„Es regnet und es ist dunkel – das Scheinwerferlicht entgegenkommender Fahrzeuge spiegelt sich auf der nassen Straße. Auf der Rückbank quengelt ein Kind. Der Fahrer dreht sich kurz nach hinten. Als er wieder nach vorne sieht, taucht unvermittelt ein Schatten vor ihm auf. Es kracht. Die Bremsen quietschen – zu spät. Auf der Fahrbahn liegt ein schwer verletzter Radfahrer, der später im Krankenhaus stirbt. Der Autofahrer kommt wegen fahrlässiger Tötung auf die Anklagebank.“ (newsclick.de)
Ein Schreckenszenario! Nicht etwa wegen dem getöteten Radfahrer, sondern wegen dem lästigen Papierkram und den Gerichtsbesuchen hinterher. Grund genug für den 50. deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar, über eine Entkriminalisierung der Verkehrsdelikte nachzudenken. Im letzten Jahr wurden laut Automobilclub Deutschland (ACE) 714 Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung und 13.500 wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt.
Diskussion zu dem Thema in de.rec.fahrrad
Ich sags immer, wer auf arbeit mit ähnlich schwerem gerät Leute umbringt oder verletzt bekommt auch eine Klage und idR. die Zulassung entzogen. Im PKW kann man Leute umfahren nach gusto, und jetzt soll man nicht al mehr dafür belangt werden dürfen ? Ein Auto anzünden hingegen, das ist Grund genud für rasterfahndung von Millionen Leuten, Staatsschutz und sonstewas. völlig klar, wen schert es schon, wenn ein Mensch stirbt, wenn andererseits immerhin Eigentum beschädigt wird.
Was für eine unmenschliche Scheisse!
Die tatsächlich beschlossenen Empfehlungen lauten anders.
http://www.deutsche-verkehrsakademie.de/images/stories/pdf/empfehlungen_50_vgt.pdf
Im Verkehrsportal läuft dazu auch eine Diskussion …
Ein tolles Beispiel haben da die Entkriminalisierer erfunden. Vermutlich war ihnen ein Lohnsudler von der Bild behilflich. Der Radler als Schatten und demnach unbeleuchtet und ohne Warnweste. Und dann noch das Wohlbefinden des Babys als höheres Rechtsgut. Wer da kein Verständnis hat?
@Mir: danke für den Link. Entkriminalisierung vom Tisch. Helmpflicht für Radfahrer vorerst auch. Pedelec- und S-Pedelecfahrer sind noch nicht aus dem Schneider. Auf die S-Pedelecs werden richtige Helme zukommen, auf Pedelecs künftig eine Altersgrenze ab 14 Jahren und wohl noch mehr Einschränkungen, wenn dies eine künftige Unfallstatistik ergibt. Da kann man nicht meckern. Und ein Lob gebührt all denen, die sich öffentlich gegen die Helmpflicht für Radfahrer ausgesprochen haben.
„Entkriminalisierung“? Also ich finds schon kriminell, wenn man seiner Sorgfaltspflicht nicht nachkommt und dabei andere Menschen (schwer) verletzt oder gar tötet.
Und wer unterwegs nen Kind betüddeln will, oder muss, kann auch den Warnblinker einschalten, rechts ranfahren und anhalten. Fürs Telefonieren ohnen Freisprecheinrichtung gilt ja auch nicht viel anderes.
@ kl:
„1b) Führt das Nichttragen des Helms nachweislich zur Entstehung schwererer
Verletzungen, kann das zur Minderung der Ersatzansprüche des Fahrradfahrers führen.“
Klingt jetzt für mich nicht unbedingt nach einer generellen Verneinung der Helmpflicht, sondern folgt vielmehr dem Geiste der letzten Urteile. Allerdings frage ich mich, wie dieser Nachweis erbracht werden soll, ohne dass Faktoren wie erhöhter Kopfradius, Kopfmasse, Strangulation durch Helmgurte und geringere Überholabstände auch berücksichtigt werden. Zumal führt nicht eine Helmlosigkeit zu einem Unfall sondern der Unfallverursacher. Immer wieder die alte Leier.
