Im vergangenen Jahr wurden in Berlin insgesamt 787 Personen durch rechtsabbiegende Fahrzeuge verletzt, darunter waren 547 Radfahrer und 89 Fußgänger. Unter den 547 verunglückten Radfahrern waren drei tödliche Verkehrsunfälle. Ein Teil dieser Unfälle geht darauf zurück, dass sich Radfahrer im Toten Winkel eines Fahrzeugs befanden. Als Toter Winkel wird im Straßenverkehr der von Fahrzeugführern innerhalb geschlossener Fahrzeuge trotz Rückspiegel nicht einsehbare Bereich seitlich, vor und hinter dem Fahrzeug bezeichnet. Dieser Bereich ist bei verschiedenen Fahrzeugen unterschiedlich groß und nicht vollständig zu vermeiden.
Um den Fahrradverkehr auf stark befahrenen Straßen, Kreuzungen und Einmündungen sicherer zu machen, wird ein 10-Punkte-Programm schrittweise umgesetzt. Die einzelnen Punkte:
- Grünvorlauf für Radfahrer an Verkehrsampeln
- Gelbes Blinklicht für den LKA-Verkehr auf stark befahrenen LKW-Routen, um auf querende Radfahrer aufmerksam zu machen
- Gestaffelte Haltlinien sowie
- Radfahrerschleusen, aufgeweitete Aufstell- und Abbiegestreifen für Fahrradfahrer, um die Möglichkeit zu geben, sich gut sichtbar vor dem Kfz-Verkehr aufzustellen
- Breitstrichmarkierungen zur besseren Kenntlichmachung von Fahrradübergängen (Furten).
- Halteverbot an Kreuzungen, um die Sicht auf den querenden Fahrradverkehr zu ermöglichen
- Markierung von Radfahr- oder Angebotsstreifen
- Schließen von Lücken im Radverkehrsnetz und Ausschilderung von Fahrradrouten
- Ausrüstung von LKWs mit Unterfahrschutz sowie gegebenfalls mit Spezialspiegeln und Videokameras zur Ausschaltung des Toten Winkels
- Verstärkte Sicherheitsberatung und Verkehrsüberwachung
Zusätzlich werden einzelne Bezirksämter sich vom 19. bis zum 23. April 2010 an einer stadtweiten Verkehrsaktionswoche mit dem Schwerpunkt „Toter Winkel“ beteiligen. In Pankow werden zum Beispiel 92 Praxisveranstaltungen für über 2200 Schüler in den Schulen oder in Schulnähe angeboten. Eröffnet wird die Aktion vom Bezirksstadtrat Kirchner am Montag, dem 19. April 2010 um 9 Uhr auf dem Parkplatz Greifswalder Straße/ Ecke Grellstraße, an dem Kreuzungsbereich, an dem zum Ende des Jahres 2009 eine Radfahrerin tödlich verunglückte.
Polizei Berlin: Vorsicht Toter Winkel
Bezirksamt Pankow: Auftaktveranstaltung zur Aktion „Toter Winkel“ 2010 in Pankow
Ja, die LKA-Lastwagen sind die schlimmsten (siehe Schreibfehler) 🙂
Oft fahre ich mangels Alternative auch solche Kreuzungen, bei manchen weiss ich, dass ich auf meine Sicherheit schwer einwirken kann (zweispuriges Abbiegen finde ich am härtesten). Ich suche mir lieber Wege, wo es solche Situationen gar nicht gibt und wo auch kein Druck auf mich ausgeübt wird, damit ich auf einem vorhandenen Radweg fahre, um genau in diese Gefahr zu kommen.
Der Punkt des zweispurigen Rechtsabbiegens über Radwege hinweg fehlt in obenstehender Auflistung, das fände ich recht wichtig. Und ansonsten – im Zweifelsfall nicht nur Grünvorlauf, sondern lieber getrennte Signalisierung von Rechtsabbiegern und Radfahrern auf dem Radweg.
Inwieweit Radstreifen Rechtsabbiegeunfälle verhindern, vermag ich nicht einzuschätzen. M.E. unterscheidet sich deren Situation im Kreuzungsbereich nicht von der normaler Radwege.
Es ist natürlich gut, dass die Politik/Verwaltung endlich etwas gegen die regelmässig passierenden Unfälle zwischen Radfahrern und Rechtsabbiegern tun will. Meiner Meinung nach sind die meisten der hier genannten Maßnahmen jedoch nicht wirklich geeignet, das Problem zu beheben:
1. Grünvorlauf für Radfahrer an Verkehrsampeln
Das bringt nur etwas, wenn der Radfahrer bei Rot die Kreuzung erreicht und dann vor den Rechtsabbiegern losfahren kann. Wenn der Radfahrer jedoch während der Grünphase die Kreuzung erreicht, kann er weiterhin übersehen werden.
2. Gelbes Blinklicht für den LKA-Verkehr auf stark befahrenen LKW-Routen, um auf querende Radfahrer aufmerksam zu machen
Die Erfahrung zeigt, dass zu viele Verkehrszeichen oder Lichtsignale die Verkehrsteilnehmer überfordern und dadurch weniger beachtet werden. Weniger ist hier oft mehr, da dann die wenigen Signale auch tatsächlich beachtet werden.
