Und wenns mal schiefgeht?

Die allgemeine Radwegbenutzungspflicht wurde im Jahre 1997 aufgehoben, ab diesem Zeitpunkt sollten Benutzungspflichten nur noch im Falle besonderer Gefahren angeordnet werden. Ist keine Benutzungspflicht angeordnet, so haben Radfahrer nun freie Wahl zwischen Radweg und Fahrbahn. Dieses Recht wird Radfahrern von anderen Verkehrsteilnehmern gerne streitig gemacht. Selbst der Berliner Polizei ist dies bekannt, und so schreibt sie:

Leider erreichen uns auch noch nach über 10 Jahren nach Aufhebung der generellen Benutzungspflicht immer wieder Beschwerden von Radfahrern, die von Autofahrern zur Benutzung der Radwege aufgefordert werden, obwohl die Benutzungspflicht dort nicht mehr besteht. Die „Belehrungen“ beschränken sich manchmal nicht nur auf Worte, sondern schließen auch aggressives Hupen und sogar Gefährdungen der rechtmäßig auf der Fahrbahn fahrenden Radfahrer durch zu dichtes Vorbeifahren und Abklemmen am Fahrbahnrand ein.

Einen Einfluss auf die alljährlichen Schwerpunktkontrollen Radverkehr hat dies freilich nicht, diese beschränken sich im Wesentlichen auf die Ampelbeachtung und den technischen Zustand des Fahrrads. Schlimmer noch, selbst manche Polizisten gehen immer noch von einer allgemeinen Benutzungspflicht aus und ermahnen korrekt fahrende Radfahrer.

In der Fahrradzukunft vom 2.6.2006 fand sich ein Artikel von Dr. Basler, der auf seinem Arbeitsweg 5,5 km Strecke mit und 3,5 km Strecke ohne Radwege vorfindet, und die Radwege mangels Benutzungspflicht nicht nutzte. Zwischen dem 14.5.2004 und 13.5.2005 fuhr er im Berliner Stadtverkehr eine Strecke von etwa 3186 km. Dabei wurde er in Zusammenhang mit der Nichtbenutzung von Radwegen 143x angehupt und 44x abgedrängt.

Auch in den Kommentaren hier in der Rad-Spannerei finden sich immer wieder abenteuerliche Schilderungen, was einem so alles passieren kann, wenn man einen Radweg nicht benutzt. Mit durchgedrückter Hupe hinterherfahren oder eben mittels riskanter – absichtlicher – Manöver zeigen, wie „unsicher“ es auf der Fahrbahn ist.

In diesem Zusammenhang habe ich die These aufgestellt, dass es sich insbesondere beim absichtlichen Abdrängen nicht mehr um Verkehrsverstöße, sondern um körperliche Gewalt – also Straftaten – handelt, bei der das Auto als Waffe missbraucht wird. Nur scheint das unter der gesellschaftlichen Wahrnehmungsschwelle zu liegen. Wird ein Fahrgast in der Bahn mit dem Messer bedroht, findet diese Schlagzeile Eingang in alle Nachrichten. Wird ein Radfahrer von der Fahrbahn abgedrängt, so kann er froh sein, wenn er von der Polizei überhaupt ernstgenommen wird, eine Schlagzeile wird daraus nicht.

Analoge Beobachtungen mache ich regelmäßig mit Fußgängern, die die Fahrbahn queren – entweder an einer Stelle, wo sie es vermeintlich nicht dürfen, bei roter Ampel oder in sonstiger Weise, die dem Verkehrsverständnis widersprechen. Insbesondere wer bei roter Ampel über die Kreuzung geht, darf sich nicht auf eine Reaktion anderer Verkehrsteilnehmer verlassen – nicht selten wird noch extra beschleunigt, um es dem Regelbrecher so richtig zu zeigen.

Eine in meinen Augen naheliegende Frage findet scheinbar keinen Eingang in die Medien oder Unfallstatistiken: Was, wenns mal schiefgeht? Also was ist, wenn ein absichtlich Abgedrängter so ungünstig stürzt, dass er sich schwer verletzt oder gar stirbt? Es macht doch einen erheblichen Unterschied, ob jemand versehentlich übersehen und deshalb angefahren wird (Unfall) oder absichtlich gefährdet und dabei angefahren wird (Straftat). Man wird davon ausgehen müssen, dass ein Teil der in den Unfallstatistiken auftauchenden „Unfälle“ eher Resultate unbeherrschter Wutanfälle sind, die durch Bremsen oder Ausweichen hätten verhindert werden können. Eine Ausnahme gibt es natürlich – fingierte Unfälle mit Sachschäden zu Ungunsten von Versicherungen sind ein Thema, das es ab und zu in die öffentliche Wahrnehmung schafft.

Ist das Unglück erst einmal geschehen, so wird schwer herauszufinden sein, ob es sich um einen Unfall oder um einen Angriff handelte. Der Verursacher wird natürlich nicht zugeben, jemanden absichtlich angefahren zu haben – aufgrund der hohen Toleranz gegenüber Verkehrsunfällen wird er sich nicht einmal dieser Fragestellung ausgesetzt sehen.

Mir ist klar, dass die Dunkelziffer schwer herauszufinden sein wird, dennoch möchte ich mit meinen Gedanken zu einer Diskussion anregen. Wie sind Eure Erfahrungen – hattet Ihr mal einen Unfall, der offenbar nicht ganz unbeabsichtigt war? Was sagt die Polizei, wenn Ihr Radwege nicht benutzt? Was sagen andere Verkehrsteilnehmer? Bessert sich die Lage?

Das perfekte Verbrechen

Wie begeht man das perfekte Verbrechen? Ganz einfach: Man nutzt eine Tatwaffe, die fast immer dafür sorgt, dass man allenfalls wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt wird.

In einem Beitrag in de.rec.fahrrad ist das beschrieben. Ein Radfahrer fuhr in Berlin auf der Fahrbahn  der Tiergartenstraße aus Richtung Potsdamer Platz kommend in Richtung Hofjägerallee. Offenbar ärgerte das einen Autofahrer so sehr, dass er ihn erst nah überholte und dann ausbremste. Da der Autofahrer sein Manöver nach der nächsten Ampelkreuzung wiederholte und die Beifahrerin auf einen angeblich vorhandenen Radweg hinwies, ist nicht von einem Versehen, sondern von einer absichtlichen Handlung auszugehen. Der Radfahrer erstattete Anzeige, die zuständige Behörde (nicht genauer genannt) erkannte aber lediglich eine Ordnungswidrigkeit.

Die Tatbeschreibung wirft die Frage auf, wie viele tätliche Angriffe mit dem Auto zu Unfällen führen und letztendlich nur als solche, nicht aber als Straftaten behandelt werden? Selbst der Autofahrer, der auf einen Fußgänger zurast, weil dieser bei Rot über die Ampel geht, ist in Wirklichkeit ein Krimineller. In der Polizeimeldung heisst es dann lediglich, dass der Fußgänger nicht auf den Verkehr geachtet hat.