie?

Nun, Verkehr setzt sich daraus zusammen, was wir alle machen. Ohne dass wir uns in irgendeiner Form verhalten, gibt es keinen Verkehr. Technik und Infrastruktur würden ohne uns ja still stehen! Davon, wie wir uns bewegen, hängen die Auswirkungen von Verkehr ab, bezüglich Sicherheit, Umwelt, Lebensqualität. Sicherheitsprobleme entstehen dadurch, dass wir uns seltsam verhalten, und Umweltprobleme entstehen dadurch, dass wir seltsame Fortbewegungsarten wählen. 10% aller Autofahrten sind kürzer als ein Kilometer, das kann man in 10 Minuten gehen oder in 4 Minuten radeln. Da ist es ja absurd, ein Auto zu benutzen, vor allem wenn man an den Klimawandel denkt.

Ihr Ansatz kann uns erklären, warum Menschen so absurde Entscheidungen treffen?

Ich versuche, diese Erklärungen zu finden, das wissenschaftlich zu verstehen. Warum nutzen die Leute, obwohl sie wissen, dass man das Auto weniger verwenden soll, es selbst unverändert weiter? Hier findet man in wissenschaftlichen Befragungen viele Gründe vor und hört viele Entschuldigungen. Politiker sind gefragt, Maßnahmen zu setzen, damit gewisse schädliche Verhaltensweisen unterbunden werden.

Ist also die Wahl des Verkehrsmittels schon das erste Fehlverhalten im Verkehr?

Natürlich. Für die Umwelt wäre es sinnvoll, die Autoverwendung drastisch zu reduzieren, es nur bei Gelegenheiten zu nutzen, wo es unvermeidlich ist.

Worin liegt nun der psychische Reiz des Automobils? Wie stark ist die emotionale Bindung der Menschen zum Auto?

Das Auto hat das Potential in sich, es als Ware über zu bewerten. Es suggeriert magische Kräfte: Es gibt mir Geschwindigkeit, Kraft, Schönheit, Schutz, obwohl es Gefahr und Schaden für andere bedeutet. Es ist daher nicht erstaunlich, wenn Leute diesen Teil ihres Besitzstandes überschätzen. Man kann sagen, dass das Auto als erweiterter Körper betrachtet wird. Versuchen Sie folgendes: Wenn Sie ein Autofahrer im Straßenverkehr behindert, tapsen Sie mit der Hand auf die Motorhaube. Haben Sie das schon versucht und sich die Gesichter angesehen? Die Reaktion zeigt die Verbundenheit mit dem Gefährt: Das bin ich!

Wie verhalten sich nun aber Radfahrer im Verkehr? Welche Typologie von Fahrradnutzern würden Sie aufstellen?

Als unempirische persönliche Einschätzung: Neben den „gelassenen Alltagsradfahrern“, die gemäßigt und langsam fahren, die „flotten, aber freundlichen Alltagsradler“: Schnell unterwegs mit positiver Interaktion. Interessant ist die Gruppe der „Autofahrer auf dem Rad“, die andere Leute und nebeneinander fahrende Radler anklingeln, die bei Verzögerungen an der Ampel mit „Fahr weiter du Trottel!“ reagieren. Also mit den Unarten, die das Auto zu fördern scheint, durch die soziale Isolation im Auto, das fehlende Feedback, inexistente Meta-Kommunikation: Keine Möglichkeiten, sich zu entschuldigen.

Was ist dann dran am „Rad-Rowdie“, der medialen Klischeefigur schlechthin unter den Radlertypen?

Da handelt es sich um undifferenzierte Außenwahrnehmung. Ist jemand, der bei Rot über die Ampel fährt, ein Rowdie? Ich selbst fahre regelmäßig bei Rot – weil es Situationen gibt, wo ich bei Rot am sichersten bin! Bei Grün stellen zum Beispiel abbiegende Autos eine teuflische Gefahr dar, die bei Rot wegfällt. Wenn kein Querverkehr kommt, fahre ich. Da regen sich manche auf und ich bleibe auch manchmal stehen und erkläre: Ich kann mich nicht auf meine Sicherheit verlassen wenn’s grün ist. Ich fahre wenn ich fahren kann! Die Aussage, dass hauptsächlich so genannte Rad-Rowdies Fußgänger stören, wird natürlich von der Autofahrerfraktion liebend gern gehört, angesichts der Tatsache, welche Regeln von Auto Fahrenden nicht eingehalten werden. Dazu kommt das Bewusstsein der „Freien Fahrt für freie Bürger“ als angenommenes Recht darauf, dass mir die Gesellschaft eine Infrastruktur zur Verfügung stellt, wodurch ich überall hin mit dem Auto fahren kann.