3. Gestaffelte Haltlinien sowie
Siehe Punkt 1
4. Radfahrerschleusen, aufgeweitete Aufstell- und Abbiegestreifen für Fahrradfahrer, um die Möglichkeit zu geben, sich gut sichtbar vor dem Kfz-Verkehr aufzustellen
Wenn man sich auf eine Rafahrerschleuse verlässt, um nach links abzubiegen, dann muss man auf eine rote Autoampel warten, um sich auf die Linksabbiegerspur einzuordnen. Ohne die Radfahrerschleuse kann man sich im normalen Verkehr in den meisten Fällen ohne diese Wartezeit problemlos einordnen.
5. Breitstrichmarkierungen zur besseren Kenntlichmachung von Fahrradübergängen (Furten).
Siehe Punkt 2. Wenn erst einmal die meisten Kreuzungen so ausgestattet ist, dann wird man wahrscheinlich feststellen, dass sich dadurch kaum etwas am Verhalten der Verkehrsteilnehmer geändert hat.
6. Halteverbot an Kreuzungen, um die Sicht auf den querenden Fahrradverkehr zu ermöglichen
Das ist grundsätzlich sinnvoll. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Fahrer von Autos (und insbesondere LKW/Lieferwagen) sich einfach über Halteverbote hinwegsetzten (insbesondere dann, wenn der Grund nicht direkt ersichtlich ist und der Verkehr nicht behindert wird). Die Bußgelder dafür sind lächerlich niedrig und ein Abschleppen findet in der Praxis so gut wie nie statt. Damit diese Maßnahme tatsächlich hilft, müsste man ein Parken also durch physikalische Hindernisse verhindern.
7. Markierung von Radfahr- oder Angebotsstreifen
Auf Radfahr- oder Angebotsstreifen passieren ebenfalls Rechtsabbiegeunfälle, da Radfahrer dort nach wie vor im Toten Winkel fahren. Obwohl es bei diesen Streifen keine Sichtbehinderung durch Bäume, Parkstreifen oder andere Hindernisse gibt, achten einige Fahrer beim Abbiegen nicht auf Radfahrer. Das Problem ist in erster Linie die falsche Verkehrsführung (Geradeausfahrer rechts von Rechtsabbiegern).
8. Schließen von Lücken im Radverkehrsnetz und Ausschilderung von Fahrradrouten
Gut ausgeschilderte Fahrradrouten können natürlich helfen, zumindest einen Teil der Radfahrer auf verkehrsarme Strecken zu lenken. Die Praxis zeigt jedoch, dass man sich auf die vorhandenen Radrouten nicht wirklich verlassen kann (schlechte Fahrbahnoberfläche, fehlende/schlecht sichtbare Beschilderung, ständiges Bremsen/Beschleunigen wegen Rechts vor Links, …). Insbesondere für schnellere Radfahrer sind diese Strecken oft nicht geeignet.
9. Ausrüstung von LKWs mit Unterfahrschutz sowie gegebenfalls mit Spezialspiegeln und Videokameras zur Ausschaltung des Toten Winkels
So etwas müsste eher auf Bundes- oder EU Ebene durchgesetzt werden. Aber auch die besten Spiegel/Kameras helfen nur dann etwas, wenn der Fahrer sie auch benutzt. Viel sinnvoller ist es, die Verkehrsführung so zu ändern, dass geradeaus fahrende Radfahrer immer links oder auf der selben Spur wie Rechtsabbieger sind.
10. Verstärkte Sicherheitsberatung und Verkehrsüberwachung
Bei den Leeren Kassen in Berlin wird daraus wahrscheinlich nicht sehr viel werden.
Als Radfahrer kann man sich vor dem Toter-Winkel-Problem eigentlich selbst recht effektiv schützen, indem man sich erst gar nicht in einen solchen begibt.
Konkret bedeutet das:
– In Kreuzungsbereichen eventuell vorhandene Radverkehrsanlagen eben NICHT benutzen.
– Wie der motorisierte Verkehr einordnen.
– Den Drang, sich immer nach vorn „vordrängeln“ zu wollen, ggf. mal unterdrücken – manchmal ist „taktisches Dahinterbleiben“ sogar schneller.
– Wenn man doch nach vorn an wartenden Fahrzeugen vorbei will, ggf. schon mal links von Rechtsabbiegern aufstellen, auch wenn keine Einordnungsspuren vorhanden sind.
Dadurch, dass ich ja als Kurier jeden Tag auf der Straße bin, sehe ich täglich hunderte von Radfahrern, die sich in Kreuzungsbereichen einfach nur völlig bescheuert verhalten. Es ist eigentlich ein Wunder, dass in punkto Rechtsabbieger nicht noch viel mehr passiert.