@Martin LE:
Die zitierte Formulierung finde ich überaus interessant, weil sie eben nicht direkt „dem Geiste der letzten Urteile“ folgt. Stichwort Beweislast.
Das erste Urteil, was bzgl. „kein Helm = Mithaftung des Radfahrers“ hohe Wellen geschlagen hat, war IIRC das aus Düsseldorf. Da war der Tenor sinngemäß „ein sportlicher Radfahrer hat Helm zu tragen, andernfalls hat er im Falle eines Unfalls seinen Beitrag zur Schadensabwehr nicht geleistet“. Düsseldorf hat die Frage, ob ein Helm konkret hätte helfen können, überhaupt nicht gestellt. Sondern eine sehr mechanistische Argumentationskette verfolgt. „Sportlicher Radfahrer muss eben Helm tragen“.
Das, was Du nun zitierst, ist etwas völlig anderes. Nimmt man die Formulierung, so wie sie da steht, so ist der Normalfall, dass ein Radfahrer – ob mit oder ohne Helm – erstmal Ersatzansprüche hat. Wenn er nun keinen Helm trägt muss derjenige, der dem Ersatzanspruch nicht Folge leisten will, aktiv beweisen, dass die Nutzung eines Helmes in der konkreten Situation schadensmindernd gewirkt hätte.
Auf dererlei Beweisführungen warten Millionen deutscher Radfahrer doch schon etliche Jahre. Wir sollten uns freuen, wenn nun auf diesem Wege die Versicherer endlich dazu angehalten werden, tatsächlich sinnvolle Helmnutzenforschung zu betreiben. Und die Ergebnisse daraus dann aktenkundig werden.
Insofern bin ich schon sehr gespannt auf die Plädoyers von Versicherungsanwälten, die dem Richter glaubhaft machen wollen, wie ihr Super-Helm vor Beinbruch, aufgeschürften Ellenbogen, zerdepperten Schultergelenken oder ausgeschlagenen Zähnen schützt. Ich hoffe, bis dahin wird in den Gerichtssälen das Verspeisen von Popcorn durch Zuschauer als gesetzlich garantiertes Grundrecht eingetragen – und nicht als Mißachtung der Würde des Gerichtes fehlinterpretiert.
@Martin LE: hast recht. Habe ich übersehen. Grenzt ja an eine Quasi-Helmpflicht für alle, die keine verminderten Schadenersatzansprüche in Kauf nehmen wollen.
Ich stimme dan zu. Und der Nachweis dürfte schwer zu führen sein. Dass Fahrrad-„helme“ fast nichts aushalten, ist ja nun für Fachkreise nichts neues. Es wird übrigens auf demselben Kongress erstmals offen zugegeben, dass übliche Fahrrad-„helme“ nur bis 20 km/h tauglich sind:
http://www.e-bikeinfo.de/e-bike-news/keine-helmpflicht-fuer-pedelecs
Zitat:
Hinterhältige Meinungsmache. Stellt euch mal vor, der Text würde lauten:
„Als er wieder nach vorne sieht, taucht unvermittelt ein hell beleuchteter Radfahrer mit Warnweste vor ihm auf. Es kracht. Die Bremsen quietschen – zu spät.“
Merkt ihr was?
Liebe Leute, entkriminalisieren heißt doch nicht: gut finden. Es geht allein um die Frage, ob ein Autofahrer, der einen verhängnisvollen Fehler gemacht hat, zusätzlich zur Schadenersatzpflicht, einem angemessen hoheen Bußgeld und oft auch noch einem Fahrverbot wie ein Dieb, Trunkenheitsfahrer oder sonstiger Kleinkrimineller vor Gericht auf die Anklagebank soll. Am Unrecht und dessen Bewertung ändert sich da nichts durch. Wichtiges Argument, aber auch sachfremd: Das Strafverfahren zwingt – anders als Zivilrechtsstreitigkeiten – zur intensiven Beschäftigung mit dem Unfall & seinen Ursachen & der Verantwortung dafür.