Wie definieren Sie im Gegensatz dazu menschengerechten Verkehr, vor allem im städtischen Raum?

Autofrei. Prinzipiell als Regel Nr.1: Ohne Autos in innerstädtischen Bereichen. Darüber hinaus sollte der Verkehr auf wissenschaftlichen Fakten basierend entwickelt werden, Störungen zwischen Fuß- und Radverkehr vermieden werden. Was ja viel leichter ist, sobald nicht mehr soviel Platz für Autos verbraucht wird. In der Vergangenheit wurde in der Verkehrspolitik leider alles darauf ausgelegt, dass man ungehindert Auto fahren kann. Dieser Platz fehlt uns jetzt! Ganz zu schweigen vom ruhenden Verkehr. Irgendwo scheint geschrieben zu stehen: Das Auto ist das Maß aller Dinge. Das muss sich absolut ändern. Nicht nur wegen des Klimawandels, auch allgemein für unsere Lebensqualität!

Velosophie: Ich fahre auch bei Rot!
Homepage Ralf Risser

29 thoughts on “„Ich fahre auch bei Rot!“

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  1. Jeder fährt bei Rot. Der Eine mehr, der Andere weniger.

  2. Als Fußgänger gehe ich öfter bei Rot, als ich das als Radfahrer tue. Ich habe hier eine Kreuzung vor der Nase, wo ich bis zu 3 Ampelphasen brauchen kann, wenn ich Fußgänger bin. Da fühle ich mich gegenüber den anderen Kreuzungsnutzern benachteiligt und gehe halt auch mal bei Rot. Und wie Herr Risser ja anmerkt – Grün bietet nicht automatisch Schutz.

    Schön finde ich zwar die Zukunftsvision der autofreien Innenstadt, die ich teile. Allerdings ist das realistisch nicht machbar. Daher denke ich, dass kombinierte Anreizmodelle (Bündelung des Straßenverkehrs auf Hauptstraßen, Nutzung der anderen Straßen durch Radfahrer, Fußgänger etc.) eine gute Zwischenlösung (bis zum Ende der Energievorräte 🙂 ) sind. Auch dadurch, dass man andere Verkehrsmittel attraktiver macht, kann man den Autoverkehr reduzieren.

  3. Attraktivität ist immer relativ. Deswegen kann (und soll) man gleichzeitig auch den Autoverkehr unattraktiver machen: Ökosteuer 20 Cent rauf, Tempo 30 innerorts, Parkflächen drastisch einschränken. Schade nur, dass ca. 98% aller wahlberechtigten Deutschen dagegen wären…

  4. Schwieriges Thema, guter Artikel.
    Solang es zuviele Ampeln, und vor allem die assige Bedarfsampel gibt (Wieso muss ich an ner Kreuzung bei Rot warten, obwohl ich mit den anderen Geradeausfahrern Grün haben sollte, nur weil keiner rechtzeitig gedrückt hat?) werde ich wohl auch weiterhin situationsbezogen handeln und bei Rot fahren/gehen oder nicht. Das angesprochene Sicherheitsproblem kenne ich auch nur zu gut…
    Ansonsten auch noch ein schönes Beispiel: Eine Straße mit Bedarfsampel, wo grad kein Auto weit und breit in Sicht ist könnte man auch problemlos bei Rot überqueren. Drücken führt nur zu unnötigem warten für mich und später anrollende Autos, die dann halten müssen, wenn ich endlich grün bekommen habe (obwohl ich ja längst weg sein könnte). Auch nicht besonders umweltverträglich…

  5. Das es sicherer sein kann bei Rot zu fahren als bei Grün liegt ja daran, dass die Infrastruktur immer noch einseitig auf die Bedürfnisse der Autos ausgerichtet ist. (Immerhin gibt es mittlerweile einige wenige Ausnahmen.) Ich finde mal zu warten, weil es gerade nicht alles optimal passt, nicht generell ein Problem und es wird sich auch nie vollständig verhindern lassen. Das Problem ist, dass man als Fahrradfahrer oder Fußgänger sehr oft unnötig warten muß, weil halt alles auf die PKWs ausgerichtet ist und wenn die grüne Phase dann auch noch unsicherer ist, dann wirds absurd.

  6. „Bedarfsampeln“, wie sie Christian beschreibt, sind in Deutschland Fußgängerverarschungsanlagen, allein darauf ausgelegt, dem Pöbel zu zeigen, daß er gefälligst strammzustehen und zu warten hat.