Jetzt wo ich darüber nachdenke und die beiden neuen Kommentare gelesen habe, finde ich besonders das gelbe Blinklicht kritisch. Wenn ich das richtig verstehe, handelt es sich um einen Sensor, der eine Lampe zum Blinken bringt, wenn ein Radfahrer auf dem Radweg fährt. Das klingt für mich nicht zuverlässig genug, um Leben zu schützen. Blinkt keine gelbe Lampe mehr, so biegt der Lkw-Fahrer ab, nach wie vor ohne seinen Fahrtbereich einsehen zu können. Was, wenn da doch noch ein Radfahrer war? Wer solche „Lösungen“ sucht, sollte dann doch vielleicht eher einen Spiegel im Kreuzungsbereich installieren.
Zu Jakobs Punkt 8 – da muss ich zustimmen. Zwar bin ich durchaus ein Freund dieser Routen, weil sie sich großenteils auch an Anfänger oder ängstlichere Radler richten und damit geeignet sind, den Radverkehr zu erhöhen. Die Ausschilderungsqualität dieser Routen ist in Berlin durchaus hoch. Die Wegequalität ist oftmals noch mangelhaft – ich sehe aber einen guten Willen, daran etwas zu ändern. Sicher ist das keine grundlegende Problemlösung, aber doch ein Teilansatz.
Zu dan – über die Einordungstaktiken mancher Radfahrer an Kreuzungen wundere ich mich auch. Wer extra nach ganz vorne fährt, wird beim Anfahren wieder überholt. Meistens kann man, ohne eine Ampelphase zu verpassen, sich hinter dem letzten Fahrzeug einordnen.
„Schließen von Lücken im Radverkehrsnetz und Ausschilderung von Fahrradrouten“
Zu diesen Routen hätte ich noch einen ganz besonderen Wunsch: Sie sollten so dermaßen autofrei sein, dass sie auch von einem/einer 3-jährigen legal, sicher, durchgängig und zügig befahren werden können *träum*
„““Jakob schreibt:
Dienstag, 13.04.2010 um 23:04
Es ist natürlich gut, dass die Politik/Verwaltung endlich etwas gegen die regelmässig passierenden Unfälle zwischen Radfahrern und Rechtsabbiegern tun will.“““
Seit Jahren tun sie ja alles dafür, dass es immer wieder zu solchen Unfällen kommt. Das sie etwas gegen Rechtsabbiegunfälle tun sehe ich überhaupt nicht so lange man im Prinzip Radweg festhält.
Kolonnenstraße Ecke Haupstraße von oben kommend:
Was ist eigentlich mit dieser Ecke? Ich war sogar mit dem Lars Oberg in Verbindung und der wollte in einem Ausschuss für die Idee eintreten, ab der Rechtskurve noch vor der Czeminskistraße den Asphalt rot zu malen, damit unten eingen Rechtsabbiegern mehr klar wird, dass sie dort gucken müssen.
Leider hat sich nichts getan, nach wie vor ist das eine brandgefährliche Ecke, die absolute Ausnahme, dass da mal jemand guckt beim Abbiegen. Obwohl die Fahrradmarkierung sogar auf der Kreuzung nach rechts verlegt wurde, damit wirklich jeder Heini stehen bleiben und Radfahrer vorbeilassen kann.
Bin ja mal gesapnnt, ob sich da nochmal was ändert.
[…] den Berufsrisiken eines Radkuriers zählen viele – das schlimmste scheinen Rechtsabbieger zu sein, von den Schwierigkeiten mit ehrlichen Angaben einen vernünftigen Unfallschutz zu […]
Oli, exakt welche Ecke meinst Du jetzt? Czeminski- und Hauptstraße sind mehrere hundert Meter auseinander, dazwischen ist auch noch die S-Bahn. Und wo ist bei Dir „oben“?
Verwechselst Du Czeminski- und Crellestraße? Und meinst Du mit „oben“ von Osten her die Kolonnenstraße in Richtung Westen, also auf die Hauptstraße zu?
Zur Ecke Hauptstraße/Kolonnenstraße:
Wie Oli richtig schreibt, hatten wir über eine Fahrradmarkierung im Krezungsbereich bzw. noch vor der Kurve unterhalten. Ich hatte mich dementsprechend an den in unserem Bezirk zuständigen Stadtrat gewandt und für diese Lösung geworben. Der aktuelle Zustand ist nämlich tatsächlich alles andere als sicher für die Radfahrer. Der Stadtrat hat dann geprüft und unter anderem mit der Verkehrslenkung Berlin – der für überörtliche Straße zuständigen Landesbehörde – gesprochen. Offenbar ist die Verkehrslenkung der Meinung, dass der an dieser Stelle zur Verfügug stehende Platz nicht für eine entsprechende Fahrradmarkierung ausreicht. Man fürchtet wohl eine Autorückstau an der Ampel, die ja ohnehin direkt nach einer recht engen Stelle steht. Die Verkehrslenkung beruft sich auf irgendwelche Vorschriften, die eine Fahrradmarkierung dort wegen der geringen Straßenbreite absolut unmöglich machen. Ich finde dies absolut unbefriedigend.
Meine Hoffnung liegt nun auf der anstehenden generellen Überarbeitung der Verkehrsführung für den Radverkehr rund um den Kaiser-Wilhelm-Platz.