Versucht Euch doch mal vorzustellen, Ihr seid der Autofahrer & Euch ist trotz aller Vorsicht im Allgemeinen ein kleiner, aber tödlicher Fehler unterlaufen. Würdet Ihr da noch ein Gericht brauchen, um Euch im Namen des Volkes zu sagen: Das war aber wirklich böse?
Vortrieb, stell Dir vor Du bist Jaeger oder Polizist. Und eines Tages ist am Ende des Tages jemand tot, der eigentlich nicht tot sein sollte. Vielleicht warst Du „nur“ kurz unaufmerksam am Abzug Deiner Waffe? Vielleicht dachtest Du sie Sie gesichert gewesen?
…
Sollen da die Polizisten, die zum Toten gerufen werden nicht vielleicht doch besser auch in Zukunft erstmal eine Anzeige schreiben, als einfach nur eine kleine Ordnungswidrigkeit in Rechnung zu stellen und Staatsanwaltschaft und Gericht uninformiert ueber den Vorfall zu lassen?
Wohl kaum.
Und zivilrechtlich ist nix bei einem Toten: Wie man gerade dieser Tage in den Medien liest, gibt es in D kein Schmezensgeld fuer Angehoerige.
@vortrieb: Gut, ich stelle mir das vor. Und? Ich habe jemanden totgefahren, unabsichtlich, aber tot ist tot. Hätte ich mir nie vorstellen können, dass mir das passiert. Aber nun ist es zu spät. Wollte ich nicht. Ist jetzt mein Hauptproblem, dass Anklage erhoben wird? Oder ist mein Hauptproblem, dass ich jemanden getötet habe? Das anschließende Gerichtsverfahren läuft ohnehin meist auf die Zahlung von ein paar Tagessätzen hinaus. Muss man da eine Diskussion anfangen, ob das vielleicht zu hart ist? Kopfschüttel.
@vortrieb: eigentlich ist es positiv, wenn es Bestrebungen gibt, die kleinere Straftatbestände in Ordnungsstrafen und Bußgelder umwandeln wollen. Schließlich hat unser Staat die Tendenz, die Bürger immer mehr zu kriminalisieren und hat zu diesem Zweck eine Unzahl von neuen Straftaten erfunden, die sich nicht im Strafgesetzbuch, sondern in zahlreichen anderen Gesetzen befinden. Man nennt das dann Nebenstrafrecht. Bekanntestes Beispiel ist das Betäubungsmittelgesetz. Etwa 30 Prozent der Gefängnisinsassen sitzen wegen Drogendelikten oder der damit verbundenen Beschaffungskriminalität.
Bei Körperverletzung oder Tötung sieht das aber anders aus. Diese Delikte sind aus gutem Grund schon immer Bestandteil des Strafgesetzbuches. Hier muss in jedem Fall genau geprüft werden, unter welchen Umständen es zur Körperverletzung oder Tötung gekommen ist. Ein Auto kann ja auch als Werkzeug für Mord, Totschlag oder gefährliche Körperverletzung verwendet werden. Bei Fahrlässigkeit muss dann noch zwischen gewöhnlicher und grober Fahrlässigkeit unterschieden werden. Ohne Strafprozess dürfte das kaum möglich sein. Und im harmlosesten Fall einer menschlich verständlichen „normalen“ Fahrlässigkeit fällt die Strafe dann ja recht milde ohne Konsequenzen für den weiteren Lebensweg des Straftäters aus. Nicht einmal ein Eintrag im Polizeilichen Führungszeugnis ist zu erwarten. Die Strafe ist kaum größer als die für eine gewöhnliche Ohrfeige.
Weil tatsächlich kein Bedarf an einer Entkriminalisierung besteht, wurde der Antrag ja auch klar abgeschmettert.