    Wer schon mal in Großbritannien war, kennt die dortigen „Bedarfsampeln“, die eine Reaktionszeit von selten mehr als 10 Sekunden haben – d.h. es wird nach dem Knopfdruck (der „Bedarfsanmeldung“) praktisch sofort auf Grün geschaltet. Mit recht knappen Grünzeiten, aber die haben wir bei vielen getakteten (also nicht „bedarfsgesteuerten“) Ampeln in Deutschland auch.

    Bei den britischen Reaktionszeiten ist auch das Überqueren einer Straße mit Mittelinsel und erneuter „Bedarfsanmeldung“ zumutbar, ganz im Gegenteil zu den autofixierten Warteanlagen, die teilweise minutenlange Rotphasen mit unter 5-sekundigen Grünphasen für Fußgänger „ausgleichen“.

    Ein Ignorieren oder sogar wutentbranntes Beschädigen der Fußgängerverarschungsanlagen ist irgendwo nachvollziehbar.

    Hinzu kommt allerdings auch eine schleichende Verblödung der Benutzer:

    Ampeln, an denen eine Kiste mit einem Knopf hängt, sind gerade in Berlin nur selten „Bedarfsampeln“, sondern überwiegend sogenannte „Blindenampeln“. Bei etwas weniger Verblödung der Benutzer würden diese das durch die angebrachten drei schwarzen Punkte auf gelbem auch erkennen – aber praktisch jeder, der auf so eine Ampel stößt, drückt sinnlos auf deren Knopf herum und ärgert sich in diesem Falle zu Unrecht über deren Trägheit.

  7. Ich gehe und fahre mit dem Rad bei Rot wo es die Situation erlaubt und es sicher ist. Ampeln sind ausschließlich für Dosen gemacht und nicht für Menschen. Bin ich etwa ein Roboter, der sich von einem bunten Lichtlein steuern lässt? Lustig zu beobachten, wie brav Fußgänger teilweise an einer roten Ampel minutenlang ausharren obwohl weit und breit keine stinkende Dose zu sehen ist.

  8. Als Vater kriege ich bei solchen Kommentaren einfach ne Gänsehaut. Wie soll man Kindern beibringen, dass rote Ampeln beachtet werden müssen? Bitte keine Kommentare mit der Aussage: Kinder lernen das schon. Ja. Nach und nach. Ein paar lernen es nicht so schnell, aber Schwund ist immer? Sorry, nicht mit mir. Jedes Kind, das angefahren wird, weil eine Ampel nicht vorhanden ist oder nicht beachtet wird, ist ein Opfer zu viel.
    Ich muss als Erwachsener auch für Andere (speziell Kinder) Verantwortung übernehmen. Das bedeutet für mich, dass ich nicht bei Rot gehe oder fahre. Auch, wenn es unangenehm oder nervig ist.
    Und zu guter letzt: wenn es alle (Fußgänger und Radfahrer) machen, wie lange dauert es, bis sich dies bei Autofahrern durchsetzt? DANN ist eine grüne Ampel wirklich eine Gefahr. Es fängt schon beim grünen Pfeil an: er wird als grüne Ampel missverstanden…

  9. @BikeBloggerBerlin, Du sprichst ein Thema an, das mich auch bald betrifft. Noch ist meine Tochter zu klein. So einfach finde ich das Thema nicht. Kinder können Fahrgeschwindigkeiten sehr schlecht einschätzen und sind daher auf Ampeln und achtsame Abbieger angewiesen. Glücklicherweise sind Fußgänger nicht so extrem betroffen von den Gefahren der unachtsam Abbiegenden, wenngleich es auch hier Unfälle gibt.

    Auf die Frage, wie man Kindern beibringt, nicht bei Rot über die Ampel zu gehen, habe ich keine Antwort. Ich denke, dieser Zwiespalt zwischen „man soll nicht“ und einer anderen Realität besteht schon lange und die meisten Kinder warten ja doch recht brav. Und kluge Erwachsene wohl hoffentlich auch, sobald sie Kinder sehen. Bei „meiner“ speziellen Ampel werde ich auch Probleme haben, der Tochter beizubringen, warum man nicht – wie alle anderen Fußgänger – bei roter Ampel auf dem Radweg wartet. 🙂

  10. @BikeBloggerBerlin: erzähl Deinem Kind doch einfach die Wahrheit: Autos sind todbringende Maschinen, gefahren von Menschen die für diese hohen Geschwindigkeiten evolutionär nicht geschaffen sind und deshalb auf primitive Signale angewiesen sind, damit diese überhaupt noch halbwegs wahrgenommen werden können.

    Deshalb sollte man immer achtsam sein und sich von den bösen Dinos nicht fressen lassen.

