Als der Berliner Senat im März diesen Jahres die neue Radverkehrsstrategie für die Bundeshauptstadt vorstellte, präsentierte er einen bunten Reigen von Absichtserklärungen und Zielen. Was aber fehlte, waren harte und aktuelle Fakten zum Fahrradverkehr. Stattdessen griff man bezüglich des Anteils des Radverkehrs an allen Wegen der Berliner Wohnbevölkerung auf Zahlen von 2008 zurück.
Diese Peinlichkeit will sich der Senat in Zukunft ersparen und gibt deshalb Geld für automatische Fahrradzählstellen aus. Bereits vor einem Jahr wurden testweise zwei Anlagen installiert, ohne die Öffentlichkeit zu informieren, wie der Tagesspiegel heute berichtet. Eine Zählstelle ist auf der Fahrradbrücke über den Alemannkanal installiert. Dieser Radweg in Spandau ist Teil des Radweges Berlin-Kopenhagen und wird vermutlich von mehr Radtouristen als von Alltagsradfahrern befahren. Die zweite Zählstelle liegt ebenfalls auf einem fahrradtouristischen Hotspot. Der Schwedter Steg zwischen dem Mauerpark und der Behmstraße ist Teil des Mauerradwegs und Teil des Radwegs Berlin-Usedom. Laut Tagesspiegel waren die Senatsplaner davon ausgegangen, „dass hauptsächlich Touristen die vor 15 Jahren eröffnete Fußgängerbrücke über die Gleise am Nordkreuz nutzen.“ Aber man erlebte eine Überraschung. Der Schwedter Steg wird unter der Woche von 1.500 bis 2000 Radfahrern pro Richtung und Tag befahren, am Wochenende pedalieren jedoch nur ungefähr 500 den Schwedter Steg. Diese Zahlen und der Fakt, dass die Verkehrsspitzen am frühen Vormittag und in den Nachmittagstunden liegen, sprechen dafür, dass der Steg vorwiegend als Pendlerstrecke von Berliner Radfahrern genutzt wird.
Im Jahr 2014 will der Senat die Zahl der automatischen Radfahrerzählstellen auf insgesamt 12 stationäre Geräte ausweiten. Wo die Zählstellen installiert werden steht noch nicht fest. Der Tagesspiegel: „„Richtig spannend“, so ein Planer, wäre eine Installation im Straßenzug Unter den Linden / Straße des 17. Juni. Dies dürfte aber an technischen Schwierigkeiten scheitern, da die Wege für Radler dort zu breit sind und Gefahr besteht, dass Autos mitgezählt werden.“
Dort, wo der Senat bisher manuell die Radfahrer gezählt hat, wurden starke Anstiege des Radverkehrs festgestellt. An der Kreuzung Blücher- / Zossener Straße hat sich die Zahl der Radfahrer von 2001 bis 2011 verdoppelt. Im nächsten Jahr 2012 schnellte der Radverkehr dort um weitere 20% nach oben. Inzwischen geht man im Senat davon aus, dass der Anteil der Radfahrer innerhalb des S-Bahnrings bei 25% liegt.
Tagesspiegel: Jeder Radler zählt
Wenn man das Thema gedanklich etwas ausbreitet, merkt man, dass das gar nicht so einfach ist. Denn Radfahrer starten an jedem beliebigen Punkt A und fahren zu jedem beliebigen Punkt B, und nutzen auf gleichen Relationen viel unterschiedlichere Strecken als Autofahrer. Während der Autoverkehr sich oft auf Hauptstraßen bündeln lässt, fahren manche Radfahrer dort zwar mit, andere suchen sich aber grüne Wege oder ruhigere Nebenstraßen.
Dennoch sind solche Zählungen für einen groben Überblick wohl nicht schlecht.
Ich denke, die werden sich ganz schon wundern, wenn man beginnt ernsthaft zu zählen. Und für Unter den Linden und den 17. Juni wären Induktionsschleifen das geeignete Mittel der Wahl.
@berlinradler: wenn man die stellen klug wählt, dann lässt sich sicher auch gut zählen. Z.b. Straßen, die man nicht umfahren kann. Oder einer der Brücken über die Spree. Z.B. Oberbaumbrücke
Ich denke auch, wenn man mehr Zählstellen hätte, würde man merken, dass die derzeitigen Zahlen mit der Realität nicht viel zu tun haben.
Ich war echt erstaunt, als ich von Berlin nach München gezogen bin und erfahren habe, dass die offiziellen Zahlen bzgl. des Radverkehrsanteils fast gleich waren. Die Realität sieht meine Wahrnehmung nach ganz anders aus: in Berlin ist der Radverkehrsanteil mindestend doppelt so hoch.
Den Schwedter Steg bin ich auch fast täglich auf dem Weg zur Arbeit gefahren, der war auch gut genutzt. Ärgerlich war nur das Kopfsteinpflaster im Mauerpark, das eigentlich schonmal durch Asphalt getauscht werden sollte. CDU+SED habens verhindert 🙁
Zählen ist ja auch mal eine sinnvolle Maßnahme bei vorher-nachher-Vergleichen zu Infrastrukturmaßnahmen (Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten, gilt auch für Radverkehr).
In dem Artikel wird ja auch Unter den Linden genannt. Dort würde es mich nicht wundern, wenn die Radfahrer sogar in der Überzahl sind. Dennoch will der Senat dort wohl langfristig was für die Radfahrer tun, was wohl Radstreifen bedeutet … in der Regel sind die dann enger als jeder andere Straßenteil 🙁
@abwrackprämie
oh, da haben sie in münchen anscheinend verpasst, dass die mauer gefallen ist und die sed aufgelöst wurde. der schwedter steig befindet sich sogar im ehemaligen grenzgebiet zwischen ost und west.
schön wie das hier in berlin alles zusammengewachsen ist, oder? – schade, dass die mauer in ihrem kopf noch steht…
mfg, mirko