@vorTrieb, ich hatte den Beitrag unter anderem deshalb geschrieben, weil ich die zitierte Einleitung so ekelhaft fand. Der tote Radfahrer als unvermeidlicher Kollateralschaden, der nachfolgende Prozess als totale Ungerechtigkeit. Viele Zeitungen haben diese Formulierung unhinterfragt übernommen. Moralische Schieflagen fallen im Straßenverkehr schon gar nicht mehr auf.
Wenn ich jemanden totfahren würde, könnte ich nicht so weiterleben wie bisher. Das wäre ein drastischer Einschnitt. Und da ich der allgemeinen Selbst-Schuld-Verkehrsmoral nicht folge, die manchem sicher das Gewissen entlastet, würde ich mich IMMER schuldig fühlen. Denn Menschen sind keine Roboter und machen Fehler, darauf muss ich mich einstellen. Verurteilung nach einer Todesfahrt? In meinen Augen irrelevant, kein Thema an dem man was ändern müsste.
Vielmehr trete ich dafür ein, absichtliche Bedrohungen im Straßenverkehr als Straftaten zu ahnden. Wer heute absichtlich auf jemanden zufährt, der bei Rot über die Ampel läuft, hat nichts zu befürchten. Dabei handelt er nicht anders als jemand, der eine Waffe zückt, wenn er beleidigt wurde. Der Straßenverkehr ist so betrachtet krimineller als man denkt.
Meinetwegen entkriminalisieren.
Dann aber je nach schwere der Unfallfolgen Führerscheinentzug von 1 Monat bis 10 Jahre.
Hm, habe ich anders verstanden. Der Verkehrsgerichtstag hat gerade die Praxis kritisiert, fahrlässige Körperverletzungen ohne weiteres einzustellen. Konkret lautet der Text:
In einer Zeit steigender Mobilität läuft grundsätzlich jeder Verkehrsteilnehmer Gefahr, einen Unfall zu verursachen. Jedoch verdienen die Rechtsgüter Leben und Gesundheit potenzieller Unfallopfer höchstmöglichen Schutz. Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Arbeitskreis Folgendes:
I. Es besteht keine Veranlassung zur Entkriminalisierung der fahrlässigen Tötung im Straßenverkehr. Angesichts der Bedeutung des Lebens als höchstes Rechtsgut gilt dies auch bei leichter Fahrlässigkeit.
II. Fahrlässige Körperverletzungen im Straßenverkehr können mit den bereits vorhandenen Mitteln des materiellen und prozessualen Rechts angemessen behandelt werden. Insbesondere mit der Einstellungsmöglichkeit nach § 153 a StPO (Einstellung gegen
Auflage) verfügt die Praxis gerade im Bereich des Straßenverkehrs über ein weithin genutztes Instrument der Entkriminalisierung.
III. Allerdings empfiehlt der Arbeitskreis dem Gesetzgeber, in den Katalog des § 153 a StPO
ausdrücklich auch die Möglichkeit einer verkehrserzieherischen Maßnahme
aufzunehmen.
IV. Im Bereich der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr beobachtet der
Arbeitskreis mit Sorge eine unterschiedliche Einstellungspraxis bei den
Staatsanwaltschaften. Die Landesjustizverwaltungen und in diesem Rahmen die
Generalstaatsanwaltschaften sollten sich dieser Frage annehmen und werden
aufgefordert, zur Vereinheitlichung der Praxis in Ergänzung zu Nr. 243 Abs. 3 RiStBV
Richtlinien und Verwaltungsanordnungen zu erlassen
[…] muss jedoch jeder weiter für sich selbst entscheiden Tags: Fahrrad Fahrradhelm Helmpflicht Rad Entkriminalisierung von Verkehrsdelikten » RadSpannereiHelmpflicht für Radfahrer vorerst auch Pedelec und SPedelecfahrer sind noch nicht aus dem […]