    Autos fahren übrigens auch über rote Ampeln. Das sehe ich täglich mehrmals. Schon drei Mal in meinem Leben habe ich Situationen miterlebt, in denen ein Dosenfahrer beinahe in eine Gruppe Fußgänger gerast wäre die gerade ein grünes Ampelsignal bekam. Jedes Mal war es purer Zufall, dass dabei nicht ein oder mehrere Menschen zu Tode gefahren wurden.

    Wer sich also auf das bunte Lichtlein verlässt, kann auch schnell sein Leben verlieren. Achtsamkeit vor den Todesmaschinen ist also immer und überall angesagt.

  11. Außerdem sollte man das ganze Thema mal aus einem anderen, logischen Blickwinkel betrachten: das höchste Gut des Menschen ist seine Gesundheit und seine Nachkommen. Autos sind gefährlich durch ihre Masse und Geschwindigkeit (und noch etliche andere Dinge). Wenn man also Menschen und Autos auf einen engen Raum zusammentut, was sollte dann die Regel sein (und war sie auch lange Zeit zu Anfangszeiten des Automobils)? Die Regel sollte sein, dass die gefährlichen Maschinen ihre Verhaltensweise den Menschen anpassen um sie nicht zu gefährden. Was ist stattdessen heutzutage die Regel? Freie Fahrt für rasende Bürger. Und alle anderen haben sich dem Automobilitätswahn und dem asozialen Verhalten der Autofahrer unterzuordnen. Verkehrte Welt, nicht wahr?

  12. @berlinradler: da steht dir noch einiges bevor. Wenn du deine pädagogischen Fähigkeiten testen willst, stell dich in der Schönhauser Allee mal am Samstag mit Kind an eine Ampel und warte bei rot. Du wirst nahezu der einzige sein, der dort steht! Natürlich bist du für dein Kind die erste Autorität, derjenige, der am glaubwürdigsten ist. Aber in solchen Situationen kommt man ins Grübeln, was stärker wirkt: das Vorbild eines einzelnen sehr nahen Menschen oder das vieler Anderer?

  13. @Heinzer: Ein Radfahrer kann auch töten. Wenn Du es nicht glaubst, dann stell Dich einfach an eine Ampel die gerne von Radfahrern überfahren wird, weil es ja vermeintlich sicher ist. Zum Beispiel auf dem Columbiadamm, an der Urbanstraße oder auch der Hasenheide. Dann konzentrierst Du Dich nur auf die Fußgängerampel und gehst einfach los. Viel Spaß dabei.

    Und jetzt stell Dir vor, Du schiebst Dein Kind vor Dir her und das wird von einem Radfahrer mit 35 Sachen umgefahren.

    Sorry, aber so unreflektiertes Gequatsche von wegen „Autofahrer sind keine Menschen, aber Radfahrer sind Engel“ geht mir mehr auf den Sack als zehn rechtsabbiegende tiefergelegte 3er BMW ohne Rückspiegel.

  14. @ozelot So, wie viele getötete und schwer verletzte Fußgänger gibt es denn jedes Jahr durch rasende Radfahrer? Wenn ich mal von einem schweren Unfall innerhalb von 5 Jahren lese, ist das schon viel. Im übrigen gibt es nicht „den Radfahrer“ oder „den Fußgänger“, sondern nur Menschen in verschiedenen Rollen. Und ein asozialer Arsch auf dem Rad ist auch nicht besser wenn er Auto fährt und drängelt sich vor, wenn er zu Fuß unterwegs ist. Zwischen Radfahrern und Fußgänger gibt es aber etwa wichtiges, was dem Autofahrer fehlt: direkten Kontakt. Man kann sich anschauen, miteinander sprechen, kommunizieren. Der Dosenfahrer sitzt in seiner Kabine und ist schon froh wenn er die Blechdose vor sich erkennen kann.

  15. @Heinzer: Du fährst wohl nicht Auto, was? Miete Dir doch mal eins für einen Nachmittag, und fahr so zwischen 15 und 17 Uhr In Kreuzberg durch die Gegend. Da lernt man, defensiv zu fahren. Und es hilft einem auch als Radfahrer weiter, wenn man Autofahrer einschätzen will.

    Und was den direkten Kontakt angeht: Der Radfahrer, der beinahe meinen Kinderwagen an der grünen Fußgängerampel zusammengefahren hat, hat sich nicht mal umgedreht als ich ihm hinterhergerufen habe. Im besten Fall kriegt man noch nen Stinkefinger zu sehen.

  16. @ozelot wieso sollte ich zum Spass mit einer Dreckschleuder die Umwelt verpesten? Ich bin nicht Behindert und muss mich deshalb nicht in einer Dose bewegen. Wenn ich 80 bin und nicht mehr laufen kann, denke ich vielleicht darüber nach mich in einen Rollstuhl zu setzen.

