Lieber Fahrer des silbernen Mercedes,
am Dienstag vor einer Woche warst du zur gleichen Zeit wie ich auf der Hardenbergstraße unterwegs und überholtest mich kurz nach dem Bahnhof Zoo völlig korrekt und unauffällig auf dem linken Fahrstreifen und wechseltest dann auf den rechten.
Durch die derzeitige Baustelle stehen auf fast der gesamten Länge der Straße nur zwei recht schmale Fahrstreifen zur Verfügung. Daher ist der Verkehr teilweise recht dicht und der motorisierte Verkehr kommt auch nicht viel schneller voran als Radfahrer. An der Fußgängerampel am Steinplatz vor der Uni-Mensa hatte ich dich immer noch nur wenige Meter vor mir.
Wenige Meter vor dir war eine Radfahrerin unterwegs, regelkonform auf dem rechten Fahrstreifen und, so wie ihr Autofahrer es immer sehen wollt, so nah, wie eben zumutbar am rechten Fahrbahnrand. Es war dir aber nicht Wert, mehr als eine gute Reifenbreite auf den linken Fahrstreifen auszuweichen, als du sie überholtest und du machtest nur einen kriminell engen Bogen um das Fahrrad. Warum, ist mir nicht klar. Die Lücke auf dem linken Fahrstreifen war da, bei der geringen Breite hätte es sonst nämlich nicht mal für den kleinen Bogen gereicht. Außerdem hattest du nach nur wenigen Sekunden bereits das Ende der Baustelle erreicht, wo du wieder deinen eigenen Fahrstreifen bekommen hast, während die Radfahrerin weiter auf der Busspur fuhr.
Da ich dich an der Ampel am Ernst-Reuter-Platz auch wieder eingeholt habe, sprach ich dich auf dieses Fehlverhalten an. Was du da von dir gegeben hast, das schlägt dem Fass nun wirklich den Boden aus: Ein selbstmörderisches Verhalten hast du der Radfahrerin vorgeworfen, und sie hätte doch rechts sooo viel Platz.
Bitte hallo? Rechts von ihr war nur der Gehweg! Sollen wir Radfahrer nun Ordnungswidrigkeiten begehen, damit ihr Autofahrer ungestört fahren könnt? Da ich nicht zu den Radfahrern gehöre, die sowas in Eigenregie sanktionieren, beispielsweise mit einem heftigen Tritt in den Kotflügel, werde ich das Punkteverteilen aber nun der Polizei überlassen.
Nur zur Erinnerung: Diese Tage wurde eine Radfahrerin in der Heerstraße bei einem zu engen Überholmanöver über den Haufen gefahren und verstarb an ihren Verletzungen. Etwas länger her ist ein solcher Vorfall in Zehlendorf, bei dem ein Rentner vom Rad geworfen wurde und ebenfalls verstarb. Die vorgeschriebenen 1,5 Meter Seitenabstand haben schon ihren Sinn!
Und, liebe Autofahrer, seid bitte nicht böse, wenn so mancher Radfahrer eben doch nicht hart am rechten Rand, sondern eher in der Mitte des Fahrstreifens fährt, um euch einen vollständigen Spurwechsel mindestens mal deutlich nahezulegen.
Gastbeitrag von KS
mit welcher hardware wurden die hervorragenden Bilder gemacht?
Exekutive einschalten kann ich empfehlen. Letzte Wo wurde ein Taxler zu 400€ verurteilt, weil er meinte mir auf der Brunnenstr durch dicht auffahren, hupen und knapp überholen zeigen zu müssen, dass er mich gern auf dem nicht benutzungspflichtigen Radweg sehen würde. Allerdings erst exakt 1J nach dem Vorfall. Gedächtnisprotokoll mit Fokus auf Geschehen und vor allem Identifizierung des Täters hilft sehr.
