Das Sommerloch ist eine schwere Zeit für Berliner Boulevardjournalisten, nirgendwo gute oder schlechte Nachrichten und dennoch muss der Platz auf der ersten Seite mit großen Buchstaben gefüllt werden. Entsprechend trübselig sah es gestern in der Redaktionskonferenz des Berliner Kurier aus. Als der Chefredakteur die Vorschläge für die Titelseite abrufen wollte, entstand eine peinliche Stille. Jeder im Raum wusste: „Wenn jetzt nicht gleich was kommt, explodiert der Chef“. Nach einer Weile sagte eine leise Stimme vom anderen Ende des Tisches: „Vielleicht mal wieder Radfahrer?“
„Super“ sagte der Chef, „die haben schon lange nichts abbekommen. Wir machen was über die Radfahrer. Wer von Euch ist denn mit dem Rad zur Redaktion gekommen?“
Wieder schwiegen sich alle an, nur eine Praktikantin aus der zweiten Reihe hob schüchtern ihre Hand. „Von wo bist du gekommen?“ wollte der Chefredakteur wissen „Von meiner Wohnung am Zionskirchplatz“ war die Antwort. „Und wie lebt es sich als Pedalritterin im Großstadtdschungel?“ „Sehr gut“ sagte die Praktikantin „gerade am Morgen, wenn ich etwas spät dran bin, kann ich bequem den Berg hinunter zum Rosenthaler rollen und von da ist es nur noch ein Sprung bis in die Redaktion. Nur am Abend keucht man manchmal ganz schön den Weinbergsweg und die Kastanienallee hoch, wenn hinter einem die Straßenbahn wartet. Aber zum Glück wurden nun zwischen die Gleise Fahrradsymbole aufgesprüht, damit die schüchternen Radfahrer sich in die Mitte trauern.“
„Ich hab´s!“ rief der Chefredakteur. „Wir schreiben: Behörde baut Radweg auf Tram-Gleis, und das nennen wir dann Selbstmordradweg, nein, besser Kamikaze-Radweg, der Kamikaze-Radweg vom Prenzlauer Berg. Redakteurin Kröck, schreiben Sie mindestens dreißig Zeilen drüber.“
So sprach der Chefredakteur und verließ den Raum. Dass die Praktikantiin leise protestierte und darauf hinwies, dass der „Radweg“ schon immer existiert, bekam er nicht mehr mit.
Und deshalb macht der Berliner Kurier heute auf mit der Schlagzeile „Die haben doch ein Rad ab!“.
Berliner Kurier: Der Kamikaze-Radweg vom Prenzlauer Berg
via: Benno
Haha, ich dachte, als ich die Überschrift gelesen habe, zuerst, dass es einem Fahrradkurier vielleicht bei einem spektakulären Unfall ein wirkliches Rad abgerissen hätte oder so.
Das hier ist natürlich auch nicht schlecht. Wobei abgesehen von der Aufmachung und den verdrehten Fakten dem Berliner Kurier in der Sache durchaus zuzustimmen ist: Bei der Planung des WB-Weg/der Kastanienallee wurde ganz gehöriger Mist gebaut, und es sollte so schnell wie möglich Abhilfe geschaffen werden.
Harald,
dass bei der Planung des WB-Weg/der Kastanienallee wurde ganz gehöriger Mist gebaut wurde, ist völlig richtig. Nach meiner Erinnerung wurde der Weinbergsweg vor einigen Jahren komplett grundsaniert. Da wurde alles neu gemacht und stellt sich jetzt als durch und durch beschissen heraus.
In den nächsten Jahren soll ja auch die Kastanienallee grundsaniert werden. Die Planungen sehen eine Radspur rechts neben der Straßenbahn vor, da etwa, wo nun die Autos stehen. Die Autos werden dann in Parktaschen verdrängt. Bei der Kastanienallee läuft die ganze Planung auf eine Reduzierung des Platzes für die Fußgänger hinaus. Ist auch eine zweifelhafte Sache, wenn man bedenkt, wieviel Leute dort am Tag durch die Straße laufen.
Heute kam es mir aber darauf an, wie der Berliner Kurier damit umgeht.
@Kalle:
Ähh, wenn die das umbauen sollen dann rechts die Autos in Parktaschen damit Radfahrer zwischen den parkenden Autos und der Trram herfahren sollen? Bis sie dann von einer aufgehenden Autotür gestoppt werden? Klasse Plan sowas…
… hat sich eigentlich irgendjemand von Euch beim Kurier zu Wort gemeldet – die Leserbrief-Abteilung hat mir gerade wieder mal gesagt, es wurde wie immer nur kübelweise Dreck über Radfahrer ausgechüttet. Ist das wirklich wahr, kein einziger Leserbrief aus dieser Runde?
Die Unfälle sind übrigens seit der Markierung zurückgegangen – ich habe mal eine Abfrage machen lassen. Da der Kurier das Thema drei bis vier Mal aufgegriffen hat, habt Ihr vielleicht den Unfall vom letzten Freitag verpasst. Der Kurier behauptete ein Radfahrer sei einfach so in einer Schiene gestürzt – auf Nachfrage bei der Polizei stellte sich raus, dass ihm ein Taxi frontal entgegen kam, welches gerade eine Radfahrerin ebenfalls aus der Gegenrichtung überholt hat.
Die Geschichte könnt Ihr unter http://www.benno-koch.de oder direkt http://www.benno-koch.de/kastanienallee2 nachlesen.