  17. @Heinzer: Und das ist genau die ignorante Haltung, die dazu führt, daß Rad- und Autofahrer sich auf unseren Straßen so bekriegen. Mit etwas mehr Verständnis für die jeweils andere Seite wäre schon viel gewonnen, und der Straßenverkehr sicherer, vor allem aber auch angenehmer.

  18. @BikeBloggerBerlin, und was soll ich dazu jetzt schreiben? Ich kann an diesen Realitäten ja nichts ändern. Schon gar nicht bin ich verantwortlich dafür. Ein System, das Kindern überhaupt solche Gefahren aufbürdet, ist ja von Grundauf schon falsch.

    Die von ozelot angesprochenen durchfahrenden Radfahrer, die in 10cm Abstand an bei grün losgehenden Fußgängern durchhuschen, sind in meinen Augen auch ein Ärgernis und eine Gefahr. Besonders stört mich aber die Gehwegfahrerei. Ich denke, keinem ist geholfen, wenn Radfahrer alles auf die Autofahrer schieben. Andersherum aber eben auch nicht, gängige Meinung von Stammtisch und Presse ist ja, dass Autofahrer sich besser benehmen als Radfahrer. Das ist einerseits unzutreffend, andererseits wenig hilfreich bei der Bekämpfung von Unfallursachen.

    Die Wahrheit liegt in der Mitte 🙂

  19. @Berlinradler: genau so sehe ich das auch. Stammtisch und Presse wird eben immer noch von Autofahrern dominiert. Wer ausschließlich mit dem Auto unterwegs ist, sieht eben nur die bösen Radler. Wer hingegen nur mit dem Rad unterwegs ist, sieht meist nur böse Autofahrer. Nur wer sich in beide Seiten hineinversetzen kann, ist zu einem objektiveren Urteil fähig.

    Wir leben nun mal in einer mobilen Gesellschaft. Nicht jeder, der „nicht behindert“ ist (wie Heinzer es ausdrückt) kann auch auf das Auto verzichten. Radfahrer, Autofahrer und Fußgänger müssen sich die Straße irgendwie teilen. In Berlin ist das bei weitem noch nicht perfekt gelöst, aber es gibt Ansätze. Wir sollten unsere Energie besser darauf verwenden diesen Prozess voran zu treiben, anstatt immer die anderen zu beschuldigen.

  20. @ozelot was hatte denn Mobilität mit Autofahren zu tun? Wenn Du Dir mal die Definition von „Mobilität“ anschaust, dann wirst Du feststellen das damit nicht nur Fahrten mit dem Auto gemeint sind. Wie man nachlesen kann, hat sich die Anzahl der Wege (etwa 3,5) die ein Mensch jeden Tag macht global seit hundert Jahren nicht geändert. Auch nicht durch das Auto. Es werden lediglich weitere Strecken zurückgelegt, um exakt die selben Bedürfnisse zu befriedigen. Außerdem: Mobilität geht nicht über alles. Oder steht das im Paragraph 1 des Grundgesetz?

    Autofahren hat in den Großstädten (nicht unbedingt auf dem Land) zum allergrößten Teil etwas mit Bequemlichkeit zu tun. 80% aller Fahrten in der Stadt sind unter 6 Kilometer lang – meist Pendelfahrten zur/von der Arbeit – die problemlos auch mit dem Rad, öffentlichen Verkehrsmittel oder sogar in machen Fällen zu Fuß erledigt werden könnten… wenn es nicht so bequem wäre sich ins warme, trockene, schallisolierte Auto zu setzen und die 2.5 Kilometer zum Büro zu fahren.

    Wenn diese Bequemlichkeit aufhören würde, wäre den Menschen in den Städten schon sehr gedient -> Stichwort Lebensqualität. Denn Autos verursachen Lärm, Gestank, Co2, Feinstaub, gefährden Menschenleben und belegen 23 Stunden am Tag wertvolle öffentliche Fläche die allen anderen Menschen (die übrigens die Mehrheit sind) fehlt.

    Die Bequemlichkeit einiger Menschen schadet also massiv der Umwelt (und zwar weltweit) und den Menschen unmittelbar vor Ort. Und dafür soll ich Verständnis haben? Für die Faulheit der Autofahrer die mich jeden Tag als Fußgänger und Radfahrer gefährdet? Wieso soll ich nachweislich krebserregende Abgase einatmen, damit sich jemand bequem von A nach B bewegen kann?

    Lies mal das Buch „Virus Auto“ von Prof. Knoflacher. Danach wirst Du etwas anders über dieses Thema denken.