@Nebsler. Wow, das hätte ich nicht gedacht. Steht da nicht Aussage gegen Aussage oder hattest Du noch weitere Zeugen? Und bedeutet das nicht unglaublich viel Aufwand: Formulare ausfüllen, Aussagen machen, womöglich Gerichtstermin etc.? So stell ich mir das jedenfalls vor und habe deshalb nach solchen Vorkommnissen bisher nichts unternommen.
Ich lebe in der falschen Stadt 🙁
Manchmal wüsche ich mir eine Art Isharegossip mit Kennzeichenoffenlegung.
Die Frau, die mir linksseitig entgegenkam, weil sie fälschlicherweise annahm, ich wäre schon in der Einbahnstraße, hätte den Pranger auch verdient. Der Rechthaber in mir leidet jedenfalls, wenn jemand aus seinem geschützten Kasten heraus eine Behauptung herumschreit und dann abhaut, bevor man ihm die Situation erklären konnte 🙂
Gute Initiative, das mit der Anzeige. Ich hab das bisher nie durchgezogen.
Habe das Foto mal gedruckt und vermessen (ich kenne Spurweite + Reifenbreite recht genau) und komme auf einen Seitenabstand von 67 cm (ca. +/- 5 cm), das ist also nur die Hälfte von dem, was uns aus Sicherheitsgründen zusteht. Man sollte eine gerichtsfeste Dokumentation und Bildauswertung entwickeln und das Verfahren (Anzeigen etc.) in großer Zahl durchziehen. Ich denke, knapp überholt zu werden ist ein Erlebnis, das viele potenzielle Radfahrer(innen) davon abhält, ihr Verkehrsmittel häufiger zu verwenden. Oder sie fahren auf Gehwegen, die dafür definitiv zu schmal sind.
@ Neuköllner
Ich glaube, Du stellst Dir das sehr richtig vor. All die täglichen
Rechtsverletzungen, die einem durch Autoisten widerfahren, zu verfolgen,
wäre ein Fulltime-Job. Und wenn man es dann doch mal macht, hört man
es richtig zischen, wenn der Tropfen auf den heißen Stein trifft. Deswegen
machen ja auch die paar Männeken von der Fahrradstaffel einen großen Bogen z.B. um die Erfassung und Verfolgung von Abstandssünden.
Und man braucht ja noch mehr Zeit für den Streit mit Behörden und Institutionen.Seit Dezember streite ich mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung via Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses über eine gefährliche Verkehrsführung am Goerdeler Damm. Da kommen
schnell mal ein paar Din A 4- Seiten zusammen. Es bleibt lediglich
die Erfahrung, dass ich mich genauso gut mit einem Sack Kartoffeln unterhalten könnte und die Erkenntnis, dass diese Verwaltung auch das
Parlament schamlos belügt. Da beschwere ich mich beim RBB, dass
der Lichtenberger Fahrradtote als 2tes Todesppfer in diesem Jahr vermeldet wurde, obwohl doch selbst die Polizei bereits von 3 toten Radlern berichtet hat. Nur um mir sagen lassen zu müssen, dass es sich bei der Frau , die auf der Nebenfahrbahn der Heerstraße ermordet wurde, ja eigentlich nicht um einen Fahrradunfall handelte, weil die Frau mit
einem E-Bike gefahren ist. Da wird gelogen, getäuscht und getrickst, dass die Schwarte kracht. Angesichts der Tragik solcher Ereignisse halte ich solcherlei Spitzfindigkeiten für absolut unpassend. Das ist ungefähr so, als
würde man dem heute in allen Medien in Erinnerung gerufenen Absturz der
German Wings-Maschine die Klassifizierung als Flugunfall verweigern, weil ja schließlich der Co-Pilot planmäßig gelandet ist. An allen Ecken und Kanten unserer Stadt werden wir Radfahrer fahrlässig oder vorsätzlich
vermeidbaren Gefahren ausgesetzt. Das gleicht einem Gesellschaftsspiel, an dem sich alle, von Autofahrern über Politik und Verwaltung bis hin zu den meisten der Massenmedien freudvoll beteiligen.