  21. @heinzer
    Mobilität hat sehr viel mit Autofahren zu tun. Nicht jeder Arbeitsweg ist nur 6 km lang. Schon gar nicht in Berlin. Und nicht jeder Arbeitgeber toleriert es, wenn man morgens nach 10 km Fahrradfahren verschwitzt am Arbeitsplatz sitzt (ganz zu schweigen von den Kollegen). Noch schwieriger wird es, wenn man zu Kunden oder sonstigen auswärtigen Terminen muß, da hat man oft nicht mal eine Möglichkeit, sich umzuziehen.

    Ich sehe den Punkt, daß Autos in der Stadt extrem nerven. Und wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden, würde ich sofort komplett aufs Auto verzichten (im Moment nutze ich Auto, Fahrrad und ÖPNV zu ungefähr gleichen Teilen). Aber das ist in unserer Gesellschaft einfach an der Realität vorbei. Und das wird sich auch frühestens ändern, wenn der Liter Sprit 5 € kostet. Allerdings werden wir dann ganz andere Probleme haben, denn die Lastwagen, auf denen unsere Fahrradkomponenten geliefert werden, fahren schließlich auch mit Benzin, um das PRoblem nur am Rand anzuschneiden.

  22. Also das mit der Notwendigkeit des Autos kann ich nur bedingt nachvollziehen. Auf dem Lande mag das zur Zeit so sein, wobei man sich da keinen Gefallen tut (z.B. mit 200 Verkehrstoten jährlich allein in Brandenburg). In der Stadt kann ich ja nur aus meinem Umfeld berichten. Da sind die meisten Autofahrten (von Kollegen, Freunden) nicht notwendig. Klar, es gibt tote Inseln, also Bereiche, die schlecht an den ÖPNV angeschlossen sind. So viele sind das aber nicht.

    Das Auto ist in der Stadt eine Fehlkonstruktion. Selbst wenn man wirklich mal den vielgenannten Kasten Bier transportieren will, benötigt man dafür einfach nicht eine Tonne Stahl und einen technisch veralteten, übertrieben starken Verbrennungsmotor. Für die Bewegung eines Menschen, der vielleicht 70 kg wiegt, sieht das Verhältnis zum Fahrzeuggewicht noch schlechter aus. Wer ohne körperliche Anstrengung im Stadtverkehr unterwegs sein möchte, könnte das – ein entsprechendes Angebot vorausgesetzt – mit wenige hundert Kilo schweren Fahrzeugen. Dass die fiktiven 5 Euro für Benzin als teuer empfunden werden liegt ja auch am extremen Verbrauch der Fahrzeuge. Die Menschen sehen nur den Benzinpreis, nicht aber den Verbrauch.

    Das Auto in der Stadt ist ja nicht nur nervig. Es schafft zudem unnötig gefährliche Situationen. Sicher ist der bei Rot gehende Fußgänger nach herkömmlichem Verständnis an einem Unfall Schuld. Das liegt aber auch an der Legalisierung hohen Fahrzeuggewichts und für den Stadtverkehr übertriebener Geschwindigkeiten. Ein intelligentes Verkehrssystem würde die Fehlerhaftigkeit seiner Teilnehmer mit einberechnen und deren Fehler korrigieren. Von diesem Selbst-Schuld-Denken müssten wir uns einfach mal befreien. Der Mensch macht immer Fehler. Im Beruf, im sozialen Bereich und eben auch im Straßenverkehr. Der Straßenverkehr muss endlich darauf eingestellt werden. Zur Zeit ist es doch so, dass jeder, der sich fürs Auto entscheidet, damit anderen Menschen große Gefahren aufbürdet. Das ist ungerecht.

    Auch von der sozialen Seite her muss man das mal betrachten. Ein Kind oder ein Mensch, der aus gesundheitlichen Gründen nicht gut reagieren kann, bekommt ein System vorgesetzt, in dem es auf Sekunden ankommt. Zu Recht haben Eltern Angst, ihre Kinder alleine zur Schule zu schicken. Die Radfahrer müssen sich vor Autofahrern rechtfertigen, warum sie ihnen „ihren Raum“ wegnehmen oder eben vor Fußgängern, die sich gefährdet fühlen. Währenddessen kann jeder Autobesitzer ganz normal 24 Stunden am Tag einen riesigen Raumanteil der Stadt kostenlos zum Parken nutzen – und erschafft damit überhaupt erst die Platzprobleme.

    Wer sich nicht ständig rechtfertigen und nicht ständig angepöbelt werden will, nutzt am Ende das Auto. Und er wird unterstützt – von einer Verkehrsplanung, die ihm absoluten Vorrang gewährt und vor einer offenen Benachteiligung anderer nicht zurückschreckt.

    Dazu kommt das wirtschaftliche Risiko. Wieso denkt man überhaupt, dass das Benzin jemals 5 Euro kosten könnte? Weil man die Rohstoffe verschwendet, als wenn es kein Morgen gäbe. Sich mit Gebilden wie dem Elektroauto, dessen Energie ja auch irgendwo herkommen muss, vorgaukelt, dass das ewig so weitergehen kann. Politisch von einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes redet, aber nicht ma im Ansatz darauf hinarbeitet. Die Folgen einer Energiekrise bedeuten nicht (nur), dass man nichts mehr im Laden bekommt und bisschen mehr zu Fuß gehen muss. Sie bedeuten auch Sparen beim Heizen und schlimmstenfalls sogar Hunger.

    Das komische ist, dass insbesondere die Themen Klimawandel, Energieknappheit und Sicherheit vielen Leuten, mit denen ich spreche, einleuchten. Dennoch können sie ihr eigenes Verhalten nicht ändern. Das Auto ist ein Suchtmittel. Wirtschaftliche Aspekte spielen keine Rolle – wenn die Autofahrt im Einzelfall teurer ist als der ÖPNV, was durch Parkbewirtschaftung ja durchaus erreicht werden kann, wird trotzdem nicht umgestiegen.

  23. @berlinradler so ein langer Artikel! Chapeau!

    @ozelot wenn man sich beweget, schwitzt man. Wenn es regnet, wird man nass. Das sind seit Millionen von Jahren gültige Naturgesetze. Und seit ein paar Jahren toleriert es der Chef nicht mehr, wenn man verschwitzt zur Arbeit kommt, weil man vielleicht 10 Kilometer mit dem Rad anreist? Wie krank ist denn diese Denkweise? Außerdem: Betriebe mit vielen radfahrenden Arbeiternehmern haben meistens auch eine entsprechende Infrastruktur: Duschen und ordentliche, überdachte Stellplätze für die Räder, Spints zum umziehen. Man fährt mit Radklamotten zur Arbeit und zieht sich dann um (Anzug, Arbeitskleidung). Letztlich sind viele dieser Situationen durch intelligenz und kreativität lösbar. Und auch zum Kunden kann man mit dem Rad fahren. Habe ich jahrelang selbst praktiziert. Aber die Liste der Begründungen, warum man mit dem Auto zur Arbeit bzw. zum Kunden fahren muss ist unendlich. Ich weiss wovon ich spreche. Ich kenne sie alle.

  24. berlinradler, auch von mir ein chapeau. Du sprichst mir aus dem Herzen!

  25. Leute, versteht mich nicht falsch, wenn ich den Autoverkehr komplett abschaffen könnte würde ich es sofort tun. Das Automobil ist eine Sackgasse; das von berlinradler angesprochene, mehr als schiefe Verhältnis Körper- zu Fahrzeuggewicht spricht allein schon für sich, dazu der sich selbst begründende Platzbedarf, von der Verschwendung fossiler Rohstoffe ganz zu schweigen.

    Aber ich kann es nicht ändern. Man kann hier noch so lange alle Nachteile eines von Autos dominierten Straßenverkehrs aufzählen, das bringt überhaupt gar nichts. Was man bräuchte, sind konstruktive Ideen.

    Aber auch die beste Idee, wie man den Autoverkehr zurückdrängen kann bringt nix, wenn man dabei auf Staatshilfe angewiesen ist. Die Autolobby in D ist stärker als die Radlobby jemals werden kann.

    Die Chancen stehen auch denkbar schlecht, etwas ändern zu können, denn da sind noch zwei Vorteile des Autos, die sich einfach nicht wegidealisieren lassen: Bequemlichkeit und Sicherheit (für den Autofahrer). So unfair es ist: Als Radfahrer ist man nun mal den Autofahrern in diesen Punkten unterlegen. Das ist die Realität, und die ist in den seltensten Fällen fair.

    Natürlich kann man jetzt Lager bilden und die Autofahrer verteufeln. Und das geschieht ja auch zur Genüge in diversen Foren. Aber dann braucht man auch keine Einsicht von Seiten der Autofahrer erwarten.

    Oder man akzeptiert die Gegebenheiten wie sie sind und überlegt sich, wie man das Beste draus macht. Anstatt zu propagieren sich über rote Ampeln einfach hinweg zu setzen, sollte man für radfahrerfreundliche Ampelphasen kämpfen. Anstatt sich über scheinbar schikanöse Polizeikontrollen zu beschweren, sollte man Engüberholer und rücksichtlose Rechtsabbieger konsequent anzeigen, und Fahrradwegzuparker kostenpflichtung vom Ordnungsamt umsetzen lassen.