Heute kam die Meldung im Tagesspiegel, dass der Unfall in der Heerstr. (Nebenfahrbahn) doch ein Fahrradunfall ist. Es war doch ein Pedelec und kein S-Pedelec. Am Pedelec ist kein Kennzeichen montiert, von daher kann man sich nur wundern, warum die Polizei zunächst von einem S-Pedelec ausgegangen ist.
> Police in Tennessee are using a range-finding ultrasound unit to measure
> the distance between their bicycle and passing cars
@Komfortradler, nach dem damaligen Stand handelte es sich aber nunmal um ein S-Pedelec, und das ist kein Fahrrad. U.a. bräuchte man dafür einen Mofafüherschein, Kennzeichen und Haftpflichtversicherung, darf Radwege und für Radfahrer ausnahmsweise freigegebene Straßen und Spuren nicht befahre, müsste einen echten Helm tragen (m.E. kein Fahrradhelm) etc. Auch, wenn es nicht so wie diese fahrenden Ohrenbetäuber aussieht, hat es mehr mit einem Mofa gemein als mit einem Fahrrad, daher fand ich die Einordnung nach dem derzeitigen Stand auch richtig. Dass die Polizei Pedelec und S-Pedelec offenbar nicht auseinanderhalten konnte, obwohl allein schon das fehlende Versicherungskennzeichen ein deutliches Merkmal gewesen wäre, wirft natürlich mal wieder Fragen auf – inzwischen hat sie das ja revidiert.
@kl-ing möchte ich beipflichten, ich denke, dass der weit verbreitete mangelnde Überholabstand einen erheblichen Anteil am verbreiteten Fehlverhalten von Radfahrern durch Vermeidungsverhalten hat – u.a. das zewanghafte Ausweichen auf Geh- und Radwege. Eine ernsthaft gegen Verkehrsunfälle vorgehende Polizei müsste sich allerdings grundlegend anders aufstellen – derzeit ist da Hopfen und Malz verloren.
in München sind 67 cm Überholabstand ohne Übertreibung normal. Mir scheint, der Abstand wird kleiner wenn es einen (unbenutzbaren) Radweg gibt und man die Fahrbahn nutzt. Auf vielen Straßen sind die (m.E. nirgendwo in der StvO stehenden) 1,5 m auch gar nicht einhaltbar. Man dürfte in keiner einzigen 30 Zone überholt werden. Aber wer fährt schon so lange hinter einem Radler her, bis 1,5 m Platz vorhanden sind? Das autonome Google-Auto in 15 Jahren? Hängt vielleicht vom Programmierer ab.
Aber unsere Straßen sind wahrscheinlich auch etwas schmaler als die Berliner Straßen…was natürlich keine Entschuldigung für nahes Überholen sein kann.
Die 1,5 Meter ergeben sich wohl aus Gerichtsurteilen, die das Versäumnis des Gesetzgebers, einen ausreichenden Abstand konkret zu benennen, im Einzelfall nachholen mussten.
Autofahrer warten ohne zu Murren an roten Ampeln und in jeder Warteschlage. Da kann man als Radfahrer doch nun wirklich nicht verlangen, dass sie dieselbe Geduld auch noch beim Hinterherfahren in Engstellen aufbringen.
Der Abstand auf dem dritten Foto sieht mir mehr nach einer Lenkerbreite aus und damit deutlich weniger als 67cm. Es sei denn die Frau hat mit Mantel eine XXL-Schulterbreite im Chuck Norris Format.
Es ist m.e. auch gut nachvollziehbar, daß viele Radfahrer wegen so etwas auch lieber auf Gehwegen fahren, als sich der ständig mitfahrenden Angst umgefahren zu werden hinzugeben.
@Nebsler: Bitte, bitte, bitte schreib doch hier genau auf, wie dein Fall bis zur erfolgreichen Vollstreckung verlaufen ist. Kenne bisher immer nur Verfahren, die eingestellt wurden.
/Ironiemodus on/
Ansonsten finde ich den Abstand des Mercedes schon fast komfortabel. Die Radfahrerin würde es ja nicht mal schaffen mit der Hand auf das Dach zu hauen, so weit weg ist der noch….
/Ironiemodus off/
@Christoph: nach 17 Jahren Berlin und 7 Jahren München als Alltags- und Rennradler kann ich Dir versichern, dass wir hier in Muc vergleichsweise paradiesische Verhältnisse haben. Enge Überholer und aggressives Auftreten von KFZlern kommen vor, aber doch sehr selten. Besonders krasse Auswüchse wie ich sie in Berlin schon erlebt habe, gabs hier in München noch nie. Ich vermute, es liegt daran, dass in München praktisch jeder sowohl Fahrrad als auch Auto fährt, in Berlin ist das oft ein entweder-oder (in beiden „Lagern“).
Dafür ist die Infrastruktur in B um Klassen besser – und ich bin als konsequenter Fahrbahnradler in B noch nie von der grünen Minna auf dem Radweg verwiesen worden. In Muc kommst Du da nicht weit.
Ich wünsche @Nebsler auch viel Erfolg, glaube aber ebenfalls nicht dran.
OWi-Anzeige: kann ohne Angabe von Gründen eingestellt werden. Sonst ist das Verhalten da auch nicht Punktebewährt. Kostet lediglich 35EUR.
Und wenn der angeschriebene Halter dann auch irgendwas von Erinnerungslücken zum Besten gibt, wonach er sich natürlich keinesfalls erinnern kann, wer denn nun zur vorgeworfenen Tatzeit gefahren sei (er jedenfalls nicht!), stehen die Chancen noch besser, dass das eingestellt wird. Denn warum mit solch Kleinkram die armen Amtsgerichte belasten? …
Strafanzeige wegen §315c StGB – wird eingestellt, weil dem Fahrer kein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Es sei denn, der ist so behämmert, in einem Anhörungsbogen anzugeben, dass er die Radfahrerin eigentlich überfahren wollte, aber sie verfehlt hat. Außerdem sollten natürlich leichte Verstöße gegen die StVO regelmäßig gerade _nicht_ über das Strafrecht sanktioniert werden.
Scheiß Welt da draußen. :-/
mich würde auch interessieren mit welcher hardware diese aufnahmen gemacht wurden, da diese ganz ordentlich zu sein scheinen.
wäre toll, wenn der gastauthor das hier posten könnte oder jemand vom gastauthor in erfahrung bringen könnte.
„Die 1,5 Meter ergeben sich wohl aus Gerichtsurteilen, die das Versäumnis des Gesetzgebers, einen ausreichenden Abstand konkret zu benennen, im Einzelfall nachholen mussten.
Autofahrer warten ohne zu Murren an roten Ampeln und in jeder Warteschlage. Da kann man als Radfahrer doch nun wirklich nicht verlangen,…“
Ja, es erscheint uns immer wieder als frustrierend, als dumm und als völlig weltfremd, wenn jemand die Welt nicht durch unsere Augen sondern durch seine eigenen Augen betrachtet.
Wie kann man nur!
Überholen (wollen bzw müssen) ist eins der beiden Grundprinzpien der Evolution (neben Zusammenarbeit) und tief in unserer DNA verankert.
Auf Landstraßen sieht man deutlich: Der Zwang zum Überholen, der Belohnungs-Thrill ist so stark, dass die Leute ihm selbst angesichts von eigener Todesgefahr nicht widerstehen können.
Es ist nur logisch und menschlich, dass man, wenn man „nur“ andere gefährdet und nicht sich selbst, dem Überholzwang noch eher unterliegt.*
Dieser banalen Wahrheit muss das Strassendesign Rechnung tragen – oder das menschliche Design müsste geändert werden.
*Siehe zum Beispiel Radfahrer, die vor einer Engstelle „noch schnell“ andere Radfahrer oder Fußgänger überholen.
Wenn ich mir die Kommentare von @Neuköllner so durchlese 🙂 🙂
Also ob die geschätzten Link-im-Blogkommentar-Unterbringer wirklich Kommentare lesen würden 😉