    Man kann gegen das System kämpfen (auch wenn es oft nur zum meckern reicht) und verlieren, oder es sich zu eigen machen.

  26. Bezüglich der Chancen der Maximalforderung, also der autofreien Stadt, sehe ich das genauso. Zwischenstufen werden hier durchaus diskutiert, natürlich bestehen unterschiedliche Meinungen.

    Meiner Meinung nach kann man aus den Unfallstatistiken die Folgerung ziehen, dass Mischverkehr von Auto und Fahrrad nicht ausreichend gut funktioniert. Insofern denke ich, echte Fahrradstraßen ohne Autoverkehr wären ein Anfang. Problem dabei: Jede kleine Straße wird gebraucht zum Parken. Insofern bleibt schon so etwas eine Illusion. Jede kleine Nebenstraße wird weiterhin hauptsächlich zum Parken und der verbleibende enge Streifen zum Fahren genutzt werden.

    Realistisch kann man also nur ganz kleine Brötchen backen. Hier und da einen Radstreifen, die eine oder andere ausgeschilderte Route dort verbessert, wo man den Autoverkehr nicht zu sehr behelligt. Gefahrenpunkte bleiben so

    Und Nahüberholer Anzeigen – naja. Wenn im Radarforum mal wieder jemand im weinerlichen Ton schreibt, dass er wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt werden soll, ist der erste Tipp immer gleich: Abstreiten, dass man selbst gefahren ist. Abgesehen davon steht doch bei einer privaten Anzeige Aussage gegen Aussage – ich kann mir nicht vorstellen, dass das was bringt. Von Leuten, die mit Nummernschildlisten von Falschparkern zum Polizeirevier latschen, hält man (zurecht) auch landläufig nicht sehr viel – mir wär das schlichtweg zu dämlich.

  27. berlinradler, volle zustimmung. Deutschland einig Autoland. Wir sind nur die Ausnahmen von der Regel.

    Heinzer, genau so oder ähnlich hätte ich das auch geschrieben. Wer mit dem Rad fahren möchte, der findet auch Wege. Wer nicht möchte, der wird immer Gründe finden. Rational ist das nicht erklärbar.

  28. Ob der Nahüberholer verknackt wird oder nicht, ist doch zweitrangig. Nur durch Anzeigen wird das Problem der Polizei und vor allem auch den Fahrern bewußt. Auf jeden Fall bringt es nix, in Fahrradforen immer über die bösen Engüberholer zu jammern, da lesen die nämlich bestimmt nicht.

    Um einen zugeparkten Radweg freizubekommen muß man keine Nummernschildliste führen, sondern es reicht, das Ordnungsamt darauf aufmerksam zu machen. Ein Anruf genügt.

    Nebenbei bemerkt wäre das mir selbst auch zu doof, außer ich bin wirklich scheiße drauf. Aber genau deswegen beschwere ich mich auch nicht: ich könnte ja was dagegen tun.

  29. Klar ist: Ein einzelner kann das Verkehrssystem nicht radikal verändern. Nicht durch Rumgejammere über böse Verkehrsteilnehmer – durchaus kein Alleinstellungsmerkmal von Radfahrern – auch nicht durch Anzeigen. Man kann vielleicht seinem Bezirk Tipps über Radfahrerfallen bzw. Verbesserungsvorschläge geben. Ich hab das paar Mal gemacht, allerdings ohne das Resultat einer Änderung.

    Ich verstehe das, was hier geschrieben wird, eher als ein politisches Gespräch. Dass das nicht die Welt ändert, ist doch klar. Der zugrundeliegende Artikel warf ja die Frage auf, inwiefern kleine Regelübertretungen moralisch legitim sind. Klar bekennt sich dann der eine zu Regelübertretungen, der nächste outet sich als strengster Gesetzeinhalter und der Dritte weist darauf hin, dass auch andere Fehler machen.

    Meine Intention ist einfach die Information. Aus dem Internet habe ich schon viele Informationen gezogen. Die Probleme der Radwege, die unklare Schutzwirkung der Helme, viele STVO-Details und so weiter. So ein Blog ist eine gute Quelle für den Bezug von Informationen und Meinungen. Diese Informationen kann man wiederum für Diskussionen an anderer Stelle benutzen. Die typischen Zeitungsartikel kann man mit Onlinekommentaren meist recht schnell ad absurdum stellen. Der gerne von Medien und Polizei verbreiteten Behauptung, Radfahrer wären die schlimmsten Verkehrsteilnehmer, kann man mit entsprechenden Zahlen meist sehr einfach widersprechen – wer das dann liest, wird (im Idealfall) zumindest darüber nachdenken, statt einer Behauptung blind zu vertrauen.

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